Urteil schützt Computer - Rechner sind aber nicht tabu

Karlsruher Richter schaffen Computer-Grundrecht

28.02.2008
Mit seinem gestrigen Urteil zum Verfassungsschutzgesetz in NRW hat das Bundeverfassungsgericht in Karlsruhe - ähnlich wie 1983 mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung - ein neues Grundrecht geschaffen. Es verbrieft den Schutz des persönlichen Computers.

Der Nestor des Datenschutzes in Deutschland geriet ins Schwärmen, als er sich an das Volkszählungsurteil vom 15. Dezember 1983 erinnerte: "Schon nach den ersten Sätzen stand fest", schrieb der Frankfurter Professor Spiros Simitis vor Jahren, "in der gar nicht so langen Geschichte des Datenschutzes hatte ein neuer Abschnitt begonnen."

Genauso war es am Mittwoch: Bereits nach zwei Minuten war klar, dass Karlsruhe mit seinem Urteil zur Online-Durchsuchung erneut Rechtsgeschichte geschrieben hat. Fast ein Vierteljahrhundert nach dem historischen Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 - damals wurde der Datenschutz "erfunden" - hat das Gericht wieder ein komplett neues Grundrecht geschaffen: das Grundrecht auf Schutz des persönlichen Computers.

"Das Gericht ist im Internetzeitalter angekommen", jubelte der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar noch im Gerichtssaal. Von allen Seiten wurde der höchstrichterliche Spruch in historische Dimensionen befördert - als "bahnbrechendes Urteil", als "Meilenstein in der Rechtsgeschichte", als "Entscheidung gegen den Präventionsstaat".

Selbst Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) - der aus Sicht der Grünen eine "schallende Ohrfeige" erhalten haben soll - schien nicht gänzlich unzufrieden: Karlsruhe hat grundsätzlich grünes Licht für seinen so beharrlich vorangetriebenen Plan gegeben, dem Bundeskriminalamt (BKA) auch die Online-Durchsuchung zu erlauben.

Allerdings wird Schäuble einige Abstriche machen müssen. Das Gesetz habe hohe verfassungsrechtliche Hürden zu beachten, wie Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) - das Grundsatzurteil aus Karlsruhe im Rücken - sich erfreut zu bekräftigen beeilte. Denn das neue "Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme", wie es juristisch korrekt lautet, hat es in sich: Es reicht sehr viel weiter als das Recht auf "informationelle Selbstbestimmung" - also der Datenschutz von 1983.

Im Internetzeitalter angekommen: Der 1. Senat des Karlsruher BVerfG
Im Internetzeitalter angekommen: Der 1. Senat des Karlsruher BVerfG
Foto: Bundesverfassungsgericht

Die historische Leistung des Urteils ist es, dass fortan nicht nur die eigene Wohnung, sondern auch die virtuelle Privatsphäre unter dem erhöhten Schutz der Verfassung steht - ob sie nun auf dem heimischen PC, dem Laptop oder dem Blackberry gespeichert ist. Ausführlich schildert der Erste Senat, was der computer-abhängige Mensch des 21. Jahrhunderts so alles seinem Rechner anvertraut. Das sind nicht nur Tagebücher, Urlaubsfotos oder Steuererklärungen. Mit einer kompletten Online-Überwachung, die mit einem eingeschleusten "Trojaner"-Programm möglich wäre, würde jede Tastatureingabe, jedes Passwort, jede aufgerufene Website protokolliert. Wer sein Leben am Computer organisiert, stünde praktisch nackt da.

Deshalb errichtet Karlsruhe einen hohen Zaun ums virtuelle Wohnzimmer. Eine vorherige richterliche Erlaubnis ist für das heimliche Ausspähen des Computers nötig; intime Daten müssen, wenn sie schon kopiert wurden, unverzüglich gelöscht werden. Vor allem aber: Online-Durchsuchungen setzen eine konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter voraus.

Dass Deutschland - wie die Innenminister unermüdlich wiederholen - als "Teil eines weltweiten Gefahrenraums" allgemein durch den islamistischen Terrorismus bedroht ist, wird damit keinesfalls für eine Online-Durchsuchung ausreichen; die Anschlagsplanung muss schon einigermaßen konkret sein, bevor die Online-Schnüffler zuschlagen dürfen. Auch Zigarettenschmuggler oder Kinderpornografen wird man wohl kaum mit "Trojanern" ausspionieren dürfen.

Dennoch haben die Sicherheitsbehörden von Karlsruhe im Wesentlichen das bekommen, worauf sie seit langem warten. Sie können fortan mit dem dramatischen Bedeutungszuwachs Schritt halten, den Computer und Internet für islamistische Terrorgruppen haben. An die Internet-Telefonie beispielsweise - von den Sicherheitsbehörden wegen der Verschlüsselung als klaffende Lücke im Überwachungssystem ausgemacht - kommen die Fahnder künftig relativ leicht ran.

Dafür brauchen sie die "Quellen-Telekommunikationsüberwachung", kurz "Quellen-TKÜ". Und dafür gelten nach dem Urteil nicht etwa die hohen Hürden des neuen Grundrechts, sondern die ganz normalen Regeln der tausendfach praktizierten Telefonüberwachung - vorausgesetzt, die "Quellen-TKÜ" ist strengstens auf Internet-Telefonate begrenzt.

Doch auch die echte Online-Durchsuchung, also die Kopie der Festplatte oder Komplettüberwachung der Computernutzung, ist nach den Karlsruher Vorgaben in wirklich brisanten Fällen möglich. Dass ein sich abzeichnender Terroranschlag wie etwa vor den Festnahmen im Sauerland vergangenen September existenzbedrohende Dimensionen hat, wie Karlsruhe fordert, steht außer Frage. Schließlich wollte sich das BKA selbst die aufwendige und teure Maßnahme nur für Ausnahmefälle genehmigen lassen - die Behörde geht von rund einem Dutzend solcher Maßnahmen pro Jahr aus. (dpa/tc)