Karriere in Frankreich - nur mit Esprit und Eloquenz

16.01.2002
Von 
Ingrid Weidner arbeitet als freie Journalistin in München.
Einige Jahre im Ausland zu arbeiten eröffnet hervorragende Voraussetzungen für einen Karrieresprung und erweitert den persönlichen Horizont. Wen es ins französische Nachbarland zieht, der sollte ein gutes Gespür für Zwischentöne und Etikette mitbringen.

Schleppen deutsche Manager Papierstapel mit zum Meeting, verheißt die anberaumte Besprechung für ihre französischen Geschäftspartner nichts Gutes. Tagesordungen, Protokolle und Detaildiskussionen sind ihnen nämlich ein Greuel. Meistens kennen sie bereits die wesentlichen Punkte und möchten sich lieber auf neue Aspekte konzentrieren. „Brainstorming und neue Ideen zu entwickeln sind ihnen wichtiger als die Tagesordnung", erklärten Claudia Bosenius und Carine Idé den Teilnehmern des Seminars „Fit for International Business - Frankreich“.

Die Trainerinnen empfahlen den Teilnehmern der von Management Circle organisierten Veranstaltung, besonders auf die Zwischentöne zu achten. Franzosen seien geschickte Taktiker. „Sie wollen verführt, Deutsche dagegen überzeugt werden.“ Gelinge es, das Vertrauen der Gesprächspartner zu gewinnen, kultiviert aufzutreten und auf Form und Stil zu achten, könnten deutsche Unternehmer auf eine gute Zusammenarbeit hoffen. Mit bloßen Fakten vermögen die als detailbesessen geltenden Deutschen bei ihren westlichen Nachbarn kaum zu punkten. Dagegen helfen Eloquenz und rhetorische Fähigkeiten weiter.

Thomas Staneker arbeitet seit knapp zwei Jahren für Alcatel in Paris und kennt die französischen Eigenheiten von Besprechungen: „Entscheidungen werden vorher auf diplomatischem Weg gefunden und kommuniziert.“ Der 39-jährige Nachrichteningenieur tauschte vor eineinhalb Jahren seinen Schreibtisch bei Alcatel in Stuttgart gegen einen in Paris. Auslöser für den Umzug nach Frankreich war der Wunsch nach beruflicher Veränderung. „Mein Chef in Stuttgart hat meine Idee unterstützt und geholfen, eine passende Position zu finden.“ Heute arbeitet Staneker als Marketing-Director in der Zentrale in Paris. Den ursprünglichen Zweijahresvertrag hat er inzwischen um zwei weitere Jahre verlängert.

Auslandsaufenthalte sind bei Alcatel gerne gesehen und helfen oft bei der Karriereplanung weiter. Auch Staneker verspricht sich von seinem Job in Paris neben einem Netzwerk spätere Aufstiegschancen. „Topjobs werden mit Leuten besetzt, die einen Auslandsaufenthalt nachweisen können“, so der Schwabe. Staneker nahm seine Frau und die drei Kinder mit an die Seine. Eine Relocation-Agentur organisierte den Umzug der fünfköpfigen Familie, half bei Behördengängen und bei der Suche nach einer passenden Schule und Kindergarten.

Die junge Familie fühlt sich in Frankreich wohl - eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Auslandsentsendung. Alcatel fängt mit einem speziellen Auslandsvertrag finanzielle Nachteile ab. Auch beim Schulgeld für die „Deutsche Schule“ unterstützt der Arbeitgeber die Familie. „Zu meinem Leidwesen bewegen sich meine Kinder in einem überwiegend deutschsprachigen Umfeld, aber eine französische Schule wäre einfach zu kompliziert gewesen und die spätere Umgewöhnung schwierig“, so der Familienvater.

Simon Schoop zog es von Böblingen nach Grenoble. Er wechselte im September letzten Jahres von Hewlett-Packard Deutschland zu HP France. „Ich habe mit allen Konsequenzen wie französischer Steuernummer und Sozialversicherung gewechselt“, so der 28-Jährige. Zwar übernahm HP ebenfalls die Kosten für den Umzug nach Grenoble, Behördengänge und Wohnungssuche vor Ort, aber einen Auslandsaufschlag gibt es für Schoop nicht. Staneker dagegen erhält von Alcatel eine Zulage, um die teureren Lebenshaltungskosten in Paris aufzufangen.

„Ein Auslandsaufenthalt eignet sich nicht zum Geldverdienen. Ziel ist es vielmehr, mit einer schwarzen Null über die Runden zu kommen“, meint Staneker. Seinen Aufenthalt kann er maximal auf fünf Jahre verlängern. Anschließend müsste er ganz zur französischen Niederlassung wechseln und zu den dortigen Bedingungen einen Arbeitsvertrag unterschreiben. „Das wäre zwar verlockend, aber gleichzeitig eine enorme Herausforderung, dabei nicht arm zu werden“. Frankreich kannte der Ingenieur schon von vielen Geschäftsreisen, elementare Unterschiede waren ihm bereits aufgefallen. "Die sehr professionelle Arbeitsweise und hohe Flexibilität der französischen Kollegen beeindruckten mich. Allerdings geht es hierarchischer zu, als ich das gewohnt war“, erzählt Staneker.

Der Chef „le patron“ verkörpert in Frankreich die wichtigste Entscheidungsinstanz, wird als Autorität angesehen und akzeptiert, so die Seminarleiterinnen Idé und Bosenius. Direkte Kritik am Chef oder den Mitarbeitern ist unüblich und wird höchstens in einem höflichen Gespräch unter vier Augen geäußert. Wichtig sei dabei, dass niemand sein Gesicht verliert. „Mitarbeiter möchten bewundernd zu ihrem Chef aufsehen. Sie identifizieren sich mit ihm, während Deutsche sich eher in Projekten und Aufgaben wiedererkennen“, so Bosenius.

Teamarbeit gehört nach Meinung der Trainerinnen in Frankreich nicht zu den geschätztesten Arbeitsformen und wird als bedrohlich empfunden. Die Mitarbeiter wollen vermeiden, in der Masse unterzugehen, und stattdessen lieber mit originellen Ideen brillieren. Kompromisse und Gemeinschaftsentscheidungen sind unbeliebt. Meistens entscheidet die Führungskraft, doch beim Problemlösungs- und Umsetzungsprozess gestehen die Chefs den Mitarbeitern viel Freiraum zu. Gleichzeitig testen die Mitarbeiter gerne aus, ob „le patron“ noch die Autorität hat. „Als individuelle Egoisten interessieren sie sich wenig für die öffentliche Meinung und bilden sich ihre Ansichten selbständig“, so die Französin Idé.

Das ausgeprägte Wettbewerbsdenken, Eloquenz und geschliffene Rhetorik gehören zu den wichtigen Bildungszielen des französischen Schulsystems, das in der Tradition der Jesuitenkollegs aus dem 17. Jahrhundert steht. Die Konkurrenz der Schüler untereinander wird gefördert, schon früh spornen die Lehrkräfte sie dazu an, immer zu den Ersten und Besten gehören zu wollen. Wer in Politik und Wirtschaft ganz nach oben kommen möchte, muss eine der Eliteschulen (Grandes Écoles) besucht haben. Allerdings bestehen nur zirka 20 Prozent der Bewerber nach dem Abitur und einer Vorbereitungsklasse die Aufnahmeprüfung. Wer den Sprung geschafft hat, muss sich um seine berufliche Zukunft keine Sorgen mehr machen, denn die enge Verzahnung zwischen den Eliteschulen, Staat und Wirtschaft macht sogar Bewerbungen überflüssig.

Bei internationalen Projekten erleichtern Französischkenntnisse die Zusammenarbeit erheblich, selbst wenn die offizielle Konzernsprache Englisch sein sollte. Staneker konnte sein Schulfranzösisch innerhalb einiger Monate auf einen verhandlungssicheren Stand bringen. Der HP-Mann Schoop studierte ein halbes Jahr in Nizza. Nordamerika kam für ihn nicht als Wunschziel in Frage. „Ich liebe die französische Lebensart, die Alpen und die französische Sprache. Die USA sind mir zu kulturlos.“

Allerdings erwarten Franzosen außer guten Sprachkenntnissen auch exzellentes Wissen über die französischen Kultur und Lebensart, gibt Seminarleiterin Bosenius zu bedenken. Gerade wenn es um gemeinsame Projekte geht, sollten die Teamkollegen den Arbeitsstil der anderen kennen, damit die Zusammenarbeit nicht in einem Fiasko endet. Während in Frankreich oft auf kurze Planungs- lange Projektphasen folgen, planen hierzulande die Verantwortlichen gerne lange und detailliert, um das Restrisiko zu verringern. Dagegen faszinieren Unwägbarkeiten die französischen Kollegen, sie sehen darin eine intellektuelle Herausforderung.