Die Goldgräberstimmung im deutschen TK-Markt ist passee

Kein Anschluss für den Wettbewerb

05.10.2001
MÜNCHEN (gh) - Die Diskussion um das vemeintliche Milliardengrab UMTS und pessimistische Wachstumsprognosen für den Mobilfunk sind nur die eine Seite der Medaille. Auch im Festnetz liegt vieles im Argen. Von einem florierenden Wettbewerb kann dort knapp vier Jahre nach der Marktöffnung kaum die Rede sein.

Für nicht wenige Branchenkenner war es ein Fanal, als der Festnetzbetreiber Arcor Ende August am Rande der Berliner Funkausstellung ankündigte, die "Marke" Otelo vom Markt zu nehmen. Schließlich ging es nicht nur um eine reine Marketing-Maßnahme, sondern um die Liquidation eines Unternehmens, das - zumindest in den Sturm- und Drangzeiten des deutschen TK-Marktes nach der Öffnung im Jahr 1998 - mit zu den lautstärksten Herausforderern des Ex-Monopolisten Deutsche Telekom zählte. Dass es um den geschäftlichen Erfolg von Otelo indes weniger gut bestellt war, ließ sich schon absehen, als der Düsseldorfer Mannesmann-Konzern vor gut zwei Jahren die TK-Gesellschaft von den Energieriesen Veba und RWE übernahm und in den eigenen TK-Ableger Arcor integrierte. Für Arcor-Chef Harald Stöber stand schon damals fest, dass an einer Eingliederung kein Weg vorbeiführt: "Die Zeiten, in denen sich ein TK-Unternehmen eine Zwei-Marken-Politik leisten kann, sind vorüber."

Wahrscheinlich hätte Stöber noch hinzufügen müssen: "Zumindest im deutschen Festnetzmarkt." Denn sowohl Otelo als auch Arcor waren beziehungsweise sind ausschließlich in diesem Segment tätig, das sich für die neuen Anbieter nicht als die ursprünglich erhoffte Lizenz zum Gelddrucken entpuppt, sondern als mühsames Geschäft. Allein die Aufwendungen für Vertrieb und Marketing sowie für einen doppelten Netzbetrieb würden sich auf jährlich 90 Millionen Euro belaufen, führte der Arcor-Vorstandsvorsitzende in Berlin aus, als er das Ende der auf Privatkunden ausgerichteten Marke Otelo ankündigte. Die Summe war offensichtlich für den inzwischen neuen Arcor-Mehrheitsgesellschafter Vodafone groß genug, um den Daumen im Hinblick auf Stöbers Zweimarkenstrategie zu senken. Denn sowohl Otelo als auch Arcor arbeite(te)n seit ihrem Start Anfang 1998 chronisch defizitär. "Damit schaffen wir dann gerade noch für das Jahr 2004 den Durchbruch beim Gewinn", gab Stöber nun als neue Richtschnur aus. Kein sehr ambitioniertes Ziel für den streitbaren TK-Manager, der zu den härtesten und profiliertesten Kritikern von Telekom-Chef Ron Sommer zählt.

Ein noch besseres Schlaglicht auf den deutschen Markt bei Festnetzdiensten werfen allerdings zwei andere Kennziffern der Düsseldorfer: Zusammen mit dem Otelo-Kundenbestand hat die Arcor-Gruppe, die im vergangenen Jahr 2,35 Milliarden Mark Umsatz erzielte, ganze 2,5 Millionen Vertragskunden und hält als mit Abstand größter Konkurrent der Telekom einen Marktanteil im Festnetzgeschäft von lediglich sieben Prozent.

Unausgegoren und waghalsigDas Problem, das hinter den Arcor-Zahlen (und den noch viel schlechteren Ergebnissen der meisten anderen Telekom-Wettbewerber) steckt, hat mehrere Ursachen. Zum einen spielt die deutsche Regulierungsbehörde als Hüter des Liberalisierungsprozesses eine zweifelhafte Rolle, zum anderen waren viele Geschäftsmodelle der Telekom-Wettbewerber unausgegoren und waghalsig. Denn fast alle neuen Carrier starteten - meist mit Hilfe gemieteter Leitungen der Telekom - im margenträchtigen Business mit Ferngesprächen. Dort konnten sie durch den Siegeszug des Call-by-Call-Verfahrens, bei dem Kunden sporadisch einen Anbieter durch Eingabe einer Netzvorwahl anwählen, teilweise einen Marktanteil von 40 Prozent erzielen. Die Folge war allerdings ein mörderischer Preiskampf, da man beim Call-by-Call seine Kunden bekanntlich schnell wieder verliert, wenn ein anderer Discounter mit neuen Tiefstpreisen lockt. Binnen drei Jahren sank so der Minutenpreis für Ferngespräche tagsüber von 60 auf teilweise unter sechs Pfennig. Vielen Anbietern stellt(e) sich deshalb in mehrfacher Hinsicht die Existenzfrage: Der Preisverfall führte dazu, dass man die meisten Services inzwischen nicht mehr kostendeckend anbieten kann, mangels einer nennenswerten Zahl an Vertragskunden, die sich längerfristig binden, fehlt es zudem an Planungssicherheit. Hinzu kommt ein großes Dilemma des deutschen TK-Marktes seit der Liberalisierung im Jahr 1998: Mit Ausnahme weniger Netzbetreiber wie Arcor, BT (Viag Interkom), Worldcom oder Colt Telecom gelang es keinem neuen Anbieter, bei Festnetzdiensten im deutlich margenträchtigeren Geschäftskundensegment Fuß zu fassen.

Insolvenzen oder Zahlungsschwierigkeiten von Firmen wie Teldafax, Star Telecom, Callino oder Viatel, bei denen die Telekom im Frühjahr und Sommer aufgrund ausstehender Forderungen in Millionenhöhe durch publicityträchtige "Netzabschaltungen" von sich reden machte, waren deshalb für Experten längst keine Überraschung mehr. Für die Telekom-Konkurrenten indes waren sie Anlass, Alarm zu schlagen.

Umstrittene EntscheidungenEtwa 80 Prozent der derzeit rund 120 privaten TK-Unternehmen in Deutschland, die eine Lizenz für die Sprachübertragung besitzen, würden in den kommenden zwölf Monaten entweder durch Konkurs oder Fusionen "die Flagge streichen", ging unlängst Joachim Dreyer, Präsident des Verbandes der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM), auf die Barrikaden. Damit seien etwa 20000 der insgesamt 60000 Arbeitsplätze in der Branche gefährdet. Dabei würde allerdings "nicht die Spreu vom Weizen getrennt, sondern mit der Sense geschoren". Auch der Schuldige steht für den VATM-Lobbyisten fest: die Deutsche Telekom. Der Ex-Monopolist habe seit der Öffnung des Marktes die so genannten Vorleistungspreise für die private Konkurrenz, etwa die Gebühren für den Netzzusammenschluss (Interconnection) oder die Mehrkosten für technische Einrichtungen an Knotenpunkten (Kollokationsräume) hochgetrieben. Mit auf die Anklagebank gehört nach Ansicht der Telekom-Wettbewerber aber auch die Bonner Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (Reg TP), deren Entscheidungen naturgemäß sowohl beim Ex-Monopolisten als auch bei dessen privater Konkurrenz seit eh und je umstritten sind.

Wettbewerb steckt festJüngstes Beispiel ist das Problem der Teilnehmeranschlussleitung (TAL) im Ortsnetzbereich, bei dem die Reg TP im März den Preis für die monatliche Miete für andere Marktteilnehmer von 25,40 auf 24,40 Mark senkte, gleichzeitig der Telekom aber auferlegte, im Zuge eines so genannten Line Sharings die Kupferleitung auf der viel zitierten letzten Meile zum Kunden getrennt nach dem jeweiligen Aufkommen im Sprach- und Datenverkehr zu berechnen. Dies sollte den Telekom-Wettbewerbern ermöglichen, sowohl bei Telefongesprächen im Ortsnetz als auch beispielsweise bei breitbandigen DSL-Internet-Anschlüssen wirtschaftliche Angebote zu entwickeln.

Bisher hat sich diese Maßnahme der Bonner Wettbewerbshüter jedoch eher als Bärendienst für die Telekom-Konkurrenten entpuppt. Zum einen fiel die TAL-Preissenkung um nur eine Mark auch nach Ansicht renommierter Experten wie dem an der Universität Duisburg lehrenden Telekommunikations-Wirtschaftswissenschaftler Torsten Gerpott viel zu gering aus. Zum anderen nutzte die Telekom ihrerseits diese Weisung der Reg TP, um mit offiziellem Segen des Regulierers entsprechende Bündel- und Dumping-Angebote (etwa den äußerst preisgünstigen "T-DSL-Anschluss für ISDN-Kunden) auf den Markt zu bringen. Entsprechend langsam komme, so Gerpotts Fazit auf einer "Handelsblatt"-Konferenz vor wenigen Wochen, auch die Entwicklung im Anschluss- und Ortsnetzwettbewerb voran. So entfielen Ende vergangenen Jahres nur 1,5 Prozent aller Telefonkanäle auf Komplettanschlüsse seitens der Telekom-Wettbewerber. Statistisch betrachtet, kämen in Deutschland auf eine Million Einwohner nur 2,1 Unternehmen mit einer Lizenz für die Vermittlung des Sprachverkehrs, womit man in Europa abgeschlagen auf dem drittletzten Platz liege. Gerpott leitete daraus diplomatisch eine "geringe Markteintrittsneigung neuer TK-Anbieter in Deutschland" ab. Zu dieser Situation tragen "sowohl die Deutsche Telekom durch ihr Wettbewerbsverhalten als auch der Regulierer durch aktuelle Entscheidungen bei".

Absurde KritikEine Ansicht, die Reg-TP-Sprecher Harald Dörr, sein Haus betreffend, gegenüber der CW nicht gelten lassen wollte. Vieles an der Kritik seitens der Telekom-Wettbewerber sei "absurd und überzogen" - vor allem auch, was die angebliche "Nähe" der Reg TP zum Noch-Staatsbetrieb Telekom und dem Mehrheitseigner Bund angehe. So habe die Telekom als erste gegen besagte TAL-Entscheidung geklagt. Derzeit seien 800 Verfahren gegen die Reg TP anhängig, rund 250 davon habe der frühere Monopolist angestrengt. Auch das verheerende Echo, das ein Ende Juli veröffentlichtes Weißbuch der Reg TP zum "Ortsnetzwettbewerb 2000" auslöste, ist für den Sprecher nicht nachvollziehbar. Dort war unter anderem zu lesen, dass die Telekom nach wie vor 98,5 Prozent der Marktanteile im Ortsnetz besitzt, bei analogen Telefonanschlüssen kommen die Konkurrenten der Telekom gerade einmal auf 0,4 Prozent, bei ISDN-Anschlüssen auf 2,4 Prozent - Zahlen, die zwangsläufig die üblichen Verdächtigen im Lager der Telekom-Wettbewerber und unter den Berliner Politikern auf den Plan riefen. Dabei wollte man, so Reg TP-Sprecher Dörr, nur dokumentieren, "dass man in diesem Bereich des Marktes dreieinhalb Jahre nach seiner Öffnung zwangsläufig noch mehr oder weniger bei null steht". Einige hätten dies wohl "missverstanden".

Der seit März amtierende neue Präsident der Reg TP, Matthias Kurth, muss das wohl geahnt haben, denn bei der Vorlage des umstrittenen Weißbuches sparte er selbst nicht mit kernigen Aussagen. "Die Welt ist komplex und kompliziert. Diese Erkenntnis gilt in gesteigertem Maße für die TK-Märkte. Wer einfache Lösungen sucht oder gar vorschnell Schuldige ausmachen will, sagt bestenfalls einen Teil der Wahrheit. Die Regulierung und auch ich nehmen zur Kenntnis, dass manche darin Entlastung suchen, bestimmte eigene Probleme und Fehler vor die Tür eines anderen zu kippen." Reg-TP-Sprecher Dörr interpretiert diese Äußerung seines Chefs so: "Wir können nichts dafür, wenn einige Unternehmen ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben."

Marktanteile der Wettbewerber im Ortsnetzbereich

/ Segment / Wettbewerberanteil (in Prozent)

Kanäle / Telefonkanäle (analog + digital) / 1,3

/ ISDN-Kanäle / 3,0

Anschlüsse / Analoganschlüsse / 0,4

/ ISDN-Basisanschlüsse / 2,4

/ ISDN-Primärmultiplexanschlüsse / 6,9

/ DSL-Anschlüsse / 2,6

Verkehr / Ortsverkehr (Verbindungsvolumen) / 3,1

/ von Anschlussbetreibern vermittelter gesamter Verkehr / 2,6

Umsatz / Anschlussumsätze / 2,5

Zarte Pflänzchen im Wettbewerb: Noch immer spielen die Konkurrenten der Telekom im Ortsnetz so gut wie keine Rolle. Quelle: RegTP