E-Learning/Online-Lernen in betriebswirtschaftliche Prozesse integrieren

Kein Fass ohne Boden

31.01.2003
Mitarbeiter werden aufwändigen Ausbildungsmaßnahmen unterzogen, die in kein Konzept eingebettet sind. Dabei können Firmen aus dem Einsatz von E-Learning im Rahmen von blended (gemischter) Curricula Nutzen ziehen, wenn sie die Lernumgebung in ihre betriebswirtschaftlichen Prozesse integrieren. Von Gunter Heiduck*

Dass die teure Ressource Wissen für viele Unternehmen eine unkalkulierbare Größe ist, bereitet nicht nur Controllern Unbehagen. Leidgeprüft müssen viele Personalverantwortliche einräumen, dass ein Lernangebot "nach Gusto", also ein Survival-Training hier, eine interaktive Unterrichtung dort, nicht unbedingt zum erhofften Ergebnis beiträgt. Was einst ein klassischer Vorwurf in Richtung vieler IT-Abteilungen war, nämlich ein Sammelsurium aus inkompatiblen Systemen zu betreiben, diesen Schuh müssen sich nun die Personaler anziehen. Obwohl die Ausbildungskosten relativ leicht zu ermitteln sind, wird der Nutzen für Unternehmen und Mitarbeiter häufig nicht ausreichend dargestellt. Doch die Wissensvermittlung im betrieblichen Umfeld ist eindeutig zweckgebunden.

Standen bislang beim Thema E-Learning vor allem Technologie, Inhalte und Services im Vordergrund, wird man sich künftig verstärkt um die Integration von E-Learning in Geschäftsprozesse kümmern müssen. Wissen zu generieren und es produktiv in Entwicklungsprozesse und für die Kundenbindung zu nutzen setzt voraus, Bildungsprodukte konzeptionell zu planen, ihre Realisierung strategisch managen und ihren Beitrag zur Wertsteigerung beziffern zu können. Wie die CW in einer Umfrage unter Unternehmen ermittelte, konkretisieren zwar immer mehr Verantwortliche ihren Weiterbildungsbedarf, jedoch überprüft nur etwa jede dritte Kundenfirma auch den Nutzen einer Schulungsmaßnahme. Bildungs-Controlling, so das Ergebnis der Umfrage, leisten sich erst 20 Prozent aller Unternehmen. Der Erfolg einer Weiterbildung wird oft allein danach bemessen, wie viele Teilnehmer einen Kurs besuchten, anstatt zu evaluieren, ob sich das Know-how tatsächlich vergrößert, die Leistungen oder die Qualität eines Prozesses tatsächlich verbessert haben.

Weiterbildung und E-Learning erzielen erst einen Return on Investment (RoI), wenn sie als Bestandteil von übergreifenden Prozessen erkannt und die mögliche Verknüpfung mit Steuerungsinstrumenten wie Human-Capital-Management (HCM) oder Customer-Relationship-Management (CRM) unter die Lupe genommen wird.

Bildungsplaner im luftleeren Raum

Halten wir uns die folgenden Beispiele vor Augen: Firma A vertraut beim E-Learning auf eine "Stand-alone"-Lösung, sie bestreitet die Aus- und Weiterbildung weitgehend aus eigenen Ressourcen. Ohne Schnittstelle zu personal- und anderen betriebswirtschaftlichen Anwendungen werkeln die Bildungsplaner im luftleeren Raum: Weder lässt sich das bereits vorhandene Know-how noch der Bildungsaufwand exakt bestimmen. Sämtliche Planungsschritte finden abgelöst von den Kernsystemen eines Unternehmens statt, wodurch zusätzliche Kosten entstehen.

Firma B ist da schon weiter. Unter dem Dach eines "Profit Centers" schult sie eigene Mitarbeiter und offeriert ihre Lernprodukte auch Kunden und Partnern. In der Regel sind solche Einrichtungen schon sehr viel besser ausgestattet, um den Kunden Aufschluss über Aufwand und Nutzen von Bildungsmaßnahmen zu geben. Mit der Anbindung an ein Customer-Relationship-Management wäre aber auch dieses Unternehmen einen Schritt weiter: Lerneinheiten könnten kundenorientierter angeboten werden. Firma C schließlich ist ein externer Schulungsdienstleister. Hier empfiehlt es sich, seine Ausbildungsangebote in die Kontroll- und Steuerungssysteme zu integrieren. Nur so lässt sich der Wertbeitrag der eigenen Leistungen auf die des Unternehmens hochrechnen und können den Kunden speziell zugeschnittene und auf bisherige Lernprojekte aufbauende Maßnahmen angeboten werden.

Weiterbildung muss sich auszahlen

Die Beispiele verdeutlichen, dass Weiterbildung ohne unmittelbaren Nachweis ihrer Effizienz unweigerlich ihre Berechtigung zu verlieren drohen. Gerade angesichts verschärfter Marktbedingungen müssen Unternehmen genau erfahren, was die Investition in ihre Köpfe bringt. Künftig klopfen Entscheidungsträger jedes Angebot genau darauf ab, ob es in der Lage ist, vorhandene Qualifikationen zu berücksichtigen, den Ausbildungsbedarf anhand der Zielvorgabe Wettbewerbfähigkeit inhaltlich zu präzisieren, den Trainingsaufwand für jeden Mitarbeiter zu quantifizieren, individuelle Trainingsprogramme zu erstellen sowie alternative Ausbildungs- und Kostenszenarien zu evaluieren.

Das A und O nutzenorientierter Ausbildungsprogramme ist eine sorgfältige Standortbestimmung und ein darauf aufbauender, möglichst auf den einzelnen Mitarbeiter zugeschnittener Lernfahrplan. Ist ein Unternehmen beispielsweise in Fernost aktiv, kann es seinen Mitarbeitern ohne integrierte Weiterbildungsplanung zwar einen Japanischkurs verordnen, per Assessment und fein gerastertes Programm aus Lernobjekten aber möglicherweise die sinnvolleren Lerneinheiten für betriebswirtschaftliches Japanisch auf Einsteiger- oder Fortgeschrittenem-Niveau offerieren. Nach Abschluss der Weiterbildung wird das Erlernte nicht nur getestet, sondern auch in das Qualifikationsprofil des Mitarbeiters aufgenommen. Sprich: Der Zugewinn an Kompetenz jedes Mitarbeiters wird zu einem Aktivposten für die Personalplanung eines Unternehmens.

Beispielsweise kann ein international tätiges Unternehmen rasch ermitteln, welchen Kostenaufwand der personelle Aufbau einer neuen Fertigungsanlage in Lateinamerika verursacht; welches Know-how - etwa Spanischkenntnisse bei deutschen, Fachkenntnisse bei argentinischen Mitarbeitern - vorhanden ist; ob es günstiger ist, die Mitarbeiter komplett vor Ort selbst auszubilden, einen Dienstleister mit der Ausbildung zu beauftragen oder deutsche Techniker nach Übersee zu schicken.

Umfragen zeigen, wie gering die Investitionen ins elektronisch gestützte Lernen bislang ausfallen und dass einzelne Anwendungen allenfalls Pilotcharakter haben. Vor allem in mittelständischen Unternehmen scheint das Misstrauen gegen die digitalen Lernmethoden noch sehr groß zu sein. Anders dagegen sind die Weiterbildungsinitiativen der Industrie zu beurteilen. Lernen im Netz überzeugt schon zahlreiche Banken und Versicherungen sowie große Chemieunternehmen als fortschrittliches Lernumfeld.

Hier hat die elektronische Weiterbildung bereits die klassische Präsenzveranstaltung überholt. IBM wickelt schon 45 Prozent der Weiterbildung per E-Learning ab. Höhere Qualität sowie über 40 Millionen Dollar Einsparungen im Weiterbildungsetat lauten die schlagenden Argumente. Das belegt: E-Learning und RoI gehören untrennbar zusammen. Zu dieser Schlussfolgerung kam auch der US-amerikanische Hersteller von Landmaschinen John Deere. Auf Basis einer integrierten E-Learning-Plattform steuert das Unternehmen bereits 1800 Kurse. Ebenso hat der Ölgigant Exxon Mobile seine Weiterbildung in die betriebswirtschaftlichen Anwendungen integriert. Lernprogramme für 180000 Mitarbeiter weltweit werden über das HR-Modul geplant, umgesetzt und auf ihren Effekt überprüft.

Größtmöglicher Komfort für Anwender

"Lernen", sagte der chinesische Philosoph Laotse, "ist wie Rudern gegen den Strom. Wer aufhört, treibt zurück." Um das zu vermeiden, bieten moderne Lernumgebungen dem Anwender größtmöglichen Komfort. Über ein Portal greift er auf alle Angebote zu, selbstverständlich personalisiert und auf seine Bedürfnisse zugeschnitten, sei es ein Web-based Training in Wirtschaftsenglisch für Fortgeschrittene, ein Computer-based Training zu Windows NT oder ein Kurs in Präsentationstechnik, der außer Haus veranstaltet wird. Das Portal vermittelt dem Anwender zahlreiche Informationen, führt ihn durch das Angebot und hilft ihm, seine Weiterbildung angemessen und situationsgerecht selbst in die Hand zu nehmen.

Persönliches Lernkonto

Dazu trägt auch das persönliche Lernkonto bei. Es enthält eine Übersicht über absolvierte und bevorstehende Trainings und vermittelt Einblick in persönliche Qualifikationen und Lernstrategien. Automatisch offeriert das Learning-Management-System konkrete Lernangebote, die es aus dem Delta zwischen Qualifikationsprofil und -bedarf ableitet. Es verfolgt den Lernfortschritt und steuert Lernprozesse. Der Anwender erfährt so jederzeit, wo er steht und welche Lernschritte er noch vor sich hat. Individuell wählbare didaktische Lernstrategien führen durch den einzelnen Kurs und sorgen für die dynamische Anpassung des Kursverlaufs an Lernsituation und Präferenzen des Teilnehmers. Hat er eine Lerneinheit erfolgreich abgeschlossen, werden die Qualifikationen automatisch in seinen Personalstamm übertragen.

Entscheidend ist es, dass die Lernplattform im Einklang mit den weltweit etablierten Standards für E-Learning steht. Dadurch sind Ausbildungsprogramme wiederverwendbar und lassen sich an unterschiedliche Gegebenheiten dynamisch anpassen. Basis hierfür ist die Scrom-Spezifikation (Srom=Sharable Content Object Reference Model), die von ADL (Advanced Distributed Learning, eine Initiative des Verteidigungsministeriums) in den USA und mit Empfehlung internationaler Organisationen wie AICC, IEEE oder IMS entwickelt und vorangetrieben wird. (hk)

*Dr. Gunter Heiduck ist Vice President für Human-Capital-Management bei der SAP AG in Walldorf.