Firmenchef Stodden setzt auf Mobilität

Kann Fujitsu-Siemens die Wende schaffen?

01.12.2000
MÜNCHEN (kk) - Mit Produkten, Lösungen und Services für das mobile Zeitalter will sich Fujitsu-Siemens Computers (FSC) für die Zukunft positionieren. Doch ob das deutsch-japanische Joint Venture mit der neuen Strategie Geld verdienen und auch noch die rückläufigen Marktanteile im angestammten Geschäft ausgleichen kann, bezweifeln viele Analysten.

Auf den ersten Blick erscheint die Strategie plausibel, die Fujitsu-Siemens für die kommenden drei Jahre verfolgen will: volle Konzentration auf die Mobilität der Benutzer. Damit folgt FSC den Mitbewerbern und den Prognosen der meisten Marktforschungsunternehmen. Allerdings kämpft die Company mit rückläufigen Marktanteilen im PC- und Server-Bereich und muss sich die Frage gefallen lassen, ob die neue Marschrichtung die Probleme im Stammgeschäft auffangen kann.

Die wachsende Mobilität der Anwender und die Globalisierung von Unternehmen erfordern, so die Überlegungen von FSC, in Zukunft Dienstleistungen, die diesen Anforderungen gerecht werden. Man werde laut Strategiepapier Partnerschaften mit Softwareanbietern und Netzbetreibern schließen, um zum Beispiel über Roaming-Techniken Anwendungen aus dem eigenen PC auf fremde Desktops zu transferieren. Zudem kann sich Firmenchef Paul Stodden Servicestellen an Verkehrsknotenpunkten wie etwa Bahnhöfen oder Flughäfen vorstellen, die defekte Mobilgeräte in Empfang nehmen, die darauf abgelegten Daten und Programme an den Zielort des Reisenden senden und ihm bei Ankunft einen Zwillingsbruder des eigenen Geräts aushändigen.

Insgesamt soll der Anteil des produktbezogenen Umsatzes von derzeit 90 Prozent auf 80 Prozent sinken. Umgekehrt will der CEO mit Services statt wie bisher fünf in drei Jahren zehn bis 15 Prozent des Umsatzes erwirtschaften. Für das laufende Geschäftsjahr - Stichtag ist der 31. März 2001 - ist ein Gesamtumsatz in Höhe von 6,5 Milliarden Euro anvisiert.

Das Bekenntnis zur Mobilität beinhaltet auch die Entwicklung von transportablen Endgeräten, die von überall aus sicheren Zugriff auf die gewünschten Daten erlauben. Zusammen mit der Information and Communication Mobile-(ICM-)Einheit der Siemens-Mutter sollen die mobilen Devices entwickelt werden. Dabei werde nicht mehr nach privater oder beruflicher Nutzung der Tragbaren unterschieden werden, denn "mobile Nutzer wollen ihre Anwendungen jederzeit sicher verfügbar haben", erklärt Stodden. Die Entscheidung, die mobilen Geräte in Deutschland zu entwickeln, wird allerdings von Branchenkennern kritisch beurteilt, denn in diesem Bereich liege das Know-how in Asien.

Dort, insbesondere in den chinesischen und taiwanischen Technoparks, finden die Entwicklungsingenieure eine günstigere Infrastruktur mit einer Vielzahl von Komponentenherstellern, die ihre Arbeit erleichtert. Zudem könne Fernost auch mit dem besseren Fertigungs-Know-how aufwarten. Allerdings hat auch FSC - über die Mutterfirma Fujitsu - Zugriff auf Produktionsstätten in Japan und Taiwan.

Insgesamt kann der Markt für mobile Geräte in den kommenden Jahren mit großen Wachstumszahlen rechnen. Die Analysten von Forrester Research beispielsweise schätzen, dass in Westeuropa die Anzahl der Handy-Besitzer von über 210 Millionen in diesem Jahr auf knapp 300 Millionen im Jahr 2005 anwachsen wird. Zum Vergleich: Die Gesamtbevölkerung soll in diesem Zeitraum von 387 Millionen nur auf 391 Millionen Westeuropäer steigen.

Hat FSC Chancen bei mobilen Geräten?Noch dramatischer nehmen sich nach den Prognosen die Wachstumsraten bei den mobilen Internet-fähigen PC-Surfern und den Benutzern von netzfähigen Mobiltelefonen aus. Derzeit besitzen nur knapp neun Millionen Westeuropäer ein WAP-Handy (WAP steht für Wireless Application Protocol), im kommenden Jahr sollen es bereits über 54 Millionen sein. Im Jahr 2005 werden nach Ansicht der Analysten 283 Millionen Mobiltelefonierer auch Zugang zum Internet oder dem Intranet von Unternehmen haben. Die Möglichkeit, unterwegs von einem PC-basierten Gerät aus zu surfen, besitzen derzeit rund 2,5 Millionen Westeuropäer, im kommenden Jahr schon 23 Millionen und 2005 bereits 212 Millionen.

Kein Wunder, dass die enormen Wachstumsraten bei den Ausrüsterfirmen Begehrlichkeiten wecken und sich die Konkurrenz belebt. In den vergangenen Monaten stellte praktisch jeder Hardwarehersteller eine wie auch immer geartete "E-Business"-Strategie vor, die immer auch mobile Aspekte enthielt. Zudem drängen die Anbieter von (mobilen) Telekommunikationslösungen ebenfalls in diesen Bereich.

Die Antwort auf die Frage, wie diese mobilen Geräte aussehen könnten, blieb FSC aber weitgehend schuldig. Henrik Klagges, unabhängiger Analyst in München, glaubt nicht, dass es WAP-Telefone sein werden, denn "WAP ist ein ziemlicher Fehlschlag gewesen". Die von der Industrie initiierte mobile Internet-Telefonie werde von den Benutzern bislang nicht akzeptiert. Ob die Telekommunikationsfirmen die immens hohen UMTS-Lizenzkosten über Mobiltelefonie einspielen können, bezweifelt Klagges: "Die neuesten Erkenntnisse gehen dahin, dass die Kunden UMTS- oder WAP-Dienste nur ohne Mehrkosten nutzen werden."

Zwar räumt der Analyst ein, dass sich Mobiltelefone als Abrechnungsinstrument zum Beispiel für Micropayment im Taxi oder am Getränkeautomaten eher eignen als Browser-basierte PDAs. Die Frage sei aber, wer letztendlich damit Geld verdiene, der Content-Provider, das Unternehmen, das die Pay-Phones betreibt, oder der Hardwarehersteller Fujitsu-Siemens? Zudem komme FSC nicht an die Endkunden, denn geliefert werden die Systeme von Dienstleistern oder den Kontraktoren, die die Mobilverträge schließen.

Sollte FSC bei den zukünftigen tragbaren Frontends auf PDAs oder Laptops setzen, dann räumt Klagges der Company ebenfalls nur schlechte Chancen ein: "In diesem Markt hat Fujitsu-Siemens überhaupt keinen nennenswerten Marktanteil und wird ihn auch nicht erreichen". Eine von Tech-Consult im Sommer diesen Jahres organisierte Befragung zur derzeitigen und zukünftigen IT-Situation an 4525 Arbeitsstätten mit 20 oder mehr Mitarbeitern in Deutschland unterstützt diese Ansicht: "Bei den Notebooks heißt die Rangfolge der präferierten Markenanbieter Toshiba vor Compaq und IBM, wobei der Spitzenreiter alleine ein Viertel des Gesamtgeschäfts beansprucht." In den Marktuntersuchungen etwa von Dataquest/Gartner taucht der Name FSC bislang nicht unter den Top Ten auf.

Fujitsu-Siemens erzielt derzeit nach eigenen Angaben etwa zehn Prozent seines Umsatzes mit Mobilgeräten, hauptsächlich Notebooks. Wie Barbara Schädler, Leiterin Unternehmenskommunikation, mitteilte, habe man es bisher versäumt, die vom Markt als durchaus positiv eingeschätzten Produkte richtig zu vermarkten. Der Zeitplan für die zusammen mit Siemens ICM zu entwickelnden neuen Mobilgeräte sieht vor, dass erst bis zum zweiten Quartal 2001 entschieden sein wird, was angeboten werden soll. Stodden hofft aber, damit bereits in einem Jahr einen "signifikanten Umsatz" erzielen zu können.

Analyst Klagges kann nicht erkennen, wie die Company mit den Mobilgeräten Geld verdienen will. Denn neben der fehlenden Marktpräsenz verfüge FSC auch über keine Middleware-Produkte, auf denen man Mobilapplikationen aufbauen könnte. Außerdem sei das Unternehmen natürlich auch kein Content-Produzent: "Aber genau da hätte man im Mobilsektor noch eine Verdienstmöglichkeit." Klagges hält die Euphorie über den Boom bei mobilen Geräten sowieso für unangebracht: "Der Trend wird nicht so stark ausfallen, wie das viele Auguren voraussagen, und die Preise für Dienstleistungen werden sich ähnlich wie beim Internet nach unten bewegen." Für ihn ist die Ausrichtung auf Mobile-Computing bloße Kosmetik: "Die große Vereinheitlichung der gesamten Interfaces in einer unternehmensweiten Infrastruktur ist eine nette Vision, aber womit will man Geld verdienen?" Deshalb unterstützt er die Entscheidung von FSC, trotz der sinkenden Marktanteile im PC-Bereich, dieses Geschäft nicht zugunsten mobiler Devices aufzugeben.

Besser beurteilt der Analyst die Stellung des Joint Ventures als Lieferant von Mission-critical-Infrastruktur: "Da gibt es Kunden, Margen und langfristige Verträge." Auch seien die Produkte, die Fujitsu-Siemens anbietet, "besser als früher die Mips-basierten Unix-Maschinen". Das Mainframe-Geschäft von FSC hängt allerdings von Entscheidungen der japanischen Mutter Fujitsu ab, auch in Zukunft in diesem Bereich zu investieren. Die Bereitschaft dazu könnte langfristig sinken, denn erst kürzlich gab Amdahl, ebenfalls eine Fujitsu-Tochter, bekannt, keine neue IBM-kompatible Großrechnergeneration mehr zu entwickeln. Damit steigen im Firmenverbund die Kosten für zukünftige Großrechner der beiden verbliebenen Mainframe-Linien. Gartner-Analysten bezweifeln deshalb, dass Fujitsu auf lange Sicht in neue Architekturen investieren wird. Fujitsu beliefert den japanischen Markt mit proprietären Systemen, und FSC bietet seine BS2000-Rechner hauptsächlich in Deutschland an.

Im Unix-Bereich stammen die neuen leistungsfähigen "Primepower"-Server ebenfalls aus japanischer Produktion. Die Solaris-Rechner basieren auf Sparc-kompatiblen Prozessoren, die mit der Übernahme von Hal Computer in den Firmenverbund kamen. Während aber beispielsweise Sun im Server-Markt aus einer starken Position heraus immer noch hohe Zuwächse verzeichnen kann, sinken die Marktanteile von Fujitsu/Fujitsu-Siemens. So schätzt Gartner, dass der Firmenverbund im dritten Quartal 2000 nur mehr einen Anteil von 3,8 Prozent am Weltmarkt hält. Im Vergleichsquartal des Vorjahres lag dieser Wert noch bei 4,5 Prozent. Selbst im angestammten Verkaufsgebiet Westeuropa musste FSC bei den Server-Verkäufen im dritten Quartal 2000 Federn lassen: Hier reiht sich der Verbund Fujitsu/FSC hinter Compaq, IBM, Dell, HP und Sun mit einem Marktanteil von 7,8 Prozent auf Rang sechs ein.

Nicht besser sieht die Betrachtung des Detail-Marktes NT-Server aus. Konnte Fujitsu zusammen mit FSC im dritten Quartal 1999 weltweit noch 36 255 Intel-Maschinen an den Mann bringen, so waren es im Vergleichsquartal 2000 nur mehr 34 706 Stück, was einen Rückgang des Marktanteils von 4,9 auf 4,1 Prozent bedeutet. Im Wirtschaftsgebiet Westeuropa verkaufte FSC knapp 20 000 Intel-Server und lag damit auf Platz fünf. Zum Vergleich: Primus im dritten Quartal 2000 war Compaq mit 82 000 verkauften Systemen.

Um die neue Strategie umzusetzen, will FSC-Chef Stodden in den kommenden drei Jahren insgesamt 750 Millionen Euro investieren. Alle Abteilungen inklusive Vertrieb und Entwicklung sollen auf die beiden strategischen Bereiche "Mobilität der Anwender" sowie Bereitstellung der "Infrastruktur mit einer robusten und erweiterbaren Technik für E-Business-Anwendungen" ausgerichtet werden. Ob das eingesetzte Geld ausreicht, FSC wie geplant an die Spitze der europäischen IT-Hersteller zu befördern, ist angesichts der noch nicht einmal entwickelten mobilen Produkte und der abnehmenden Marktanteile im Stammgeschäft fraglich.

Bezweifelt werden darf auch, ob die richtigen Partner für das Service- und Lösungsgeschäft ausgesucht wurden: Siemens Business Services (SBS) von Seiten der deutschen Anteilseigner sowie die Fujitsu-Töchter ICL und Amdahl. Die SBS beschränkt sich in ihrer Tätigkeit fast ausschließlich auf den deutschen Markt. ICL musste in England den geplanten Börsengang absagen, der Grund: 70 Millionen Pfund Verlust bei einem Umsatz von 2,7 Milliarden Euro. Die Konzernmutter Fujitsu will die Zügel straffen und als erstes Personal entlassen.

Abb: Auch im Markt für mobile Rechner wird sich das Wachstum in den nächsten Jahren abschwächen. Quelle: Gartner