Interview

Keine neuen Regeln für den Electronic Commerce

08.11.1996

CW: Um das Thema Electronic Commerce wird derzeit viel Tamtam veranstaltet. Wie will sich Nets Inc. in diesem Markt erfolgreich durchsetzen?

MANZI: Der Lärm um den Electronic Commerce wird in erster Linie hinsichtlich des Konsumentenmarkts gemacht. Unser Schwerpunkt liegt jedoch auf einem ganz anderen Gebiet - nämlich im professionellen Handel.

Die Leute sind das viele Gerede über das Consumer-Geschäft mittlerweile leid. Das Web ist als Einkaufsmedium sicher ganz interessant, aber ich glaube nicht, daß deshalb die Regeln des Handels neu definiert werden müssen. Wir sehen den Commerce im Internet zweifellos realistischer.

Greifen wir irgendein exotisches Produkt heraus, das mit dem klassischen Erlebniskauf des privaten Konsumenten nichts zu tun hat - zum Beispiel Kugelventile. Erzeugnisse wie dieses sind, lapidar gesagt, über Modem mit einer Übertragungsrate von 28,8 Kbit/s nur schwer an den Mann zu bringen. Aber dennoch stellen solche banalen Produkte in der Summe ein Marktvolumen von drei Billionen Dollar dar. Viele dieser Erzeugnisse könnten wesentlich kostengünstiger vertrieben werden, wenn man das Web als das nutzt, was es ist - nämlich eine billige, universelle Vertriebsinfrastruktur.

CW: Aus Ihrer Sicht unterscheidet sich der professionelle Handel also von dem mit Konsumenten?

MANZI: Ja, das sind zwei Paar Stiefel. Im Bereich des privaten Konsumenten handelt es sich in der Regel um eine vom Moment des Erlebniskaufs abhängige Transaktion. Im professionellen Handel sind die Transaktionen hingegen längerfristig angelegt. In diesem Fall steht der Prozeß im Vordergrund und nicht der Einkauf als Ereignis. Eine solche Transaktion kann Stunden, Tage, eine Woche, ja sogar mehrere Monate dauern.

CW: Welche Kriterien prägen diesen professionellen Electronic Commerce?

MANZI: Es gibt rund 20 Merkmale, die den Business-to-Business-Prozeß kennzeichnen. Dazu gehört natürlich die Suche und Auswahl von Produkten, aber auch die Verhandlung, Bonitätsprüfung etc. und zu guter Letzt auch die konkrete Bestellung. In der Summe macht das eine professionelle Transaktion aus.

CW: Welche Rolle spielt Ihr Dienst Industry Net in diesem Prozeß?

MANZI: Unser Ziel ist, für diese Art von Geschäften so etwas wie eine Handelszone mit optimalen Bedingungen für die Teilnehmer zu schaffen. Wir legen von allen Käufern individuelle Profile an. Im Klartext heißt das: Wir registrieren ihre Vorlieben, die sich in ihrem Kaufverhalten niederschlagen, und ihre Gewohnheiten beim Konsum von Informationen, Produkten und Services. Diese kundenspezifischen Verhaltensmuster fließen in eine Agent-Technologie ein, die wir entwickeln und die das Herzstück unserer Electronic-Commerce-Strategie ist.

Außerdem halten wir die Daten einer großen Zahl von Anbietern vor. Wir erzeugen einen elektronischen Markt, wo Unternehmen eingetragen und auch auffindbar sind.

CW: Bis wann soll dieser elektronische Marktplatz entstehen?

MANZI: Der existiert schon. Wir verzeichnen derzeit rund 4500 teilnehmende Unternehmen. Jetzt gilt es aber, die Funktionalität des Angebots zu verbessern. Im Rahmen unserer Handelszone sind bereits Anbieter und Kunden miteinander in Kontakt getreten und ist es auch schon zu Bestellungen, Nachfragen, Verhandlungen - jeweils mit Pilotcharakter - gekommen.

CW: Sind die meisten Ihrer Kunden Anwender von Electronic-Data-Interchange-Systemen?

MANZI: Manche ja, manche nein. Jedenfalls sind die meisten mit dieser veralteten Technologie nicht glücklich. Natürlich sind EDI-Anwender unsere Zielgruppe, weil sie ihre Geschäfte bisher über ihre teuren proprietären Netze abgewickelt haben.

CW: Welche Vorteile hat das Web für diese EDI-Nutzer?

MANZI: Das Web hat zwei Pluspunkte: Erstens bietet es, wie schon gesagt, kostengünstige Connectivity, und zweitens erlaubt es die zielgerichtete Verbindung zu Kunden.

CW: Verlagern Sie mit Ihrem Geschäftsmodell EDI auf eine andere Ebene, oder wird es gar ersetzt?

MANZI: EDI beruht auf dem Prinzip, daß sich die Handelspartner kennen. Manche Probleme sind dadurch gelöst, viele aber auch nicht. Unser Ansatz geht aber in eine völlig andere Richtung. Durch das Internet bieten wir einen Markt, der Transaktionen zwischen einander unbekannten Handelspartnern zuläßt.