Kaum Gesundheitsrisiken in der Chip-Produktion

18.09.1987

Karl Birett, Leiter des zentralen Referates Chemische Sicherheit der Siemens AG, München

Wieder einmal ist die Halbleiter-Industrie in das Kreuzfeuer der Kritik geraten: Ihr wird vorgeworfen, die Mitarbeiter in der Chip-Produktion hohen Gesundheitsrisiken auszusetzen. Mit den Vorwürfen. die der zweite Vorsitzende der IG Metall. Karl-Heinz Janzen, in der vergangenen Woche (Gastkommentar. Nr. 37 vom 11. September 1987 Seite 10, "Hohe Risiken in der Chip-Produktion") an Herstellern und Behörden übte. setzt sich heute Karl Birett. Leiter des zentralen Referates Chemische Sicherheit der Siemens AG. München. auseinander.

Unter dem Motto Hohe Gesundheitsrisiken steht die Halbleiter-Industrie seit fünf Jahren im Kreuzfeuer der Medien. Dabei wirken die Ausführungen um so pauschaler und unsachlicher, je weiter sie zeitlich und räumlich vom Ur-Ereignis in Kalifornien entfernt sind. Es ist Zeit, darauf zu antworten.

Ich war selbst nahezu ein Berufsleben lang als Chemiker am Aufbau und Betrieb eines Halbleiter-Werkes in der Bundesrepublik Deutschland beteiligt, und mir wird allein schon aus der Art der erhobenen Vorwürfe klar, daß die Verfasser dieser Angriffe eine Entwicklungs- oder Fertigungsstätte für Halbleiter-Bauelemente bestenfalls aus flüchtigen Besuchen kennen.

Auch Karl-Heinz Janzen stimmt, obwohl er die Chip-Fertigung als solche sicher kennt, in dem Gastkommentar der vergangenen Woche leider in diesen Gesang mit ein. Dies ist einer förderlichen Mitarbeit bei der weiteren Verbesserung der Arbeitsschutz-Bedingungen, die er selbst wünscht, abträglich.

Woher kommt diese in Wellen wiederkehrende Kampagne? Aus dem kalifornischen Silicon-Valley, dieser immensen Konzentration vornehmlich kleiner und mittlerer Betriebe der Halbleiter- und Computer-Hersteller. Dort wurden 1982 bei einigen Firmen massive Verunreinigungen des Untergrundes mit Lösemitteln als Folge leichtfertiger Handhabung von unterirdischen Tanks festgestellt. Auch der Arbeitsschutz war nicht gerade vorbildlich, was zu Recht eine Welle der Empörung auslöste.

In der Bundesrepublik kam die sehr früh einsetzende Konzentration der Halbleiter-Herstellung auf wenige, hinsichtlich Sicherheit gut organisierte Unternehmen einem erfolgreichen Arbeitsschutz sehr entgegen. Die fortschrittliche bundeseinheitliche Gesetzgebung tat ihr Übriges.

Unbestritten, bei der Herstellung elektronischer Bauelemente ist der Einsatz von Gefahrstoffen nicht zu vermeiden. Es wurde aber hierzulande schon sehr früh erkannt, daß eine sachgerechte Information über Eigenschaften und Gefahren chemischer Stoffe bei Ingenieuren, Technikern und Hilfskräften das A und O für einen erfolgreichen Arbeitsschutz darstellt. Aus diesem Grunde wurde zum Beispiel bei der Siemens AG Mitte der 60er Jahre, noch vor Erlaß der ersten EG-Richtlinie zur Kennzeichnung von gefährlichen Stoffen und lange vor Verkündung der ersten Arbeitsstoffverordnung, die Information der Beschäftigten über die Gefahrstoff-Eigenschaften und über anzuwendende Schutzmaßnahmen konsequent in die Praxis umgesetzt. Für andere Halbleiter-Hersteller gilt grundsätzlich Gleiches. Die mittlerweile international als Standardliteratur anerkannte Loseblattsammlung "Kühn-Birett: Merkblätter gefährliche Arbeitsstoffe" entstand in dieser Zeit in der Arbeitsschutzabteilung des Halbleiterwerkes der Siemens AG und war lange vor ihrer Veröffentlichung wichtiger Bestandteil interner Sicherheitsvorschriften.

Weiterhin wurden für den sicheren Umgang mit gefährlichen Stoffen und Prozeßgasen in engster Zusammenarbeit mit den fachkundigen Aufsichtsorganen umfangreiche technische Schutzmaßnahmen entwickelt. Die stetige Mitwirkung in nationalen und internationalen Gremien ermöglichte darüber hinaus die frühestmögliche Umsetzung neuer Erkenntnisse, auch die der Gewerbemedizin, für die Sicherheit der Beschäftigten auf breiter Basis.

Einige der in Karl-Heinz Janzens Artikel genannten Behauptungen bedürfen ganz besonders der Gegenüberstellung mit den Tatsachen. Schließlich sind die Aussagen geeignet, durch Erzeugung von Angst das gute Arbeitsklima in den Halbleiter-Betrieben zu stören. Das aber ist gerade das Gegenteil jener sachlichen Information der Beschäftigten, wie der IG-Metaller Janzen sie mit Recht fordert und wie wir sie seit Anbeginn in enger Zusammenarbeit mit den örtlichen Betriebsräten praktizieren. Angst verbreiten tut weder einer Institution noch deren Mitgliedern etwas Gutes. Angst ist auch Gift, und zwar ein ernst zu nehmendes.

Die Gefahrstoffe der Halbleiter-Herstellung sind keine unbekannten Größen, die Kenntnis über die Mehrzahl von ihnen ist uralt. Bei neu einzuführenden Substanzen wird mit Hilfe umfangreicher Materialsammlungen und intensiver Recherchen die erforderliche Basis für wirksame Schutzmaßnahmen erarbeitet. Dies bezeugen die umfangreichen betrieblichen Gefahrstoffdatenbanken, die derzeit von Wissenschaftlern und betriebserfahrenen Praktikern gemeinsam erstellt werden. Da stellt sich keine "drängender" werdende Frage nach dem Arbeitsschutz - er ist permanent präsent.

Auch die Vorstellung von der staubfreien, aber chemisch verseuchten Luft in den Reinräumen ist nicht auszurotten. Dabei reagiert kein Mensch so empfindlich wie eine Halbleiter-Oberfläche auf Luftverunreinigungen aller Art. Dies ist auch ein Grund für die immer aufwendigeren Abluft-Reinigungsanlagen mit weit unter der gesetzlichen Vorgabe liegenden Massenstrom- und Konzentrationswerten, ein weiterer Beitrag für das peinliche Fernhalten externer Luftverschmutzungen jeglicher Art.

Die im Paragraph 19 der Gefahrstoffverordnung als höchste Rangstufe der Schutzmaßnahmen geforderte geschlossene Anlage ist bei einem überwiegenden Teil unserer Produktionsprozesse seit langem Stand der Technik. Die zum Teil automatische Überwachung der Arbeits- und Service-Räume zeigt kontinuierlich eine erhebliche Unterschreitung der gegebenen Grenzwerte.

Die arbeitsmedizinische Überwachung der Mitarbeiter deutscher Halbleiterfabriken wurde ebenfalls von Anbeginn, dem jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik entsprechend, weit über den durch Verordnungen und Unfallverhütungsvorschriften gegebenen Rahmen hinaus intensiv betrieben.

Die Anfang dieses Jahres aus den USA kommende Pressemeldung über das Ergebnis einer von der Firma Digital Equipment Corporation (DEC) veranlaßten Studie, wonach in der Halbleiter-Produktion beschäftigte Frauen einem höheren Fehlgeburten-Risiko ausgesetzt seien, hat sich schon nach kurzer Zeit als unhaltbar erwiesen.

Eine Sonderkommission aus Experten der Arbeitsmedizin und Kennern der Fertigungstechniken hat die ihnen zugänglichen Teile der bis heute unveröffentlichten Studie analysiert - mit dem Ergebnis, daß die Studie bedeutsame Fehler hinsichtlich Aufmachung und Methodik der Ermittlung enthält. Sie bezieht keine arbeitsmedizinischen Informationen ein, das heißt die Fehlgeburten wurden also lediglich durch Befragung der Belegschaftsmitglieder ohne Mitbetrachtung von Arbeitsplatz und Privatsphäre erstellt. Die Zahl der so ermittelten Fehlgeburten ist auch viel zu klein, um daraus statistische Aussagen über ursächliche Zusammenhänge zwischen einer Tätigkeit in der Halbleiter-Fertigung und Gesundheitsschädigungen ableiten zu können. Das sind keine wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse. Ein unabhängiges Wissenschaftler-Gremium in den USA ist dabei dies nachzuholen.

In der Bundesrepublik Deutschland stellt die Gefahrstoffverordnung strenge Forderungen an den Schutz Schwangerer und verbietet ausdrücklich deren Beschäftigung mit Gefahrstoffen.

Den immer wieder zitierten amerikanischen Berichten über angeblich hohe Krankheitszahlen und Ausfallzeiten stehen amtliche Statistiken entgegen, denen zufolge heute die dortige Halbleiter-lndustrie mit die niedrigsten Unfall- und Krankheitszahlen aufzuweisen hat. Auch in der Bundesrepublik gehören die Halbleiterfabriken zu den Betrieben mit den niedrigsten Unfall- und Krankheitszahlen.

Die publizistische Fehldeutung einer Bemerkung von Herrn Professor Helmut Valentin auf einer Pressekonferenz anläßlich des 25jährigen Bestehens der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin brachte eine weitere, sich ständig fortpflanzende falsche Behauptung in Gang. Das auf jahrelangen arbeitsmedizinischen Untersuchungen beruhende Ergebnis zeigte nämlich keine Leberschädigung bei den mit Arsenverbindungen unter hohen Sicherheitsvorkehrungen umgehenden Mitarbeitern. Und dies tritt auch dann nicht ein, wenn diese Behauptung noch so viele Medien abschreiben und nachsagen.

Eine letzte Bemerkung: Die Halbleiter-lndustrie hat nie darauf gewartet, daß ihr der Arbeitsschutz im Detail vorgeschrieben wird; sie eilte immer voraus und war schon oft Vorreiter für spätere gesetzliche Regelungen. Dies soll auch weiter so bleiben.