Eine Datenkasse macht noch kein Warenwirtschaftssystem:

Kein Nürnberger Trichter für Tante Emma

10.06.1983

Unzählige interessante Neuentwicklungen auf dem Hard- und Softwaresektor konnten DV-Anwender und -Interessenten auf der "Messe der Messen" In Hannover bewundern: wer allerdings nach praktikablen und vor allem umfassenden Warenwirtschaftslösungen für den kleinen bis mittleren Einzelhandel suchte, der tat sich schwer, fündig zu werden. Hans-Jörg Köninger aus Nürnberg ging in der Leinestadt auf die Suche.

Klassische DV-Lieferanten für den Einzelhandel, wie zum Beispiel NCR, Nixdorf und IBM, bieten schon seit Jahren ausgereifte Komplettlösungen an, die jedoch wegen der organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen mehr für Kaufhäuser, SB-Ketten und größere Filialisten geeignet sind. Dabei hatte der kleine bis mittlere Fachhandelsbetrieb schon immer - ebensowie die Großen - einen hohen Bedarf an Führungshilfen und

Informationen über den gesamten Warenkreislauf.

Man war sich jedoch von vornherein im klaren darüber, daß nur komplette und umfassende DV-Lösungen sinnvoll und zukunftsweisend sind. "Insellösungen", die beispielsweise nur die Auszeichnung rationalisieren, oder eine moderne Datenklasse mit täglichen Umsatzstatistiken bringen keine durchgreifenden Erfolge. Oft blockieren sie sogar ein sich anbietendes DV-System, das alle Bereiche des Einzelhandels integriert abdeckt. Bekanntlich führen ebenso viele Wege nach Rom, wie es DV-Lösungen für den Einzelhandel gibt. Die Forderung des Einzelhandels geht jedoch vom Prinzip her eindeutig in folgende Richtung:

- Wareneingangserfassung und Auszeichnung in einem Arbeitsgang, möglichst mit computerlesbaren und informationshaltigen Etiketten;

- Verkaufsdatenerfassung entweder automatisch über die Kasse (per Online-Anschluß an einen Computer im Hintergrund oder durch Datenträger, zum Beispiel Diskette), oder aber zumindest Rücklesung der Etiketten im Büro mittels Lesepistole;

- automatische und aktuelle Auswertung der Ein- und Verkaufsdaten in eine aussagekräftige (und lesbare) KER, Lagerbestandsführung und Dispositionshilfe.

Natürlich müssen alle dazu notwendigen Hard- und Softwarekomponenten miteinander kompatibel sein, denn was nützt die schönste Computerkasse wenn sie Disketten erstellt, mit denen der vorhandene Rechner nichts anfangen kann, oder wenn dieser Computer Etiketten erstellt die von der Lesepistole an der Kasse nicht gelesen werden können. Das klingt zwar alles selbstverständlich, aber genau hierin liegt bisher das Problem. Selbstverständlich müssen nebenbei auch die Finanz- und Lohnbuchhaltung, die Inventur und die Textverarbeitung rationell abgewickelt werden.

Gute Spürnase für neuen Marktbereich

Schon vor zehn Jahren haben einige DV-Anbieter diesen Markt "entdeckt" und erkannt, daß selbst das kleinere Einzelhandelsunternehmen für die DV-Industrie mehr als nur ein Registrierkassenkunde ist. Immerhin umfaßt dieser Markt fast zehn Prozent aller deutschen Betriebe.

Auf den ersten Blick erscheint es daher unverständlich, daß immer wieder vielversprechende DV-Lösungen eingemottet wurden (Beispiel Siemens, Triumph-Adler, Kienzle, Rhein-Main, GfA exdata), bevor sie breite Anwenderkreise erfaßten. Das Interesse des Einzelhandels und seiner Verbände war sehr groß. Gaben diese EDV-Hersteller trotzdem ihre Warenwirtschaftslösungen frühzeitig wieder auf, so gibt es dafür mehrere Gründe:

- Erst zu Beginn der Markteinführung wurde klar, daß ein komplettes System für den Einzelhandel wesentlich höhere Anforderungen an die EDV (und damit Kostenrisiken) mit sich bringt, als ursprünglich angenommen.

- Branchenspezialisten waren und sind dünn gesät. Der DV- und Organisations-unerfahrene Einzelhändler benötigt jedoch umfangreiche und qualifizierte Beratungshilfe, die vom vorhandenen DV-Vertrieb nicht bewältigt werden kann.

- Hard- und Software sind für den kleinen bis mittleren Betrieb immer noch zu teuer, obwohl sie gleichzeitig dem DV-Hersteller wenig Dekkungsbeitrag bringen.

- Interessierte Einzelhändler sind mit (vorläufigen) Teillösungen nicht zufrieden, sondern wollen für weniger Geld noch perfektere Lösungen, allerdings ohne grundlegende Eingriffe in die bestehende Organisation.

Bei solchen beiderseitigen falschen Erwartungen und Voraussetzungen ist es also nicht verwunderlich, daß der zahlenmäßige größte Teil des Einzelhandels eben immer noch als "EDV-Stiefkind" zu betrachten ist.

Eine Besserung dieser unbefriedigenden Situation läßt der PC (Personal Computer) erhoffen, dessen noch vor wenigen Jahren undenkbares Peis-/Leistungsverhältnis im Mittelpunkt der Hannover-Messe 1983 stand. Über 300 Anbieter von PCs rangelten um die Gunst des Kunden. Die meisten davon - einschließlich großer und renommierter Hersteller - hatten allerdings mit der Einzelhandelsbranche wenig am Hut. Bei der Frage nach "KER" und "Warenwirtschaft" mußte der Interessent diese Begriffe oft erst einmal übersetzen, um den DV-Verkäufern klarzumachen, was er suchte.

Immerhin machen aber einige DV-Hersteller wieder zaghafte Versuche, über die längst überfällige Verbindung von PC und Datenkasse zu einem preiswürdigen und leistungsfähigen System zu kommen.

Nachstehend sind diese kurz aufgeführt:

ADS

Hier scheint endlich der Durchbruch zum Verbund der ADS-Kassen mit Rechnern namhafter Computerhersteller wie Triumph-Adler und Taylorix gelungen zu sein. Zwar war auf der Hannover-Messe noch keine fertige Konfiguration zu sehen, jedoch müßte ADS bis zum Herbst 1983 damit auf den Markt kommen.

Apple

Der bisher einzige Mikrocomputerhersteller, der eine Kasse (TEC MA 136) mit einem PC (Apple II) verband. Die vom Softwarehaus HMMS entwickelte Lösung ist für den Fotofachhandel konzipiert, aber auch für andere Fachhandelsbereiche denkbar. Es können rund 12 000 Artikel über zwei Filialen verwaltet werden. Die TEC-Kasse ist dabei an einen Datenpuffer (64 KB) angeschlossen, von dem dann die Verkaufsdaten auf 8-Zoll-Floppies (je zwei Megabyte) zum Apple II übertragen werden. Die Kasse samt Puffer kostet etwa 6000 Mark, die gesamte Lösung ungefähr 40 000 Mark.

Cado

Bereits 1981 stellte das Unternehmen eine Kassenlösung im Prototyp vor. Inzwischen laßt sich der Cado-Mikrocomputer (mit Diskette oder Winchesterplatte) mit der Prodata-Kasse verbinden, die ebenfalls mit einer kleinen Winchesterplatte ausgerüstet, und frei programmierbar ist. Das dazugehörige Softwarepaket "Commerz" enthält alle Kassenfunktionen und die Lieferscheinerstellung. Die Hardware kostet je nach Konfiguration (Kasse und Mikro) zwischen 40 000 und 47 000 Mark.

Casio

Der japanische Registrierkassen- und Taschenrechnerhersteller überraschte mit einer fertigen, preisgünstigen Komplettlösung, bestehend aus dem Personal-Computer-System FP 1001 mit Disketten- und Druckerstation, die sich an die Kassen vom Typ 204 SR oder 7100 SR anschließen laßt. Die (vorerst leider nur in Englisch geschriebene) Software macht bereits einen sehr ausgereiften Eindruck und bringt vor allem auch Statistiken in grafischer Darstellung über Bildschirm und Drukker. Inklusive Software soll das gesamte Paket weniger als 20 000 Mark kosten. Vertrieb und Beratung scheinen allerdings noch nicht zufriedenstellend gelöst zu sein.

NCR

Über den neuen Personal Computer NCR Decision Mate V wird auch ein Warenwirtschaftsprogramm angeboten. Der Anschluß an NCR-Kassen ist vorläufig noch nicht realisiert, jedoch für die nahe Zukunft vorgesehen. Bis dahin sollen dann auch Etikettierung und eine ausführliche KER möglich sein.

Nixdorf

Das bereits erwähnte Softwarepaket für den Einzelhandel erfuhr - in Verbindung mit dem Nixdorf-System 8870 - weitere Verbesserungen. Nixdorf sieht in der kleinsten möglichen Konfiguration bereits Betriebe ab zwei Millionen Jahresumsatz als mögliche Anwender.

Olivetti

Nach der Übernahme des Kassenherstellers DTS kümmert sich Olivetti nun verstärkt um den Einzelhandel, vorerst allerdings nur im Lebensmittelbereich. Vorgestellt wurde der Olivetti-Personal-Computer M 20 im Verbund mit der DTS-Kasse 5540. Als "Gag" ist an die Kasse ein Handscanner angeschlossen, der den teuren Tischscanner ersetzt. Das komplette Verbundsystem wird etwa 60 000 Mark kosten, wobei man auch hier noch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium ist.

Omron

Dieser japanische Kassenhersteller hat über GfA exdata schon seit fast zehn Jahren einschlägige Erfahrungen mit Kassenverbundlösungen. Jedoch konnte man sich bisher offensichtlich noch nicht zu einer eigenen Komplettlösung entschließen, obwohl die Hardwarevoraussetzungen im Hause Omron vorhanden wären. Dafür bietet man mit den überwiegend sehr leistungsfähigen Datenkassen gängige Schnittstellen zu "fremden" Mikros an, da man an eine eigene - offensichtlich noch nicht so recht glaubt.

Taylorix

Dieses renommierte EDV-Unternehmen bietet schon seit über zehn Jahren über sein Service-Rechenzentrum eine KER an. Nach mehreren Versuchen mit ADS-Kassen scheint man nun auf dem richtigen Weg zu sein. Man steht kurz vor der Realisierung einer Verbundlösung zwischen der ADS-Kasse und dem hauseigenen Mikrocomputer.

Triumph-Adler

Nachdem man hoffnungsvolle Anfänge mit der Datenkasse TA 35 im Verbund mit Datev und GfA exdata hatte, fiel dieses Projekt dem Krisenmanagement zum Opfer. So ganz vergessen wollte man den Einzelhandelsmarkt aber offensichtlich doch nicht, so daß man sich mit ADS zusammentat. Zusammen mit dem Softwarepartner COS wurde auf der Hannover-Messe das System Dataland 1600 vorgestellt, ein umfangreiches Warenwirtschaftssystem für den Einzelhandel, bestehend aus dem Mehrplatzsystem TA 1600, der ADS-Datenkasse und dem Softwarepaket Dataland. Diese bereits recht ausgereifte Lösung verursacht allerdings Anschaffungskosten von fast 80 000 Mark.

Walther

Dieser Hersteller hat zwar die Kasse selbst nicht in sein Konzept einbezogen, trotzdem handelt es sich um eine durchdachte Lösung, die zumindest einen großen Teilbereich gut abdeckt. Über das Terminal Walther EF 33 lassen sich Wareneingänge erfassen und dabei computerlesbare OCR-Etiketten erstellen. Über dasselbe Gerät können nach erfolgtem Verkauf die Etiketten wieder mit Hilfe einer Lesepistole "zurückgelesen" werden. Die Auswertung der Daten kann dann entweder über das Terminal selbst geschehen (in einfacher Form) oder aber über ein Service-Rechenzentrum.

Wie man sieht, Ansätze zu kompletten und preisgünstigen Lösungen sind vorhanden. Bleibt abzuwarten, was in der Praxis daraus wird. Sicher ist, daß der interessierte Anwender bei jeder Lösung erhebliche organisatorische Änderungen vornehmen muß. Denn der Nürnberger Trichter auf dem EDV-Sektor ist leider immer noch nicht erfunden!