Keine Jobchancen ohne Ausbildung

17.07.2001
Von Helga Ballauf
Die Multimedia-Wirtschaft galt bis vor kurzem als Jobmaschine. Plötzlich aber häufen sich die Meldungen über Einsparungen, Einbrüche am Aktienmarkt und Entlassungen. Eine ganze Branche im Abwärtstrend? Das sieht Hansjörg Zimmermann, Chef der "Argonauten", im Gespräch mit Helga Ballauf anders.

CW: Was ist los mit den erfolgsgewohnten New-Media-Agenturen?

Zimmermann: Die Multimedia-Wirtschaft steckt nicht in der Krise, sondern in einer Phase der Normalisierung. Die Zeiten von 100 Prozent Wachstum pro Jahr sind vorbei. Je nach Firma wird sich das Plus künftig bei zehn bis 60 Prozent einpendeln.

CW: Was bedeutet das für Jobsuchende?

Zimmermann: Nachwuchskräfte haben in der Multimedia-Wirtschaft weiter gute Chancen. Allerdings sinken die Anfangsgehälter, insbesondere im Vergleich zum vergangenen Boom-Jahr. Gleichzeitig steigen die Qualifikationsanforderungen der Branche. Training-on-the-Job allein genügt nicht mehr. Es führt kein Weg mehr an einer vernünftigen Ausbildung vorbei.

CW: Wie sollte die aussehen?

Zimmermann: An einigen Hochschulen zeichnet sich eine sehr hoffnungsvolle Entwicklung ab. Ich meine die neu entstehenden MBA-Aufbaustudiengänge für Management und Marketing, wie sie beispielsweise die Fachhochschule Pforzheim jüngst etabliert hat. Oder die Hochschule für Druck und Medien in Stuttgart, die einen neuen, branchenspezifischen MBA zum Multimedia-Autor anbietet: Das sind praxisorientierte Angebote, bei deren Entstehen die Hochschulen mit der Wirtschaft zusammengearbeitet haben. Generell gilt, dass die Anforderungen an die Mitarbeiter - ob Programmierer oder Screen-Designer - differenzierter werden und dass neue Aufgabenprofile entstehen. Wir brauchen beispielsweise psychologisch geschulte Experten für Web-Design- und Wahrnehmungsforschung oder so genannte Informationsarchitekten.

CW: Was verstehen Sie darunter?

Zimmermann: Es sind Mitarbeiter, die analytisch, ganzheitlich und zugleich kreativ an Projekte herangehen. Sie koordinieren komplexe Kundenaufträge und verstehen sowohl etwas von Beratung wie auch von Technik und Gestaltung. Das können Betriebswirtschaftler mit Marketing-Schwerpunkt sein, aber auch junge Architekten, die einschlägige Zusatzkenntnisse erworben haben.

CW: Training-on-the-Job allein reicht nicht mehr aus, sagen Sie. Welche Folgen ergeben sich daraus für die Personalentwicklung der Firmen?

Zimmermann: Wir haben bei den Argonauten von Anfang an fünf Prozent der Gehaltssumme pro Jahr zusätzlich für Weiterbildung eingeplant und die Mitarbeiter unter anderem in Projekt- und Zeit-Management geschult. Das zahlt sich jetzt aus.

CW: Heißt das, Sie machen einfach unbeirrt weiter wie gehabt?

Zimmermann: Natürlich müssen auch wir unser Profil schärfen, wenn wir weiter als "merkwürdiges" Unternehmen auffallen wollen, also als Agentur, die es im besten Wortsinn wert ist, dass man sie sich merkt. Wir wollen als "E-Consumer-Agentur" wahrgenommen werden, und das heißt: Unsere Spezialität ist das Business-to-Consumer-Geschäft im Internet.

CW: Qualifizierte Mitarbeiter finden ist die eine, sie zu halten die zweite Herausforderung. Was bieten die Argonauten?

Zimmermann: Das Entscheidende sind die Arbeitsbedingungen. Die meisten Extras, die wir vor Jahren eingeführt haben - vom kostenlosen Obstkorb am Arbeitsplatz bis zur Physiotherapie - gelten heute als Standard. Immer wichtiger aber wird die individuelle Arbeitszeitgestaltung. Das hat zwei Komponenten: Die Beschäftigten entscheiden, wie viele Stunden pro Woche sie in der Agentur arbeiten wollen. Sie können wählen, ob sie hier in der Firma oder im Home-Office ihre Aufgaben erledigen. Viele allein erziehende Mütter und sogar ein Mitglied der Geschäftsleitung nutzen die Chance, tageweise nur virtuell anwesend zu sein.

CW: Oft ist zu hören, dies funktioniere nicht in einer Branche, in der man jederzeit für den Kunden präsent sein müsse...

Zimmermann: Diese Einstellung verstehe ich nicht. Das geht alles, wenn man es richtig mit dem Team abstimmt. Unsere Erfahrung ist, dass die Mitarbeiter konzentrierter und effizienter arbeiten, wenn sie sich Zeit und Ort selbst wählen können. Außerdem ist das ein wichtiges Element der Mitarbeiterbindung: Warum soll ich in eine Agentur wechseln, die solche Spielräume nicht bietet?