Smart Grids und Smart Meter

Keine Energiewende ohne IT und TK

19.10.2011
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Joachim Hackmann ist Principal Consultant bei PAC – a teknowlogy Group company in München. Vorher war er viele Jahre lang als leitender Redakteur und Chefreporter bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Die Wende zu erneuerbaren Energien ist ohne spezielle Informationstechnik nicht möglich. Erzeugung, Transport und Verbrauch von Energie müssen intelligenter werden.
Foto: Deutsche Telekom

Die Gesamtkosten der Energiewende beziffert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW) auf rund 200 Milliarden Euro. Eine Erhebung, wie hoch die erforderlichen Investitionen in IT- und TK-Equipment sein werden, gibt es nicht. "Mir sind zu diesem Thema keine Forschungen bekannt", sagt Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung "Energie, Verkehr und Umwelt" am DIW. Ein analytischer Blick in die einzelnen Bereiche der Energieversorgung lässt erahnen, wie wichtig eine zuverlässige, schnelle und hochwertige IT- und TK-Infrastruktur im Energiemarkt künftig sein wird.

Smart Grids: Neue Wege in der Verteilung

Intelligente Stromnetze (Smart Grids) sind ein Kernelement der Energiewende. Das Energiekonzept der Bundesregierung sieht vor, bis 2050 vier Fünftel der Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen zu beziehen. Das kann nur funktionieren, wenn die Stromtrassen ausgebaut werden und das Energietransportnetz ein leistungsfähiges IT- und Kommunikationsnetz an die Seite bekommt.

Der Ausbau drängt, weil das heutige Stromnetz für die zentrale Stromerzeugung ausgelegt ist. Es basiert auf einem dreistufigen Versorgungsnetz mit Hochspannungsleitungen für den Ferntransport beziehungsweise die Grobverteilung auf Ballungszentren, einem Mittelspannungsnetz für die Verteilung an regionale Transformationsstationen sowie einem Niederspannungsnetz, das Haushalte und gewerbliche Verbraucher versorgt. Die vielfältigen erneuerbaren Energiequellen fügen sich in diese Verteilstruktur nicht ein, da sie Energie an bisher nicht dafür vorgesehenen Orten erzeugen.

So fließt etwa auf Dächern gewonnener Strom entgegen der eigentlich vorgesehenen Richtung durch das Niederspannungsnetz in die Verteilnetze. Die Windkraftanlagen an der Nordsee erzeugen Energie in Gegenden, wo keine leistungsstarken Trassen zur Verfügung stehen. Zudem ist die Erzeugung nicht planbar. "Zurzeit liefern Photovoltaik-Anlagen rund 17 Gigawatt Energie, das entspricht etwa der Leistung von 17 Atomkraftwerken. Bildlich gesprochen bedeutet das: Die Sonne schaltet 17 Kraftwerke ein und aus, und die Energieversorger müssen diese Schwankungen ausgleichen", veranschaulicht Gabriele Riedmann de Trinidad, Leiterin Konzerngeschäftsfeld Energie bei der Telekom, die Volatilität der neuen Energiequellen.

Dezentrale Netzsteuerung

Bislang konnten die Versorger Energieangebot und -nachfrage aufgrund in Jahrzehnten gewonnener Erfahrungswerte zu Produkt und Verbrauch genau ausbalancieren. Erzeuger mit kurzen Anlaufzeiten wie etwa Gasturbinenkraftwerke werden entsprechend zu- und abgeschaltet, um Lastspitzen abzufedern. Die Grundlast liefern oft Kernkraftwerke. Zudem folgt die Stromlieferung dem linearen Prinzip vom Erzeuger über die Transport- und Verteilnetze zum Verbraucher. Im IT-Jargon lässt sich das Prinzip als Download-Netz beschreiben.

Dieses bewährte Modell funktioniert mit alternativen Quellen nicht mehr. Hier fließt die Energie zwischen Erzeuger, Transport- und Verteilnetz, Verbraucher und Speichersystemen in allen erdenklichen Kombinationen und Richtungen. Das neue Energienetz gleicht daher dem Internet mit seinen unzähligen Knoten und wechselnden Transportwegen, es wird zur Up- und Download-Infrastruktur. Eine zentrale Steuerung ist damit kaum möglich, Entscheidungen müssen mehr und mehr regional und lokal gefällt werden.

Energie speichern und umleiten

Aufgabe der IT in einem Smart Grid ist es, trotz Unwägbarkeiten in Erzeugung und Verbrauch einen stabilen Netzbetrieb und eine zuverlässige Energieversorgung zu gewährleisten. Dazu sind intelligente Mess- und Steuerkomponenten in allen Bereichen der Herstellung, Übertragung und des Verbrauchs erforderlich. In einem parallel zum Energienetz zu errichtenden Datennetz rasen unzählige aktuelle Mess- und Steuerdaten aus Erzeugung, Verbrauch, Auslastung, Netzqualität und Wetter.

Eine besonders anspruchsvolle Aufgabe liegt darin, große Datenmengen möglichst in Echtzeit auszuwerten. Bei übermäßiger Produktion in Solar-, Wind- und Strömungskraftwerken muss das intelligente Netz überschüssige Energie etwa in Pumpstationen, Batterien oder Druckluftbehälter umleiten. Bei Untervorsorgung müssen diese Speicher angezapft und möglicherweise Kraftwerke hinzugeschaltet oder Kapazitäten am Spot-Markt hinzugekauft werden.

In ferner Zukunft wollen die Energieversorger weitere Speicherquellen und Möglichkeiten zum Lastausgleich schaffen. Eine oft zitierte Idee lautet etwa, die Batterien von geparkten Elektro-Autos als Energiepuffer zu verwenden, zudem planen Kommunen, ihre Straßenlaternen um Autoladestationen inklusive Speicherkapazitäten zu erweitern. All diese neuen Geschäftsideen benötigen ausgefeilte Steuer- und Management-Instrumente. Kein Versorger wird es sich in einem liberalisierten Markt erlauben können, Kunden zu vergraulen, weil diese etwa vor einer morgendlichen Fahrt ins Büro vor einem entladenen Auto stehen.

Das Steuern von Energie, Verbrauchern und Transportwegen ist für die Netzstabilität wichtig. Unsaubere Quellen und Rückkoppelungen können die Netzfrequenz beeinflussen. Übersteigt oder unterschreitet sie den Normwert von 50 Hertz um lediglich 0,2 Hertz, kommt es zum Stromausfall. Die Versorger schalten ab, um angeschlossene Verbrauchsgeräte zu schützen. Zum Imageverlust gesellen sich wirtschaftliche Schäden für gewerbliche Kunden, Einnahmeausfälle für Energielieferanten sowie Strafzahlungen an die Bundesnetzagentur, die ab Herbst 2011 schlechte Netzqualität ahnden will.