Kann Literaturstudium einen Kurs ersetzen?

12.08.1977

Die Frage der optimalen Aus- und Weiterbildung beschäftigt viele EDV-Chefs. Sollen die Mitarbeiter ständig auf Kurse geschickt werden, oder kann das Literaturstudium ein Seminar ersetzen? CW bekam zu diesem Thema sehr unterschiedliche Statements: Sie reichen von der Ablehnung des reinen Literaturstudiums bis zur Bevorzugung von Fachbüchern gegenüber den Kursen. Der Tenor: Beides ist wichtig; jeder EDV-Leiter setzt jedoch eigene Akzente. Aus der Sicht des Fachdozenten Rüdiger Podlech hat das Seminar dagegen viele Vorteile gegenüber dem Literaturstudium, insbesondere wenn Grundlagenkenntnisse erworben werden sollen. Die Fachliteratur betrachtet Podlech lediglich als sinnvolle

Ergänzung. hz.

Wilhelm Gaußmann,

Leiter der Datenverarbeitung, Nestlé-Gruppe Deutschland GmbH, Frankfurt

Das Literaturstudium kann durchaus einen Fachkurs ersetzen: Wir bevorzugen aus unserer Sicht solche Hilfsmittel, weil wir glauben, daß Seminare und Kurse viel kostenaufwendiger sind und daß man sie auch schwerer beurteilen kann als ein Fachbuch. Unsere Leute bekommen zwar zu Seminaren einen Bewertungsbogen mit - wie objektiv er jeweils ausgefüllt wird, kann jedoch schwer überprüft werden. Die Literatur dagegen kann man sich vorher ansehen. Etwa 75 Prozent des Schulungsbedarfs wird bei uns durch Fachbücher und sonstige geschriebene Hilfsmittel abgedeckt. Die Entscheidung über die Auswahl der Literatur treffe ich selbst oder meine leitenden Mitarbeiter: Der Chef der Programmierung beispielsweise auf seinem Sektor, der Chef der Systemprogrammierung sowie der Rechenzentrumsleiter jeweils für ihre Sachgebiete. Jeder hat immer die Nase ein bißchen im Wind: Wenn uns irgendwelche Rezensionen oder Publikationen in den Fachzeitschriften besonders ansprechen, dann sehen wir uns das betreffende Buch gleich an. Ausgewählt wird die Literatur einerseits nach den Schulungsbedürfnissen und andererseits auch nach der Nützlichkeit eines solchen Werkes. Technisch orientierte Bücher haben allerdings einen großen Nachteil: Sie veralten sehr schnell. Daher sollte man sie besser nicht in Buchform anschaffen, sondern als Loseblattsammlung, die leicht ergänzt und verbessert werden kann.

Egon Otto,

Leiter der Programmierung, Joh. A. Benckiser GmbH, Ludwigshafen

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich meine, daß zur Fortbildung beides wichtig ist - das permanente Literaturstudium und der gelegentliche Besuch von Kursen.

Ich glaube nicht, daß ausschließlich Literaturstudium eine optimale Lernmethode darstellt, ebensowenig wie man durch Kursbesuche allein seinen Wissensstand erweitern kann.

Oft ist es schwierig und aufwendig, aus dem Überangebot an Fachbüchern das geeignete Werk herauszufinden, zumal dann, wenn man sich einen "Einstieg" in eine unbekannte Materie beschaffen muß. Hier dürfte ein Kurs, in dem mehrere Alternativen dargestellt werden (z. B. Systemvergleiche), sehr zur rationellen autodidaktischen Weiterbildung beitragen.

Zum Selbststudium gehören gewiß ein erhebliches Maß an Erfahrung und eine gehörige Portion Konzentrationsfähigkeit. In der Regel kann man ja am Arbeitsplatz selten stundenlang ungestört Bücher lesen. Bei einem Kurs hingegen ist man vor störenden Einflüssen weitgehend abgeschirmt und kann sich einen oder mehrere Tage lang ausschließlich mit den anstehenden Problemen beschäftigen. In Zweifelsfällen hat man die Möglichkeit, den Dozenten zu befragen oder z.B. in den reichlichen Pausen mit anderen Kursteilnehmern zu diskutieren. Die zusätzliche Informationsaufnahme durch das Gehör trägt sicher zu einer tieferen Aufnahme des dargebotenen Stoffes bei.

Die Kurs-Terminierung ist meines Erachtens ein nicht zu unterschätzender Faktor. Denn was nützt es, einen Kurs zu belegen, das Gelernte erst Monate später verwertet werden kann. Andererseits kann; ein zu später Kursbesuch - nach intensivem Literaturstudium, womöglich noch mit praktischer Untermauerung - dem Betroffenen wenigstens noch zu einem Quasi-Urlaub verhelfen.

Folgende verallgemeinerte Vorgehensweise würde ich für sinnvoll halten:

- kurzes Studium einführender Werke (soweit möglich und sinnvoll)

- Kursbesuch

- Vertiefung des Seminarstoffes durch gezieltes Literaturstudium

- im Bedarfsfall Besuch eines Spezialseminars.

Rüdiger Podlech,

Fachdozent in der Datenverarbeitung, Bonn

Dem Eleven in der Datenverarbeitung bieten sich eine Fülle von Medien, durch die er Grundlagenkenntnisse erwerben kann. Ohne diese hier näher zu erörtern, möchte ich behaupten, der Lernerfolg ist eine Funktion der Anzahl von Medien, die zum Erreichen der Lernziele eingesetzt werden. Je größer die Anzahl der eingesetzten Medien ist, desto optimaler stellt sich der Lernerfolg ein. Die Medien, die für diesen Zweck zur Verfügung stehen, kann man ganz grob in zwei Kategorien einteilen: Entweder werden die Interaktionen des Lernprozesses vom Lernenden oder vom Lehrenden gesteuert. Der Lernende zum Beispiel steuert den Lernprozeß dann, wenn er sich selbständig mit einem Lehrbuch beschäftigt. Der Lehrende steuert die Interaktion beispielsweise im Klassenunterricht. Beschäftigt sich der Lernende mit seinem Lehrbuch ausschließlich, dann wird der Lernprozess nur durch dieses eine Medium unterstützt. Im modernen Unterricht wird jedoch neben dem dominierenden Dialog zwischen dem Lehrer und Schülern sowie zwischen den Schülern (beim Gruppenunterricht) eine Vielzahl von weiteren Medien eingesetzt.

Die Behauptung, der Lernerfolg- sei eine Funktion der Anzahl der eingesetzten Medien, führt zu dem Schluß, daß der Unterricht durch kein noch so gutes Lehrbuch, auch nicht durch eine programmierte Unterweisung ersetzt werden kann. Gerade in der EDV-Grundlagen-Ausbildung ist der Adressatenkreis so heterogen, daß kein Lerntext an das breite Spektrum der individuellen Wissensstrukturen anknüpfen kann. Jeder Pädagoge, der in der Erwachsenen-Bildung tätig ist, wird bestätigen, daß Unterrichtsteilnehmer dann, wenn die Schulzeit schon lange zurück liegt, zuerst wieder das Lernen lernen müssen. Das können sie nur unter der Betreuung eines Pädagogen.

Ulrich Witte,

EDV-Leiter, Hornschuch AG, Weissbach

Es geht bei dem heutigen Thema nicht um Vor- oder Nachteile der beiden Lernmethoden, sondern um die generelle Frage, ob das Literaturstudium einen Fachkurs ersetzen kann. Lernen heißt im Grunde nichts anderes als Antworten finden auf Fragen. Durch die in der Literatur vorgegebenen Antworten ohne Berücksichtigung des Fragestellers und dessen mögliche Fragen ist dieser einseitige Kanal unflexibel. Sicherlich lassen sich einzelne Fachkurse abhängig vom Lernstoff, der lernenden Person und der Qualität bzw. Art der Literatur (z.B. programmierte Unterweisung) durch ein Literarstudium, ersetzen. Zu berücksichtigen ist auch der Wissensstand des Lernenden und an welche Lernmedien er gewöhnt ist.

Wenn man aber davon ausgeht, daß ein Fachkurs nicht nur aus dem Vorlesen von Literatur besteht, ist er speziell bei schwierigem Lernstoff nicht zu ersetzen. Durch die Kommunikation mit dem Instruktor und den Mitschülern können Mißverständnisse reduziert und unklare Punkte aufgehellt werden. Um eine bestmögliche Umsetzung der theoretischen Erkenntnisse für die tägliche Praxis zu gewährleisten, sollte man die heute möglichen Methoden der Wissensvermittlung (Film- und computerunterstützter Unterricht, Interaktionelles Lernen, Fallstudien, Rollenspiele, praktische Gruppenarbeit usw.) nutzen. Da in einigen Unternehmen Seminarbesuche leider noch als "soziales Bonbon" angesehen werden und meistens durch vordringliche Tagesprobleme die Zeit fehlt, ist es nicht leicht, eine optimale Verzahnung zwischen Literaturstudium und Fachkurs zu erreichen.