Kaufhof beschaeftigt MIS-Bautrupp Schwieriges Terrain zwischen Informationshoheit und -bedarf

15.09.1995

Von Markus Engel*

"Die Aufgabe lautet, einen Konzern mit vielen Tochtergesellschaften dezentral und gleichzeitig ganzheitlich zu fuehren. Die Loesung heisst Management-Informationssystem." Auf diese Kurzformel bringt Walter Kohl, Bereichsleiter fuer Controlling- Systeme und Reporting bei der Kaufhof Holding AG, die Vorgabe fuer die konzernweite Einfuehrung dezentraler MIS-Loesungen.

Walter Kohl ist Leiter eines dreikoepfigen "Bautrupps", wie er und seine beiden Kollegen Helmut Fassbender und Gerhard Boldt sich selbst nennen. Das Trio reist von Gesellschaft zu Gesellschaft, um zusammen mit den Controlling- und EDV-Experten der jeweiligen Tochter innerhalb von drei bis fuenf Monaten ein MIS zu implementieren. Dabei hat sich der Bautrupp einen ehrgeizigen Zeitplan gesetzt: In 18 Monaten sollen 15 Einzelgesellschaften des Konzerns mit einem an ihren Wuenschen orientierten System ausgeruestet werden. Im November '94 hat sich der Bautrupp an die Arbeit gemacht,

"und jetzt sind wir ungefaehr bei 50 Prozent", sagt Kohl.

Das Trio bewegt sich mit seinem Auftrag auf schwierigem Terrain. Da ist einerseits die Holding, die ein gewisses Mass an Informationen zur Steuerung des Konzerns braucht. Und da sind andererseits die einzelnen Gesellschaften, die weitgehend eigenstaendig am Markt operieren und auf diese Selbstaendigkeit auch Wert legen. Ein konzerntypisches Spannungsfeld also. In dieser Situation hat die Kaufhof Holding eine Formel entwickelt, die beiden Seiten gerecht werden soll: die "Informationshoheit" der einzelnen Gesellschaften. Die Holding gibt neben der Grundsatzentscheidung fuer das MIS der MIK-Gesellschaft fuer Management und Informatik Konstanz rund 100 verbindliche Eckdaten vor. Diese werden monatlich ueber Schnittstellen, die ein Debis- Team erstellt hat, in das System der Holding uebertragen. Die Holding analysiert sie und erstellt auf ihrer Basis Monatsberichte, die daraufhin wieder an die Einzelgesellschaften wie Vobis, Media Markt oder Kaufhof Mode und Sport zurueckgehen. Wenn dann bei einer der Gesellschaften ungewoehnliche Entwicklungen - beispielsweise gravierende Abweichungen von den Soll-Werten - auftreten, wird die Gesellschaft von der Holding gebeten, im gesellschaftseigenen MIS nach den Gruenden zu suchen. Ansonsten sei es Sache der Gesellschaften, wie sie ihre Daten nutzen, versichert Kohl. "Information ist ein sehr wichtiges Wettbewerbsgut geworden. Und wer dieses Gut hervorbringt, soll es auch nutzen koennen. Damit traegt er aber gleichzeitig die Verantwortung fuer die Qualitaet dieses Guts."

"Auge" nennt der Bautrupp diesen MIS-Bestandteil, der bei allen Einzelsystemen gleich aufgebaut wird. Aber dieses Auge mache hoechstens fuenf Prozent eines Systems aus, betont Fassbender, der Rest werde vollstaendig auf die Beduerfnisse der Gesellschaft ausgerichtet. Zudem sei dieser gemeinsame Bestandteil aller Systeme als Einbahnstrasse konzipiert: Die Gesellschaften liefern ihre Informationen an die Holding, aber diese kann nicht in den einzelnen Systemen operieren. "Wir sind den Weg der Ueberzeugung gegangen", erklaert Kohl. Keine Gesellschaft sei dazu gezwungen worden, sich an der konzernweiten MIS- Einfuehrung zu beteiligen. Statt dessen habe man die Gesellschaften (Kohl:

"Das ist bis auf wenige Ausnahmen eine Flotte von Mittelstaendlern.") vom Nutzen ueberzeugt, den ihnen ein individuell konzipiertes MIS biete. Das war nach Kohls Angaben in den einzelnen Gesellschaften unterschiedlich leicht. Von spontaner Zustimmung bis zu ausgepraegter Skepsis habe es alle Formen der Reaktion gegeben.

Inzwischen sei die Phase der Ueberzeugungsarbeit jedoch abgeschlossen: Alle Gesellschaften, die nach den Plaenen des Konzerns mit einem MIS ausgestattet werden sollen, haben sich laut Kohl auch fuer diese Loesung entschieden. "Der menschliche Faktor ist entscheidend", versichert das Trio. "Er macht 70 Prozent aus, die Technik dagegen nur 30." Deshalb sei fuer die Einfuehrung in der Aufbauphase auch ein Promotor aus der Chefetage der jeweiligen Gesellschaft wichtig. In den meisten Faellen sei es der Finanzvorstand oder der kaufmaennische Geschaeftsfuehrer, der mit seinem Gewicht im Unternehmen die Implementierung des Systems foerdern koenne.

Wenn sich das Team an die Arbeit macht, sind die Aufgaben schon klar verteilt. Fassbender erklaert die Aufgabenteilung mit einem Bild aus der Baubranche:

"Die einzelnen Gesellschaften sind die Bauherren und Bewohner der Systeme. Wir vom Bautrupp haben die Funktion des Architekten, MIK liefert mit den Baustoff, und ein Team von Debis hilft uns bei Bau und Wartung." Das Trio erarbeitet zusammen mit den Controlling- und EDV-Abteilungen der Gesellschaften zunaechst das Modell fuer die MIS-Loesung. Denn bei einem MIS, so betont Professor Rolf Hichert, Geschaeftsfuehrer von MIK, stehen betriebswirtschaftliche Aspekte im Vordergrund. "Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass die betriebswirtschaftliche Struktur wichtiger ist als das informationstechnisch Machbare. Schliesslich geht es darum, aus einer Fuelle von Daten Informationen zu filtern, die eine sinnvolle Basis fuer die Entscheidungen der Unternehmensfuehrung bilden." Aber die zustaendigen Mitarbeiter der Gesellschaften werden nicht nur von Anfang an eingebunden, um Informationen ueber diese betriebswirtschaftlichen Strukturen zu erhalten, erklaert Kohl. Wenn das MIS erst einmal implementiert ist, sollen die Gesellschaften ja auch sinnvoll damit arbeiten koennen.

Deshalb laute ein Ziel, zusammen mit dem MIS in jeder Gesellschaft ein Kompetenzzentrum fuer Informations-Management aufzubauen. Aus diesem Grund bietet das Trio auch Anwendertagungen an, auf denen die Mitarbeiter der Einzelgesellschaften die Besonderheiten ihrer individuellen Loesungen vorstellen und mit den Kollegen in anderen Unternehmen unter dem Dach des Kaufhofs Erfahrungen austauschen.

Was die Technik angeht, stellt die Integration unterschiedlicher Vorsysteme die groesste Huerde bei der Implementierung der Systeme dar. Die Harmonisierung der Datenverarbeitung zaehlt zwar laut Kohl zu den strategischen Zielen des Konzerns, und dieser Prozess wurde auch auf breiter Basis eingeleitet. Aber er ist eben noch nicht abgeschlossen. Deswegen muessen die MIS mit Daten aus einer Vielzahl unterschiedlicher Systeme gefuettert werden. "In diesem Bereich arbeiten wir mit einem Team von Debis zusammen, das sich um die Schnittstellen kuemmert", erklaert Gerhard Boldt.

Einsatzmoeglichkeiten intensiv ausgelotet

Die Ausrichtung des MIS auf die spezifischen Beduerfnisse einer Gesellschaft ist dagegen kein allzu grosses Problem. "Das geht ruck, zuck", sagt Boldt, zumal im grafisch orientierten MIK-Info mit What-if- Analysen, Trendberechnungen, Szenarien, Soll-Ist- Vergleichen, definierbaren Warnpunkten, Alarm-Screens oder Drill- down-Optionen eine Fuelle von Funktionen verfuegbar ist. Mit Hilfe der Entwicklungsumgebung MIK-Generator laesst sich das System unabhaengig vom Hersteller an die spezifischen Beduerfnisse anpassen, veraendern und weiterentwickeln. "Die Wuensche sind sehr unterschiedlich. Einige Gesellschaften setzen ihr MIS vor allem fuer Bilanzdaten ein, andere moechten eine Marketing-orientierte Loesung oder verwenden es als Planungs-Tool. Vobis beispielsweise setzt das eigene MIS zur Vertriebssteuerung und fuer das Filial- Controlling ein", erklaert Kohl.

Mit anderen Worten: Der Bautrupp hat die Einsatzmoeglichkeiten eines MIS in viele Richtungen ausgelotet. Und diese Erfahrung kommt den Einzelgesellschaften zugute. Sie koennen zwar nach Kohls Ansicht auch selbstaendig ein MIS im Unternehmen aufbauen, aber es wuerde aufgrund der immer wieder neu zu machenden Erfahrungen wesentlich laenger dauern und erheblich mehr kosten: "Warum das Rad mehrmals erfinden?" Der Sinn eines funktionierenden Informations- Managements im Handel steht fuer ihn ohnehin ausser Frage: "Der Handel ist eine informationsgetriebene Branche. Schon die haeufigen Wechsel in den Sortimenten verlangen schnelle Entscheidungen, und fuer diese Entscheidungen braucht man eine solide Informationsbasis."

* Markus Engel ist freier Journalist in Stuttgart.