Große IT-Arbeitgeber im Gespräch

"Keine Spur von Krisenstimmung"

16.07.2001
Von Gabriele Müller
Bringt der Niedergang der New Economy den Arbeitsmarkt ins Wanken? Müssen Informatiker um ihre Jobs fürchten? Nein, lautet die eindeutige Antwort – von sechs prominenten Arbeitgebern.

Hartmut Hillebrand, Leiter der Personalbeschaffung bei der SAP AG, sieht keinen Grund zur Panik: „Die Krise der Dotcoms ist nicht automatisch auch eine Krise der IT.“ Nach wie vor suchen die Walldorfer für den weiteren Ausbau des Unternehmens in Deutschland und weltweit Personal. Gefragt sind vor allem Anwendungsentwickler, Netzadministratoren, Datenbankspezialisten, aber auch Web-Designer, „eben die ganze Palette“, so Hillebrand.

Damit steht er nicht allein. Die Teilnehmer einer Diskussionsrunde während eines Recruiting-Workshops der Access AG in Bonn waren sich einig: „Wir werden die Rekrutierungsbemühungen auf keinen Fall zurückfahren.“ Denn wie unterschiedlich die Prognosen über die Höhe der fehlenden Fachkräfte auch sein mögen – sicher scheint zu sein, dass qualifizierte Mitarbeiter auch in nächster Zukunft gesucht werden. Ob Deutsche Bank, Accenture, Mummert und Partner, Hewlett-Packard oder SAP – keines dieser Unternehmen plant weniger Einstellungen als bisher, obwohl die Zahl der Absolventen von einschlägigen Studiengängen zur Zeit so niedrig ist wie nie zuvor.

Zwar sagt die Vollmer-Studie „über berufliche Wünsche, Ziele, und Absichten von Hochschulabsolventen“, die jetzt von Access weitergeführt wird, für das Jahr 2002 eine leichte Steigerung der Abgängerquote voraus. Wirklich Mut macht das keinem Personaler. „Kritisch ist ja nicht allein die Zahl der fehlenden Informatikabsolventen“, beklagt Hillebrand. „Genau so schlimm ist, dass die Zahlen in den naturwissenschaftlichen Studiengängen, aus denen wir häufig Bewerber rekrutiert haben, auch zurückgehen.“

Beinhalten solch düstere Zukunftserwartungen womöglich die große Chance für Quereinsteiger? Nicht unbedingt. „Natürlich sind Quereinsteiger für uns wichtig“, versichert Marc-Stefan Brodbeck, Leiter Recruiting Services der Telekom-Tochter T-Systems. „Aber das sind eher Einzelfälle, die individuell geprüft und entschieden werden.“ Die Erfahrungen mit Absolventen anderer Fachrichtungen, etwa Betriebs- oder Wirtschaftswissenschaftlern, die ein Traineeprogramm an die IT herangeführen soll, seien jedenfalls nicht gerade überzeugend, so Christina Böse, bei Mummert und Partner verantwortlich für das Recruiting.

Ähnlich bei HP: „Die Maßnahme selbst lief zwar gut, aber kaum einer der Teilnehmer ist heute noch bei uns beschäftigt“, berichtet Anke Märsch aus dem Personalbereich. Bei der Fahndung nach neuen Mitarbeitern müssen die Arbeitgeber auch weiter kreativ sein und werben schon während des Studiums um den potenziellen Nachwuchs. „Wir drücken bei der Mitarbeitergewinnung wirklich auf alle Knöpfe“, zieht Tim Ackermann aus dem Bereich Graduate Recruitment & Marketing der Deutschen Bank Bilanz. Dazu gehören Karriereveranstaltungen, Messen, Betreuung von Praktika und Diplomarbeiten ebenso wie das Schalten von Stellenanzeigen in verschiedenen Medien. „Oder eben auch organisierte Events und Veranstaltungen, bei der Unternehmen und Bewerber sich ausführlich kennen lernen können“, ergänzt Jutta Kattermann von der Accenture Unternehmensberatung.

Wer so umworben wird, hat oft schon vor dem Diplom den Job in der Tasche: Rund ein Drittel der Befragten insgesamt und mehr als die Hälfte der „High Potentials“ können sich in Sicherheit wiegen. Ihr Schreibtisch im Büro wartet bereits, kaum dass sie die Hochschule verlassen haben. Dann spielt auch das Thema Geld, so scheint es, nicht die größte Rolle. Immerhin scheinen die durchschnittlich 85 000 Mark Jahresgehalt, die laut Vollmer-Studie die meisten Absolventen als Einstiegsgehalt anpeilen, nicht das Budget der Arbeitgeber zu sprengen. Um ihre Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt wissen die Studenten längst. Ob das dazu führt, dass sich eine gewisse Lässigkeit beim Thema Bewerbung eingeschlichen hat? Denn bei allem Mühen um den geeigneten Kandidaten geben sich die sechs Personalexperten nur begrenzt kompromissbereit, wenn es um den guten Eindruck einer Präsentation geht.

„Nicht die Qualität der Bewerber hat nachgelassen, wohl aber die Qualität der Bewerbungen“, bringt es Brodbeck von T-Systems auf den Punkt. Serienbewerbungen per Mail ohne individuelles Anschreiben, fehlende Unterlagen oder der lapidare Verweis auf die eigene Homepage lösen keine Freude aus. Ebenso wenig wie schwergewichtige Attachments oder falsche Adressaten. Bessere Chancen hat, wer die entsprechenden Online-Formulare auf den firmeneigenen Websites nutzt – die sind oft in das hausinterne Recruiting-Verfahren integriert.

Uneinig sind sich die Unternehmen in der grundsätzlichen Frage, wie die Personallücke gefüllt werden kann. „Mehr Ausbildung in den neuen IT-Berufen“ lautet die eine Antwort, „verstärkt auf Internationalisierung setzen“ die andere. Letzteres beinhaltet nicht nur die Nutzung der Green Card, sondern auch Mitarbeiter aus ausländischen Tochterfirmen oder Niederlassungen nach Deutschland zu holen. „Wir werden einfach immer internationaler“, resümiert Hillebrand. „Schon rund zehn Prozent unserer Belegschaft kommen aus dem Ausland.“

Dabei spielt IT-Verstärkung aus Indien zwar eine große, aber nicht die größte Rolle. „Auch in Osteuropa finden wir qualifizierte Mitarbeiter“, berichtet Kattermann. Fazit der Runde: Unternehmen werden bei der Mitarbeitergewinnung und -bindung immer flexibler. „Wir müssen uns alle anpassen“, ist Ackermann überzeugt. Das wird sich unweigerlich auf die Unternehmenskultur auswirken: Mehr Teilzeitangebote, Telearbeit und flexiblere Arbeitszeiten werden diskutiert. Schon lange.