Global Crossing: Vom Carriers Carrier zum TK-Service-Anbieter

Kein TK-Anbieter darf nur auf ein Geschäft setzen

21.07.2000
Das Unternehmen ist eine der Perlen im weltweiten TK-Geschäft: Innerhalb von drei Jahren baute Global Crossing ein schnelles, globales Glasfasernetz auf. Als Carriers Carrier gestartet, richtet das Unternehmen seinen Fokus nun auf das Geschäft mit Großkunden aus. Mit Wim Huisman, CEO von Global Crossing Europe, sprach CW-Redakteur Jürgen Hill über den sich rasant ändernden TK-Markt.

CW: Global Crossing ist außerhalb der TK-Branche nur Analysten bekannt. Warum?

HUISMAN: Dafür gibt es eine einfache Erklärung. Wir waren in den ersten Jahren nur der Carrier für andere Telcos und hatten kein Endkundengeschäft. So hatten wir wenige, aber namhafte Kunden wie etwa Sprint, Deutsche Telekom oder Swisscom, um nur einige zu nennen. Nachdem wir nun auch TK-Services für Endkunden anbieten, müssen wir jedoch unseren Bekanntheitsgrad mit Anzeigenkampagnen und anderen Marketing-Aktivitäten steigern. Vor dem Hintergrund unserer Firmengeschichte war dies die richtige Vorgehensweise. Als Carriers Carrier hatten wir zwar die Weitverkehrsnetze und die Points of Presence (POPs), aber keine Stadtnetze, um die Endkunden zu erreichen. Immer mehr große, global operierende Unternehmen fragten uns, ob wir ihnen nicht Verbindungen von einem Standort zum anderen anbieten könnten - von Gebäude zu Gebäude und zwar interkontinental. Und deshalb bauen nun wir im zweiten Schritt mit City-Netzen und Data-Centers die Voraussetzungen für das Endkundengeschäft auf.

CW: Also eine Neuausrichtung vom Carriers Carrier zum TK-Service-Provider. Wo sehen Sie nun Ihre Wettbewerber?

HUISMAN: Lassen Sie mich dies an einem Beispiel verdeutlichen. Level 3 etwa ist ein anderer Anbieter von breitbandigen Netzen oder, wie ich es nenne, "Big Pipes". Allerdings konzentrieren sie sich ausschließlich darauf. Global Crossing selbst wird ebenfalls weiterhin Big Pipes vermarkten. Schließlich haben wir mehr große Carrier auf unserem europäischen Netz als irgendjemand anderes. Gleichzeitig besitzen wir aber jetzt die Infrastruktur, um Unternehmen sowie "Verticals" als Kunden zu gewinnen. Unter Verticals verstehe ich zum Beispiel Unternehmen wie IX-Net, die wir in diesem Jahr übernommen haben. IX-Net adressiert als Dienstleister den Finanzmarkt und stellt Anwendern wie Merryll Lynch, Goldman Sachs, der New Yorker Börse das Netz und die dazugehörigen Services.Von solchen vertikalen Märkten wollen wir ein bis zwei Dutzend erobern, indem wir Unternehmen wie IX-Net kaufen oder eigene Verticals aufbauen - oder indem solche Unternehmen unsere Services ganz einfach als Kunden nutzen.

CW: Wie sieht es mit anderen Wettbewerbern, etwa Equant, aus, das Ihr Haus wohl kaufen wollte?

HUISMAN: Ich persönlich habe nie gesagt, dass wir Equant übernehmen wollten. Das Unternehmen verfügt über eine interessante Kundenbasis. Allerdings hat es wie GTS und andere zwar ein geografisch weitreichendes Netz, aber diesen Providern fehlt die Bandbreite. Nicht umsonst ist Equant gerade dabei, ein robusteres und schnelleres Netz aufzubauen.

In diesem Sinn ist Equant ein klassischer Kunde von uns, denn wir können solchen Netzbetreibern weltweit die erforderlichen Glasfaserverbindungen anbieten. Allerdings wissen wir nicht was die Zukunft bringt. Die TK-Welt ist in diesen Tagen stark in Bewegung, und jeder arbeitet an neuen Deals, wie mir Paul Smits, der neue CEO von KPN, erzählte.

CW: Ist in Zukunft mit Bandbreite kein Geld mehr zu verdienen?

HUISMAN: Doch, auch in Zukunft kann ein Carrier vom reinen Bandbreitenverkauf gut leben. Allerdings nur so lange, wie er der kostengünstigste Anbieter ist. Das Geschäftsmodell lässt sich auf eine einfache Formel bringen: maximale Bandbreite zu den geringstmöglichen Kosten bereitstellen. In der Praxis hat dies zur Konsequenz, dass Sie fortwährend Ihr Netz auf die neuesten Standards aufrüsten müssen. Ein Beispiel hierfür ist unsere Transatlantikverbindung AC1, die wir kürzlich erst auf 240 Gigabit/s aufgebohrt haben. Und selbst das ist mittlerweile langsam, denn gemeinsam mit Level 3 bauen wir derzeit die AC2, die dann 2,6 Terabit/s offeriert. Ein reiner Anbieter von Bandbreite muss also ständig in die neueste Technik investieren. Deshalb ist es für uns interessant, über Verticals wie IX-Net den Verkehr von Finanzdienstleistern auf unser Netz zu holen. Die brauchen Bandbreite und vor allem Sicherheit. Oder nehmen Sie einen großen Autohersteller aus Deutschland, der nach Detroit oder Tokio will. Kein Problem, wir bieten ihm die Verbindungen - und zwar lückenlos und flexibel in unserem eigenen Netz. Unsere Zielgruppe sind also die großen, global agierenden Unternehmen, nicht die lokalen Anwender.

CW: Welche Services bietet Global Crossing den Business-Kunden?

HUISMAN: So gut wie alles, wir verkaufen "alte" SDH-Kapzitäten von E1 bis STM 4 oder 16, aber auch modernste Applikationen wie Voice over IP, Web-Hosting etc. Dank unserer Glasfaser-Infrastruktur können wir schnell und flexibel auf die Bedürfnisse des Marktes reagieren. Im Gegensatz zu anderen Playern mit älterem Equipment müssen wir neue Dienste nicht manuell einrichten und Kabel umstöpseln, sondern können das per Mausklick via Software. Eine andere Chance sehen wir im Trend zum Application-Hosting. Ein Mittelständler braucht große SAP-Programmpakete nicht unbedingt im eigenen Haus. Er fährt viel günstiger, wenn er diese Applikationen aus dem Netz bezieht und so mit einer kleineren DV-Struktur auskommt.

CW: Wenn Sie globale Unternehmen als Zielgruppe sehen, sind dann nicht Global One oder Concert Ihre neuen Konkurrenten?

HUISMAN: Global One war ein Kunde, und Concert ist einer unserer kleineren Kunden.

CW: Schön, aber wenn wir über Ihr neues Geschäftsmodell sprechen, dann sind das doch Konkurrenten?

HUISMAN: Ja, aber das war von Anfang an unser Ziel. Die Idee hinter der Transatlantikverbindung AC1 und dem paneuropäischen Netz PEC ist, die 200 wichtigsten Geschäftszentren dieser Welt zu vernetzen und später eigene Services zu vermarkten. Diese rund 200 Städte repräsentieren nämlich 70 bis 80 Prozent des globalen Verkehrs. Das war vor zwei Jahren unsere Strategie und ist es immer noch.

CW: Verärgern Sie damit nicht die Telcos als Ihre klassischen Kunden?

HUISMAN: Nein, alle Carrier kannten und kennen unsere Strategie und sind trotzdem unsere Kunden. In unserer Branche heißt das Spiel der Zukunft: Du bist mein Konkurrent, du bist mein Kunde, du bist mein Partner und in einigen Fällen der Mitkonstrukteur beim Netzaufbau. Zudem sind Player wie die Deutsche Telekom, an die wir gerade erst eine 20-Gigabit/s-Verbindung in die USA verkauft haben, oder France Télécom so groß und komplex, dass ein Anbieter wie Global Crossing im TK-Markt überall auf sie stößt. Oft ist dabei die eine Abteilung der großen Player unser Kunde, während wir mit der anderen im Wettbewerb stehen. Das ist ganz normal.

CW: Wenn dieses Spiel aus Zusammenarbeit und Konkurrenz so normal ist, warum funktionieren dann Großfusionen und Allianzen wie Global One in der Praxis eher schlecht als recht?

HUISMAN: Ich stimme Ihnen hinsichtlich der Allianzen vollkommen zu. Sie funktionieren nicht, wenn sie auf gutem Willen und freundlichen Gesichtern basieren; sie benötigen eine alles entscheidende Stimme. Dies fehlte bei Unisource oder Global One. Als ich 1995/96 Global One eine Kreditkarten-Plattform verkaufte, benötigten wir vier Unterschriften: eine von der Telekom, eine von France Télécom, eine von Sprint und die vierte schließlich von Global One. Das funktioniert nicht, Sie brauchen eine Situation, in der ein Unternehmen eine Stimme hat und damit entscheidungsfähig ist - das ist bei Akquisitionen und Fusionen der Fall.

CW: Warum aber gerade heute in dieser Vielzahl?

HUISMAN: Weil sich die Carrier neu positionieren. Niemand weiß nämlich, wie die TK-Landschaft in zwei bis drei Jahren aussieht. Wird UMTS ein großer Erfolg? Jeder hofft es, aber die Investitionssummen sind gewaltig. Wird DSL eine Success-Story? Für alle möglichen DSL-Spielarten geben die Carrier heute viel Geld aus. Oder wird der Desktop der Zukunft gar via TV-Kabelnetz ans Internet angebunden? Die Branche sieht sich mit riesigen Investitionen konfrontiert, ohne zu wissen, welche Technik sich durchsetzt. In dieser Situation versuchen sich die Carrier mit Zukäufen gegen die Unwägbarkeiten der Zukunft zu versichern, da es sich kein Unternehmen erlauben kann, nur auf einen Bereich zu setzen. Deshalb ist der gesamte Markt im Alarmzustand, und viele Player erwägen die unterschiedlichsten Optionen. Hinzu kommt, dass es künftig ein globales Spiel ist. Während heute noch 70 bis 80 Prozent des Internet-Verkehrs in den USA generiert werden, dürften in vier bis fünf Jahren Asien und Europa eine größere Rolle spielen. Deshalb ist es für die Telcos wichtig, zum globalen Player aufzusteigen.

CW: Welche Auswirkung hat dabei die geplatzte Übernahme von Sprint durch MCI/Worldcom auf den Markt?

HUISMAN: MCI/Worldcom wird sich anderweitig engagieren. Bernie Ebbers gehört nicht zu den Managern, die sich durch einen Rückschlag entmutigen lassen, zumal er bereits rund 30 Firmen erfolgreich übernommen hat. Außerdem ist sein Unternehmen so groß, dass es selbst für die Telekom zu teuer ist. Für Carrier, die die Finanzkraft haben, Sprint oder KPN zu kaufen, ist selbst Global Crossing ein Übernahmekandidat. Das kann zu jeder Zeit passieren. Viel interessanter ist dagegen, was mit AT&T geschieht. Das Unternehmen hat Probleme, da ihm jeder ein Stückchen von seinem Kuchen wegknabbert. Zudem fehlt AT&T eine klare Strategie: Sie gehen ins TV-Kabelgeschäft, sie engagieren sich mit Wireless im lokalen Bereich etc. Ich bezweifle, dass AT&T in der heutigen Form überlebt. Eventuell zerfällt das Unternehmen in Einzelteile.

CW: Wie geht Global Crossing in diese unsichere Zukunft, abgesehen von den Plänen, Verticals zu kaufen?

HUISMAN: Der Kauf von Verticals ist eine gute Versicherungspolice, denn sie füllen unsere Big Pipes mit Verkehr. Zudem setzen wir auf Kooperationen und Partnerschaften wie in Asien mit Softbank und Microsoft oder in Hongkong mit Hutchison Wamphoa. Allianzen sind für uns kein Thema, denn sie funktionieren nicht.

CW: Und was ist mit dem Thema Mobilfunk und UMTS?

HUISMAN: Wir haben uns bewusst gegen ein Engagement im Mobilfunkmarkt entschieden. Wenn ich sehe, was dort im Augenblick passiert, bin ich über diese Entscheidung nicht unglücklich. Allein das Thema UMTS-Lizenzen, wo eine große Unsicherheit herrscht, ob die Carrier die hohen Lizenzgebühren jemals wieder hereinbekommen. Die Preise, die in Großbritannien bezahlt wurden, waren verrückt. Die englische Regierung hatte viel Glück, als erste zu versteigern, denn auf der Bieterseite wird kaum jemand wird noch einmal so etwas Verrücktes abziehen. So sinkt die Zahl der Player rapide, da nicht viele bereit sind, diese Summen zu bezahlen. Zudem werden die Bieter in den kommenden Auktionen intelligenter vorgehen und die Preise nicht in diese Höhen treiben.

CW: UMTS, Breitbandzugänge etc. - wie sieht der TK-Markt in fünf bis zehn Jahren aus?

HUISMAN: Es wird fünf bis acht Global Player geben. Auf der Serviceseite erleben wir viele breitbandige Dienste wie etwa Video on Demand. Entsprechend steigt auch im Local Loop die Nachfrage. Oder nehmen Sie ein Online-Spiel wie Everquest von Sony, das über 30000 Menschen gleichzeitig spielen. Allein diese Spieler brauchen eine Bandbreite von 2 Gigabit/s. Der Transport von Bandbreite, wie auch ein Telefonat, werden künftig fast nichts mehr kosten. Das erklärt auch die Konzentration auf den Content in Form von Filmen, Applikationen etc., der künftig den Umsatz generiert.

CW: Und welche Technologie setzt sich im Local Loop durch, TV-Kabel, DSL oder Wireless?

HUISMAN: Rein persönlich setze ich auf die alten Telcos mit DSL. Zum einen haben diese in den Vermittlungsstellen den erforderlichen Raum für das DSL-Equipment, zum anderen besitzen sie mit dem Telefonnetz im Boden einen wahren Schatz. Nehmen Sie eine Telco, die seit 50 oder 100 Jahren existiert. Deren Kupferkabel sind längst abgeschrieben, halten aber noch zehn bis 30 Jahre, da sie gemäß den ITU-Spezifikationen für einen langen Lebenszyklus ausgelegt sind. Die Koaxkabel der Fernsehnetze haben eine deutlich geringere Lebenserwartung. Allein aufgrund dieser Tatsache haben die Carrier einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil: Sie besitzen eine abgeschriebene, flächendeckende Infrastruktur, mit der sie spielen können. Wenn die Telekom in Deutschland DSL durchsetzen will, dann kann sie das auch. Sie hat als einzige das Geld für die DSL-Technologie, den Platz in den Vermittlungsstellen, und das Netz. Entsprechend groß ist ihr Marktpotenzial für die Zukunft.

Abb:Ein schnelles Glasfasernetz verbindet die EU-Metropolen. Quelle: Global Crossing