Briefe

Kein Bedarf an Hilfspolizisten

16.05.1997

Warum soll ein Provider einschreiten müssen, wenn er "Pornografie" oder Schlimmeres "entdeckt"? Darf er denn überhaupt in den Privatsachen seiner Kunden herumschnüffeln? Und wenn ein User im Netz auf etwas Rechtswidriges stößt: Warum sollte er sich an den Provider wenden? Weil der nun per "Multimedia-Gesetz" zum Hilfspolizisten ernannt wird? Provider sind Bürger wie jeder andere auch und können sich daher, wenn sie Kriminelles bemerken, an die zuständige Stelle, die Polizei, wenden. Die, und nur die, hat die Aufgabe, nach den Tätern zu suchen, dem Kinderschänder und seinem Fotografen.

Bereits der Straftatbestand der "Verbreitung von Pornografie" ist eine Hilfskonstruktion, bei der es aber endgültig sein Bewenden haben sollte. Das Gesetz regelt ja schon, wo ein Bürger einschreiten muß, wenn es um Straftaten geht: am Tatort nämlich, wo Wegschauen zur "unterlassenen Hilfeleistung" wird, die bestraft werden kann. Kindsmißbrauch findet aber selten auf einer Homepage oder einem Internet-Server statt.

Jeder Tankstellenbetreiber muß die Mineralölsteuer abliefern; liefert er zuwenig, wird er bestraft. Jeder Händler muß die Umsatzsteuer abliefern; liefert er zuwenig, siehe oben. Jeder Arbeitgeber muß Lohnsteuer und Sozialabgaben abliefern, ... siehe oben. Muß deshalb auch jeder Provider die Zeugnisse der Unmoral seiner Kunden abliefern? Das wäre barer Unsinn.

Wer ist überhaupt Provider? Jeder, der einen etwas größeren Computer hat als du und ich, kann sich durch nichts weiter als eine Gewerbeanmeldung zum Internet-Knöterich qualifizieren. Und so jemand soll entscheiden dürfen und zugleich unter Strafandrohung entscheiden müssen, ob der durch eine Brustwarze oder ein Schamhaar hervorgerufene Aufschrei des Herrn Saubermann berechtigt ist oder nicht?Heinz Brückner, Augsburg

Es geht auch ohne Microsoft

Betrifft CW Nr. 19 vom 9. Mai 1997, Seite 6: "Sich der Realität stellen" (Leserbrief)Normalerweise habe ich nicht die Zeit und die Lust, auf Leserbriefe oder Berichte zu reagieren - der Leserbrief von Herrn Heimer kann aber meines Erachtens nicht unwidersprochen bleiben.

Wenn Herr Heimer zur Zeit mit Microsoft-Produkten Geschäfte macht, dann ist das schön für ihn, und es ist verständlich, daß er sich artig bei Bill Gates dafür bedankt. Wir dagegen haben vor fast einem Jahr aufgrund der Microsoft-Produktpolitik den Beschluß gefaßt, alle Produkte dieses Unternehmens von unseren Rechnern zu nehmen. Dieser Beschluß wurde inzwischen bis auf einige wenige DOS-Emulatoren (DOS 5 und DOS 6) in die Praxis umgesetzt. Vor fünf Monaten habe ich auch den letzten verbliebenen Novell-Server abgeschaltet. Die Maschinen, die wir heute einsetzen, arbeiten ohne Ausnahme unter Linux. Wir verwenden sie als Intranet-Server, WWW-Server, Fax-Server, Router, Firewall, File-Server, SQL-Server und als Internet-Gateway.

Seit wir diese Systeme einsetzen, haben wir keine Router, keine Backup-Software, keine speziellen ISDN-Karten, keine "Runtime-Lizenzen", keine Betriebssysteme mehr kaufen müssen. Fehlen uns Funktionen im Betriebssystem, dann programmieren wir sie.

Die Verwaltung und das Handling ein- und ausgehender Telefaxe ist so realisiert, daß es den Vergleich mit jedem MS-Produkt standhält - nur kostet es halt nichts...

Stellt sich ein Produkt als unzureichend heraus, dann werfen wir es weg - der wirtschaftliche Verlust ist in diesem Falle die Zeit, die wir für das Testen benötigt haben. Im Gegensatz dazu haben wir hier diverse Softwareprodukte großer Hersteller im Wert von etlichen zigtausend Mark herumliegen, die wir zwar gekauft, jedoch mangels Eignung nie eingesetzt haben.

Warum sollte man einen Konzern wie MS unterstützen, wenn die Produkte in der Regel sowieso nicht das halten, was uns die Werbung glauben machen will? Wie weit kann man denn überhaupt einem Konzern (oder Lieferanten) trauen, der in seinen großformatigen Werbeanzeigen bereits jetzt wissen will "where do you want to go today?"

Die Tatsache, daß Novell seit dem Weggang von Ray Noorda mit seinem Schlingerkurs die Anwender ebenso verunsichert, wie es Microsoft so gerne tut, sollte uns allen so weit zu denken geben, daß wir jedem, der mit guten Ideen und Produkten an den Fassaden der großen Hersteller kratzt, jede nur erdenkliche Unterstützung entgegenbringen.

Von daher begrüße ich jede Berichterstattung, die nicht vor Bill Gates kuscht, außerordentlich und kann daran - im Gegenteil zu Herrn Heimer - nichts Verwerfliches oder Realitätsfernes entdecken.

Ralf Burger, Geschäftsführer der CSB GmbH und der Insider Internet GmbH, Haren (Ems)