Deutschlands höchste Richter fällen erstes Software-Urteil

Kaum Patent-Chancen für kommerzielle Anwendungsprogramme

03.12.1976

MÜNCHEN - Die Beteiligten waren sich einig: Jetzt wird gestritten. Bis zum Bundesgerichtshof (BGH) gingen die Firmen Siemens, die ein Dispositionsprogramm für die Lagerhaltung zum Patent angemeldet hatte, und AEG-Telefunken, die dagegen Einspruch erhob. Als Ergebnis liegt jetzt die erste höchstrichterliche Entscheidung über die Patentierbarkeit von Software vor. Fazit in Juristendeutsch: "Organisations- und Rechenprogramme für EDV-Anlagen, zur Lösung von betrieblichen Dispositionsaufgaben, bei deren Anwendung lediglich von einer in Aufbau und Konstruktion bekannten DV-Anlage der bestimmungsgemäße Gebrauch gemacht wird sind nicht patentfähig."

Die Richter kamen zu dem Ergebnis, daß "die als neu und erfinderisch beanspruchte Lehre (also das Programm) nicht dem Bereich der Technik angehört", was sie als einzig brauchbares Abgrenzungskriterium gegenüber anderen geistigen Leistungen ansehen, die beispielsweise dem Urheberschutz unterliegen. "Das Patentgesetz ist auch nicht als Auffangbecken gedacht, in dem etwa sonst nicht gesetzlich begünstigte geistige Leistungen Schutz finden sollen", erklärten die Richter.

Bloß eine Anweisung an den menschlichen Geist

Das Bundespatentgericht hatte den Patentschutz für die Software schon vorher versagt, weil es sich im wesentlichen um einen "reinen Organisationsplan" handele, dem als bloßer "Anweisung an den menschlichen Geist" kein technischer Charakter zukomme: "Die Organisationsregel ist so abgefaßt, daß sie nur die bekannten Arbeitsmöglichkeiten einer dem Stand der Technik entsprechenden DV-Anlage nutzt. Das Gewicht der Erfindung liegt daher nicht im Bereich der Technik."

Organisations- und Rechenregeln nicht patentfähig

Dieser Meinung schlossen sich die, BGH-Juristen an: Sie sahen die Software als "Organisations- und Rechenregel" an, die Aussagen darüber macht, in welcher Weise die zu verarbeitenden Daten zu ordnen und zu kennzeichnen sind, in welcher Reihenfolge sie zu verarbeiten sind und wie die Ergebnisse gesammelt werden sollen. "Nach dieser Regel vermag ein über die nötigen kaufmännischen und mathematischen Kenntnisse verfügender Mensch ebenfalls vorzugehen und die Dispositionsaufgabe zuverlässig zu bewältigen", urteilen die Richter "Eine Regel, die eine gedanklich-logische Anweisung darstellt, wird aber nicht dadurch technisch, daß bei ihrer Anwendung technische Mittel benutzt werden."

Die erste von drei Beschwerden

Vorläufiges Fazit aus dieser ersten von insgesamt drei in der letzten Zeit beim BGH eingegangenen Rechtsbeschwerden: Die Aussichten für eine Patentierung von kommerziellen Anwendungsprogrammen sind schlecht.

Dagegen erscheinen die Aussichten für Patentschutz auf dedizierte Hard/Softwarekombinationen und Betriebssysteme nicht ungünstig, zumal die Richter ausdrücklich feststellten: "Die Lehre, eine DV-Anlage nach einem bestimmten Rechenprogramm zu betreiben, kann nur patentfähig sein, wenn das Programm einen neuen erfinderischen Aufbau einer solchen Anlage erfordert und die Anlage damit auf eine neue, bisher nicht übliche und auch nicht naheliegende Art genutz wird."

Warten auf den Patent-Fall

Das erste BGH-Urteil zum Thema Software hat nur einen Teilaspekt erfaßt. Die Patentfachleute warten jetzt auf die nächsten Entscheidungen und hoffen, daß der Richter auch noch die Frage nach dem anderen Extrem, also nach dem eindeutig patentierbaren Fall beantworten.

Die Übersicht fehlt

Damit könnte wenigstens teilweise Ordnung in einen Bereich gebracht werden, der sich durch Unübersichtlichkeit auszeichnet: Es ist zwar bekannt, daß Software seit langem zum Patent angemeldet wird - aber in der Regel wird das Ganze als Verfahren deklariert oder aber das Programm mit gegenständlichen Merkmalen in der Anmeldung so verknüpft, daß es nicht mehr wie eine Softwarepaket aussieht. Vor allem die Patentanwälte großer Firmen haben dabei einige Kunstfertigkeit entwickelt. Unter diesen Umständen und bedingt durch die internationale Patentklassifikation gibt es nicht einmal eine grobe Statistik über die Zahl der Software-Patentanmeldungen.

Mit den Mikros kommen die Tücken

Die Tücken kommen erst: "Mit den Mikroprozessoren wird sich die Landschaft noch einmal entscheidend verändern", glaubt H. Lauschke vom Deutschen Patentamt in München. Elektrische Schaltungen sind bisher in großer Zahl patentiert worden. Welche patentrechtlichen Folgen es hat, wenn statt der festverdrahteten Schaltung ein Mikroprozessor mit entsprechendem Programm eingesetzt wird, vermag noch niemand zu sagen. -py