Auch die Politik nimmt die Interssenvertretung der IT-Entscheider ernst: "Wir haben immer wieder festgestellt, dass in der IT vieles angebotsgetrieben ist", sagte Andreas Goerdeler, Ministerialdirigent im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, anlässlich einer Podiumsdiskussion auf der CeBIT. Deshalb versuche das Ministerium, in alle IT-bezogenen Vorhaben "frühzeitig die Anwender hineinzubekommen".
Voice ist in dieser Beziehung quasi der Gegenspieler des Anbieterverbands Bitkom, der hinsichtlich politischer Lobby-Arbeit schon weit mehr Erfahrung hat. Dieser Polarisierung widersprach jedoch Frank Riemensperger, Geschäftsführer des Dienstleistungsunternehmens Accenture: "Aus Sicht des Bitkom ist Voice kein Gegenpol, sondern eine gute Ergänzung." Das erweise sich zum Beispiel, wenn es um Themen wie Sicherheit oder EU-Datenschutzverordnung gehe: "Im Übrigen arbeiten wir ja auch gemeinsam im Arbeitskreis 1 des IT-Gipfels."
Konstruktiver Dissens
Diese Art von Harmonie erschien jedoch Helmut Krcmar, Professor für Wirtschaftsinformatik an der TH München, etwas unrealistisch. Beide Organisationen gehörten einem gemeinsamen Ökosystem an, räumte er ein, aber sie verträten doch jeweils ihre eigenen Interessen - die Anbieterseite schon länger, die Anwender nun endlich auch: "Nicht alle IT-Anwender haben auf Voice gewartet", erinnerte Krcmar an die Geburtswehen des Verbands, "aber alle haben sie Voice bitter nötig."
Sehr wohl auf Voice gewartet hat nach eigenem Bekunden Jürgen Sturm, der CIO von Bosch Siemens Hausgeräte (BSH) : "Ich habe aus Voice schon extrem viel Nutzen für meine tagespolitischen Fragen im Unternehmen gezogen." Und das gelte auch "gesamtpolitisch". Die technische Seite sei ja heute oft schon viel weiter als die organisatorische oder rechtliche.
Was das Verhältnis zwischen Voice und Bitkom angehe, so gebe es selbstverständlich Reibungspunkte, stellte Sturm klar. Beispielsweise hinsichtlich der Lizenzpolitik der Anbieter, zu der es einen eigenen Voice-Arbeitskreis gibt. Das sei auch völlig in Ordnung: "Nur ein konstruktiver Dissens zieht einen belastbaren Konsens nach sich."
Des einen Umsatz, des anderen Kosten
Als Vorsitzender des Voice-Präsidiums betonte der ehemalige Lufthansa-CIO Thomas Endres einmal mehr die Notwendigkeit einer eigenständigen Anwendervereinigung: "Früher wurden manchmal einige Details einfach vergessen. So beispielsweise in Sachen Cloud: Der Bitkom hat viel darüber gesagt, wie man dort hineinkommt, aber wenig, wie man wieder herauskommt." Das unter anderem hole Voice nun nach.
"Wir kümmern uns um dieselben Themen, aber aus unterschiedlichen Perspektiven", resümierte Endres. Die Umsatzchancen der einen Seite seien die Kosten der anderen: "Das Geld, das wir den Anbietern geben, müssen wir als Anwender erst einmal verdienen."
Wer bekommt welches Kuchenstück?
Das sei ganz richtig, merkte Krcmar in seiner Rolle als Wadlbeißer an. Und in diesem Zusammenhang müsse die Frage erlaubt sein: "Wer bezahlt eigenlich die CeBIT?" - Eine durchaus unterschiedlich interpretierbare Antwort darauf gab Accenture-Geschäftsführer Riemensperger: "Bezahlt wird das alles von den Unternehmen mit ihrem Business-Value."
"Die Frage ist nur, wer welchen Teil des Wertschöpfungskuchens bekommt", wandte prompt der Hochschullehrer Krcmar ein. Riemensperger konterte mit einer ebenfalls aus dem Nahrungsmittelbereich stammenden Metapher: "Nun lassen Sie uns das Schweinchen doch erst mal erlegen, bevor wir entscheiden, wer welche Rippchen kriegt."
Unter dem Strich seien doch Anbieter wie Anwender gleichermaßen interessiert, Lösungen zu finden, die den Standort Deutschland wettbewerbsfähiger machten, konstatierte der Accenture-Chef. Und erhielt Rückendeckung vom IT-Verantwortlichen der BSH. "Den Standort Deutschland können wir beispielsweise mit Industrie 4.0 stark machen", so Sturm, "und dieses Thema kann man nicht bipolar angehen."
Erwartungen an die Industrie
Ungeachtet der Notwendigkeit zur Kooperation haben die CIOs aber auch ein paar Hühnchen mit der IT-Industrie zu rupfen. Endres bemängelte beispielsweise, dass die Anbieter immer noch viel zu häufig ihr eigenes Ding machten: "Proprietäre Lösungen haben aus unserer Sicht eine schwere Zukunft", so seine diplomatische Formulierung. Was die Anwender bräuchten, sei eine Art "Suite Deutschland", ein "Internet der austauschbaren Dienste". Der Voice-Präsident plädierte ausdrücklich an den Bitkom, sich dafür einzusetzen und nicht länger "das Sortieren den Anwendern zu überlassen".
Und noch einen Wunsch richteten die IT-Verantwortlichen, diesmal in Gestalt von Hans-Joachim Popp, CIO der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DLR), an die Adresse des Bitkom: Die Anbieter möchten doch bitte nicht mehr direkt mit den Fachbereichen verhandeln, sondern den CIO in die Verkaufsgespräche einbeziehen.
Wunderbarer Doppelpass
Diese Bitte, die eigentlich eine Beschwerde war, griff Endres auf: "Es ist ja verständlich, dass die Anbieter hier Umsatz generieren wollen", so der Voice-Vorstand, "aber wenn sie das machen, produzieren sie die IT-Inseln von morgen. Oder spekulieren Sie etwa auf den wunderbaren Doppelpass: Heute der Produktabsatz, morgen der Auftrag zum Aufräumen?"