Hochschulen feilen mit IT an ihrem Profil

Karrieregarantie gibt es nur für die Lernbereiten

05.06.1998

Wettbewerbsfähigkeit ist auch ein Thema für die Hochschulen. Unter dem Einfluß globaler Bildungsmärkte und Innovationen in Informationstechnik und Telekommunikation müssen sich auch Hochschulen etwas einfallen lassen. Zur Profilbildung beitragen könnte der Einsatz und die Entwicklung neuer Medien. Davon ist Detlef Müller-Böling überzeugt, Geschäftsführer des Gütersloher Centrums für Hochschulentwicklung (CHE). Wie er in Paderborn sagte, eröffne ein solcher Ansatz Erfolgspotentiale für den Wettbewerb unter Hochschulen und anderen Bildungsanbietern.

Neue Technologien zu evaluieren und zu implementieren ist aber aufwendig und vor allem teuer. Deshalb streichen die meisten Haushaltsplaner in staatlichen und privaten Hochschulen auch schnell die Segel. Viele rufen nach der Politik und erwarten von dort Impulse und Hilfen - wie sich jedoch zeigt, ohne Erfolg. Ein Paradebeispiel, daß man sich von der Bürokratie nicht einschüchtern lassen muß, ist Ludwig Nastansky, Professor für Informations-Management an der Universität Paderborn. Er setzt bereits seit 1991 auf Groupware-Technologie, um Forschung, Lehre und Verwaltung in einer computergestützten Umgebung zusammenzufassen. Heute ziehen über 4000 Studenten, 130 Lehrkräfte und Verwaltungsmitarbeiter an einem virtuellen Strang. Von den Potentialen dieser zukunftsträchtigen Organisationsform profitiert das gesamte Aufgabenfeld der Hochschule.

Dazu zählt die Kommunikation zwischen Dozenten und Studenten in Vorlesung und Seminar ebenso wie die Zusammenarbeit von räumlich verteilten Gruppen. Auch die Verwaltung hat sich das virtuelle Konzept zu eigen gemacht und verzichtet weitgehend auf Papier.

Um sich aus der Abhängigkeit bürokratischer Mittelzuteilung zu lösen, hat Nastansky rechtzeitig und "ohne Scheuklappen" nach Kooperationen mit der Wirtschaft gesucht. Inzwischen haben sich 200 seiner Absolventen selbständig gemacht und ihre Unternehmen (Off-Springs) gleich in der Nähe der Hochschule angesiedelt. Das alles erregt Aufmerksamkeit. Heute kann, so der Professor, jeder Absolvent zwischen zehn Jobangeboten aus der Industrie wählen.

Wer früh den Umgang mit IT ins Hochschulkonzept einbaut, leistet einen wichtigen Beitrag zur eigenen Profilierung und tut vor allem seinen Studenten einen großen Gefallen. Diesen Weg ist auch Professor Wolfgang Finke an der Fachhochschule Jena gegangen. 600 Studenten arbeiten im Grundstudium mit einer interaktiven Plattform, die auch zu Hause Zugriff auf Lernmaterial eröffnet.

"Eine Karrieregarantie gibt es nur für die Lernfähigen und Lernbereiten", skizziert der Wirtschaftsinformatiker seine hohen Ansprüche. Die angelsächsischen Standardwerke werden im Original gelesen, Englisch ist Unterrichtssprache. Finke: "Zwar murren die Studenten, aber sie sollen ja auch später in Europa arbeiten können."

Alle Uni-Beschäftigten sollen von der IT profitieren

Auch an der Universität Witten-Herdecke tastet man sich in die interaktive Zukunft. Weil die herkömmlichen Insellösungen der einzelnen Fachbereiche eine interdisziplinäre Kooperation eher verhindern, hat man sich für ein campusweites Informationssystem entschieden. Ergebnis des Re-Engineerings aller administrativen Prozesse sind Workflows und Notes-Datenbanken. Medienkompetenz sowie Lernen als sozialer Prozeß der Wissensaneignung heißen die pädagogischen Ziele des virtualisierten Campus.

Nach Angaben des Wittener Professors Franz Liebl, Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine und Quantitative Betriebswirtschaft, werden alle 1400 Universitätsmitglieder davon profitieren. "Auch der überwiegend informatikfremde Anwender soll optimal kommunizieren können." Lotus und Hewlett-Packard sowie die Universitäten Witten-Herdecke und St. Gallen hoben das Projekt gemeinsam aus der Taufe. Liebl rät jedem Interessenten, seine Anforderungen an IT-Systeme nicht "ins Uferlose" wachsen zu lassen. Nur eine Beschränkung auf wichtige Funktionen bewahre vor dem Overkill. "Wissens-Management ist mehr als bloße Informationslogistik."

Daß IT neue Zielgruppen für die Bildungsangebote einer Universität durchaus begeistern kann, zeigte Sonja Kramhöller aus St. Gallen. Das Projekt Genius (Groupware Enabled Learning Environments for the Education in Management at the University of St. Gallen) geht aus Forschungen zu den Themen Knowledge-Management und Interaktive Lernprozesse hervor. Erstmals in der Schweizer Universitätslandschaft gründete man Ende 1997 ein Learning-Center, in dem verschiedene Methoden der Wissensaneignung unter die Lupe genommen werden.

Durch Kombination beispielsweise aus "learning by doing" und "learning through discovery and reflection" würden laut Kramhöller neue Studienformen entstehen, die in interaktiven Umgebungen auf die individuellen Lernbedürfnisse des Studenten besser als bisher eingehen können. Allerdings wies Kramhöller darauf hin, daß ein erster Versuch, das Projekt in die Tat umzusetzen, fast an den Vorstellungen der Anwender gescheitert wäre. Rechtsanwälte, die sich zum Master of European and International Business Law weiterbilden wollten, hätten sich in der virtuellen Welt sehr schwergetan.

FH Furtwangen entwickelt für die Expo

Von beeindruckender Leichtigkeit gekennzeichnet ist dagegen das Projekt "Relation Ship" der Fachhochschule Furtwangen. Im Schwarzwald wollte man den Beweis antreten, daß Fakultäten durchaus zu interdisziplinärer Zusammenarbeit fähig sind. Der so entstandene Triamaran zur "ersten unbemannten Weltumsegelung" verdankt seine Geburt sowohl der interaktiven Kommunikationsplattform Lotus Notes als auch dem Internet, über die sich die beteiligten Wissenschaftler und Praktiker permanent auf dem laufenden halten. Das bewußt virtuell organisierte Projekt wird sich anläßlich der Expo in Lissabon und - sofern nichts dazwischen kommt - der Expo 2000 in Hannover sicherlich höchster medialer Wertschätzung erfreuen.

Winfried Gertz ist freier Journalist in München.