Vom Trend zur Strategie

Klar denken statt quer

30.01.2009
Von 


Sascha Alexander ist seit vielen Jahren als Redakteur, Fachautor, Pressesprecher und Experte für Content-Strategien im Markt für Business Intelligence, Big Data und Advanced Analytics tätig. Stationen waren unter anderem das Marktforschungs- und Beratungshaus BARC, die "Computerwoche" sowie das von ihm gegründete Portal und Magazin für Finanzvorstände CFOWORLD. Seine Themenschwerpunkte sind: Business Intelligence, Data Warehousing, Datenmanagement, Big Data, Advanced Analytics und BI Organisation.
Wer sich beizeiten Gedanken über die Zukunft seines Unternehmens macht, muss sich nicht durch jede Krise zittern, sagt Zukunftsforscher Andreas Neef im Gespräch mit COMPUTERWOCHE-Redakteur Sascha Alexander.

CW: Mit Ihrem Unternehmen Z_punkt spüren Sie Trends auf und entwickeln Strategien. Sie sprechen dabei von Corporate Foresight. Was heißt das?

Neef: Dahinter steckt der Versuch, längerfristiges Denken in die Planung der Unternehmen einzubeziehen. Dabei geht es zum einen darum, die bisherigen Strategien zu überprüfen oder neue zu entwickeln. Zum anderen hilft Corporate Foresight Unternehmen, Zukunftsmärkte und -produkte, also Innovationen, zu erkennen. Für welchen Zeitraum man strategisch plant, hängt davon ab, wie komplex die Branchensegmente sind, mit denen man es zu tun hat, und wie lange ein Unternehmen braucht, um seine Produkte zu entwickeln. Ein großer Flugzeugbauer beispielsweise baut und plant leicht zehn, 15 oder gar 20 Jahre im Voraus. Komplex sind auch die Märkte, die ein solches Unternehmen bedient: Ob künftig eher große oder kleine Flugzeuge gebraucht werden, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Entsprechend hoch und differenziert ist nach unserer Erfahrung der Foresight-Bedarf. Unternehmen in Hochtechnologiebranchen schauen deshalb länger voraus, während Konsumgüterhersteller für ihre Entwicklung im Schnitt ein bis drei Jahre vorausblicken.

CW: Wie betreibt man Corporate Foresight?

Neef: Wir entwickeln zusammen mit Unternehmen Szenarien, die möglichst alle geschäftsrelevanten Faktoren einbeziehen, und bewerten sie anschließend. Dabei wird auf drei Ebenen gearbeitet: Zunächst soll eine globale Analyse das Umfeld des Unternehmens beleuchten, indem wir beispielsweise fragen, wie sich die globale Wirtschaft entwickeln könnte und welche die wirtschaftlichen, politischen Faktoren etc. dafür sind. Im zweiten Schritt steht die Entwicklung der Branche in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren im Mittelpunkt. Im dritten Schritt versuchen wir, konkrete Folgen für das Unternehmen abzuleiten.

Ein anderer Ansatz der Beratung will identifizierbare, empirisch nachweisbare Entwicklungen in der Branche erfassen helfen, die in sich den Keim für Veränderungen oder ein neues Bedürfnis tragen. Anwender sollen so die Megatrends und Treiber der kommenden zehn bis fünfzehn Jahre erkennen lernen. Dabei geht es weniger um die eigene Branche, sondern um politische, gesellschaftliche oder ökologische Entwicklungen, die sich aber auf das Geschäft (beispielsweise im Kaufverhalten) auswirken können.

CW: Gerade in der aktuellen Wirtschaftslage müssten sich doch viele Unternehmen wünschen, die Zukunft antizipieren zu können.

Neef: Bisher stellen nur wenige Unternehmen solche systematischen Betrachtungen an. Stattdessen reduziert sich ihre Strategie oft auf eine rein quantitative, auf maximal ein Jahr angelegte Finanzplanung, die langfristige geschäftliche Perspektiven nicht berücksichtigt.

CW: Kann Corporate Foresight das ändern?

Neef: Immer mehr Unternehmen spüren angesichts der Marktentwicklung, dass sie strategisch etwas unternehmen müssen. Wir können ihnen zwar nicht die Zukunft vorhersagen, aber durch ein methodisches Vorgehen das Spektrum der Möglichkeiten transparent und strukturiert aufzeigen. Auch wenn die Ungewissheit bleibt, hilft Corporate Foresight dadurch, sich rationaler zu entscheiden. Das nimmt viel von der Zukunftsangst.

CW: Welche Mitarbeiter sind an solchen Projekten beteiligt?

Neef: Neben Vorstandsmitgliedern sind es typischerweise Teilnehmer, die für die Unternehmens- und Strategieentwicklung, Human Resources oder das Innovations-Management verantwortlich sind.

CW: Sind hier vor allem Querdenker gefragt, die sich stellvertretend im Unternehmen Gedanken über die Zukunft machen?

Neef: Diese Zeit ist vorbei. Wir brauchen heute Leute, die klar denken statt quer. Sie müssen aber grundsätzlich offen sein für Zukunftsüberlegungen, sich also auch mit scheinbar unmöglichen oder unbequemen Vorstellungen auseinandersetzen. Dies ist meist gar nicht so einfach, weil alle über zu viel Arbeit und Stress klagen und in Zukunftsplanungen nur eine weitere Belastung sehen. Letztlich muss der Vorstand die Initiative übernehmen.

CW: Wie lassen sich die Ergebnisse in der Organisation umsetzen?

Neef: Das hängt stark von der jeweiligen Unternehmenskultur ab. Es ist bereits viel gewonnen, wenn Verantwortliche/Entscheider sich überhaupt Gedanken über die Zukunft machen und in einen "strategischen Dialog" treten. Im nächsten Schritt lassen Firmen die Erkenntnisse, also die Szenarien und Trendinformationen, in die konkrete strategische Planung einfließen. Das reicht bis hin zur Definition von Messgrößen und Kennzahlen. Heute geht es nicht mehr in der Hauptsache um Events und Workshops: Corporate Foresight soll stattdessen einen konkreten Mehrwert für strategische Entscheidungen liefern können.

CW: Der konkrete Mehrwert sind also letztlich Kennzahlen?

Neef: Vor allem zahlenorientierte Organisationen akzeptieren Corporate Foresight nur dann, wenn am Ende Messgrößen herauskommen. Es gibt aber auch Konzerne wie etwa BASF, die eher dialogorientiert geführt werden ("Kultur des Sprechens") und versuchen, mit den (zuvor abgesicherten) Ergebnissen zu einer strategischen Entscheidung zu kommen. Dies kann dazu führen, dass solche Unternehmen beispielsweise frühzeitig oder trotz einer Krise in einen Markt investieren und sich so später Wettbewerbsvorteile sichern.

CW: Gibt es spezielle Software, die Anwender bei der Zukunftsforschung unterstützt?

Neef: Eines der besten Tools ist "Parmenides Eidos" (vormals "Thinktool"), an dessen Entwicklung auch der renommierte Hirnforscher Ernst Pöppel beteiligt ist. Es hilft uns, Szenarien zu entwickeln, Strategien abzuleiten, diese zu bewerten und Ziele zu priorisieren. Anwender brauchen etwa einen Tag Schulung, um mit diesem Denkwerkzeug arbeiten zu können.

CW: Wie lange dauert ein Corporate-Foresight-Projekt?

Neef: Aufgrund des großen Drucks in den Unternehmen dauern die Vorhaben je nach Umfang und Ziel zwischen fünf Wochen und fünf Monaten. Voraussetzung für den Erfolg sind realistische Erwartungen und der Wille, mitzuarbeiten, also nicht alles den Externen aufzulasten. Zukunftsforschung kann nicht alle Fragen beantworten. Ihr Mehrwert für das Unternehmen ist zudem gering, wenn die Ergebnisse nicht intern veröffentlicht und verwertet werden - also in der Schublade versauern.

CW: Bräuchte es einen regelrechten Stab oder eine Stelle in der Unternehmensorganisation für Zukunftsforschung?

Neef: Es gibt Konzerne mit großen Entwicklungsabteilungen wie etwa Daimler oder Volkswagen. In der Regel halten Unternehmen aber die Strukturen allein schon aus Kostengründen (Personal, Schulung) klein und nutzen externe Hilfe. Intern kann dann beispielsweise ein persönlicher Assistent oder eine Abteilung für strategische Projekte dem Vorstand berichten und zusammen mit Beratern dafür sorgen, dass dieses Zukunftswissen in die Prozesse gelangt.

CW: Gibt es Beispiele, wie Corporate Foresight Unternehmen Vorteile gebracht hat?

Neef: Ein oft zitiertes Beispiel ist der Ölkonzern Shell, in dem Szenarioanalysen seit Jahrzehnten zur Unternehmensstrategie gehören. Dadurch war der Konzern beispielsweise in den 70er Jahren auf die Ölkrise vorbereitet und konnte Lieferverträge mit Reedereien abhängig vom Ölpreis kurzfristig kündigen und Kosten sparen. Ein aktuelles Beispiel ist Daimler: In einem Pilotprojekt wurden 200 Smarts in Ulm verteilt, die sich wie Bahnfahrräder ausleihen lassen. Daimler erprobt auf der Grundlage von Szenarioanalysen damit ein neues Geschäftsmodell, nämlich mobile Dienstleistung statt klassischem Autoverkauf.

CW: Haben Sie als Zukunftsforscher die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise kommen sehen?

Rotwein, gutes Essen, Frau und Freunde

"Eine problematische Situation ist für mich kein Anlass, in operative Hektik oder gar Schreckstarre zu verfallen. Ob nun in privat oder geschäftlich kritischen Lagen, ziehe ich mich zurück, genieße mit meiner Frau und Freunden erst einmal ein Glas Rotwein zu einem guten Essen bei unserem Lieblingsitaliener. Zunächst gilt es innere Distanz zu schaffen, denn dann lassen sich auch die Chancen und Risiken rational abwägen. Ich stelle mir prinzipiell die Frage, mit welchen Fehlern ich leben kann und mit welchen nicht. Dann treffe ich meine Entscheidungen. Übrigens helfen mir auch Humor und rheinische Gelassenheit, schwierige Zeiten entspannter zu meistern."

Neef: Einige Zukunftsforscher haben schon vor fünf Jahren davor gewarnt. Aber meistens wird ihnen kein Gehör geschenkt.