Signale der Geschäftsbelebung und Großaufträge nehmen zu

Kann Capgemini den Trend umkehren?

28.05.2004
LONDON (ajf) - Das IT-Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen Capgemini hat die Durststrecke der vergangenen Jahre hinter sich gelassen - zumindest nach Einschätzung seines Managements. Immerhin: Der Konzern, der das Outsourcing später als die Konkurrenz entdeckte, konnte innerhalb kurzer Zeit zwei spektakuläre Verträge abschließen.

Umsatzeinbrüche, schwache Ergebnisse und Probleme bei der Integration der IT-Sparte von Ernst & Young - die vergangenen Jahre verliefen für Capgemini alles andere als erfreulich. Europas größter IT-Berater dümpelte aufgrund hausgemachter Probleme und einer anhaltenden Flaute im Consulting-Markt vor sich hin. Der Vertrieb, das Marketing und die interne Organisation seien die Schwachstellen von Capgemini gewesen, resümiert Forrester-Analyst David Metcalfe.

Nun soll sich alles ändern. Er könne das Ende des Tunnels erkennen, sagte Firmenchef Paul Hermelin vor Journalisten in London. Zumindest in der zweiten Jahreshälfte werde das Geschäft besser laufen, gab sich der CEO optimistisch. Dagegen seien die ersten Monate 2004 hart gewesen, was aber nicht nur von Capgemini zu hören ist. Verfehlte Prognosen und strategische Missgriffe kann sich der seit Ende 2001 amtierende Firmenchef nun allerdings nicht mehr leisten, denn sein Ruf ist in der Finanzgemeinde ramponiert.

Milliarden-Kontrakt in Texas

Rückenwind erhielt Hermelin vergangene Woche, als er einen prestigeträchtigen Outsourcing-Kontrakt über zehn Jahre mit dem texanischen Energieversorger TXU verkünden konnte. Der Deal hat ein Volumen von über 3,5 Milliarden Dollar - das bislang größte Outsourcing-Abkommen im laufenden Jahr. Als Konkurrenten "im heftigen Wettbewerb" um den Vertrag nannte Pierre Yves Cros, Chefstratege der Franzosen, "die üblichen Verdächtigen", darunter Accenture und die Science Application International Corp. (SAIC). Capgemini ordnet das TXU-Abkommen in den Bereich des "Transformational Outsourcing" ein, das zentrale Marktsegment des Konzerns. Am Betrieb von Server-Farmen, "bei denen der Mensch lediglich das Licht an- und ausmacht", hat das Unternehmen Cros zufolge kaum Interesse. Die Kunden von Capgemini seien vornehmlich daran interessiert, die Leistung ihrer IT und der Geschäftsprozesse zu steigern.

Operative Marge muss sich verbessern

Mit dem soeben geschlossenen TXU-Vertrag konnte Capgemini innerhalb eines halben Jahres immerhin zwei richtungsweisende Deals auf zwei Kontinenten unter Dach und Fach bringen - im Dezember 2003 war ein Abkommen mit der britischen Finanzbehörde Inland Revenue über 4,3 Milliarden Euro getroffen worden. Finanziell niederschlagen werden sich beide Verträge erst zur Jahresmitte, da sie offiziell im Juli 2004 in Kraft treten. Zudem sind sie vorerst nicht geeignet, die Gewinnspanne der Company zu verbessern. Investoren erwarten von Capgemini, dass die operative Marge in der ersten Jahreshälfte um knapp 50 Prozent gesteigert wird - von zuletzt 2,7 auf vier Prozent. Doch selbst damit liegt Capgemini immer noch deutlich hinter Accenture, das im vergangenen Geschäftsjahr eine operative Marge von 13 Prozent verzeichnete. Immerhin tragen die Großverträge dazu bei, neues Vertrauen in die Company entstehen zu lassen. Das hat Capgemini mindestens ebenso nötig wie stabile Umsätze und Nettoprofite.

Richtungsweisend könnte der TXU-Kontrakt vor allem deshalb für das Unternehmen sein, weil sich die Geschäfte in den USA nicht wie erwartet entwickelt haben. Der Dienstleister wird dort häufig als europäischer Anbieter wahrgenommen, und die politischen Spannungen zwischen Paris und Washington angesichts des Irak-Kriegs haben die Geschäfte erschwert. Gleiches gilt für die Tatsache, dass Mitte April die vor allem in Nordamerika bekannte Marke "Ernst & Young" aus der offiziellen Firmenbezeichnung gestrichen wurde, weil die Namensrechte auslaufen.

Überhaupt ist die Übernahme der IT-Consultants von Ernst & Young eine Last, an der die Franzosen schwer zu tragen haben. Für über elf Milliarden Dollar war die Firma im Jahr 2000 gekauft worden, auf dem Gipfel des IT-Hypes und nach dem Jahr-2000-Geschäft. Danach gingen die Aufträge zurück, und das Fazit des Managements fällt nach vier Jahren ernüchternd aus: "Das Timing war unglücklich, aber wir brauchten den Zugang zum US-Markt und in die Vorstandsetagen der Unternehmen", sagt Chefstratege Cros heute, und: "Langsam macht sich die Übernahme bezahlt."

In Nordamerika musste Capgemini im vergangenen Geschäftsjahr einen Umsatzrückgang um 26 Prozent auf 1,67 Milliarden Dollar verzeichnen. Die Fluktuation unter den US-amerikanischen Beratern belief sich laut CEO Hermelin zuletzt auf 24 Prozent pro Jahr, im gesamten Unternehmen waren es die branchenüblichen 15 Prozent. In einer ersten Reaktion war im März der US-Chef John McCain nach weniger als einem Jahr im Amt durch die Managerin Chell Smith ersetzt worden.

Schwere Zeiten im Heimatmarkt

Zu allem Überfluss läuft es auch im französischen Heimatmarkt schlechter als erwartet. Vor zwei Wochen kündigte der Staat einen 200 Millionen Euro schweren Vertrag über die Entwicklung einer Finanzsoftware ("Accord 2") für die öffentliche Hand. Betroffen waren neben Capgemini auch dessen Konsortiumspartner Accenture und SAP. Der Umsatzrückgang in Frankreich belief sich 2003 auf 16 Prozent, eingenommen wurde gut eine Milliarde Euro. CEO Hermelin schloss Entlassungen in nicht operativen Bereichen nicht aus.

Besser steht die deutschsprachige Region da, wo im vergangenen Jahr inoffiziellen Zahlen zufolge knapp 440 Millionen Euro umgesetzt wurden. "In Deutschland hat sich Capgemini 2003 etwas günstiger als der Markt entwickelt", berichtet Julia Reichhart, Analystin bei Pierre Audoin Consultants (PAC). Auch das Outsourcing-Segment habe sich gemausert, jedoch sei die Ausgangsbasis immer noch vergleichsweise klein. Konkrete Zahlen zum Profit werden nicht genannt, doch es heißt, das Ergebnis sei hierzulande fast ausgeglichen gewesen. Für 2004 soll die Gewinnschwelle übersprungen werden, wozu ein im Februar geschlossener Outsourcing-Deal mit der Lübecker Drägerwerk AG beitragen soll.

Vor allem das späte Engagement im Outsourcing wurde den Franzosen zuletzt häufig angekreidet. Dabei setzte Capgemini im vergangenen Geschäftsjahr laut CEO Hermelin knapp 30 Prozent mit diesbezüglichen Services um, bis 2005 soll der Anteil auf 40 Prozent steigen. PAC-Analystin Reichhart zufolge hat Capgemini "Nachholbedarf, weil sie spät auf den Zug aufgesprungen sind". Dass der Konzern in Deutschland auch nach passenden Übernahmeobjekten im Outsourcing-Segment sucht, ist kein Geheimnis.

Nearshore und Offshore

Ein Ansatz, die Personalkosten unter Kontrolle zu halten, ist der Weg in den Osten - was nicht nur für Capgemini gilt. Das Unternehmen hat die Fühler nach Osteuropa ausgestreckt, in China ist der Konzern an zwei Standorten vertreten. Indien wird über Brückenköpfe in Bangalore und Mumbai abgedeckt, die Zahl der Mitarbeiter beläuft sich inzwischen auf über 1500. Wettbewerber von Capgemini kommen auf dem Subkontinent indes leicht auf den zehnfachen Wert, weshalb die Franzosen auch nicht ausschließen, einen indischen Anbieter zu übernehmen. Die Sache hat nur den Haken, dass indische Dienstleister derzeit von ihren westlichen Pendants umschwärmt werden, was sich ungünstig auf die Preise auswirkt. Einen indischen Dienstleister zu kaufen, würde bis zum Fünffachen seines Jahresumsatzes kosten, während europäische Service-Companys schon für zwei Drittel ihrer Jahreseinnahmen den Besitzer wechseln.

Frontend und Backend

Spekulativ ist die Theorie, dass sich ein indischer Dienstleister für die Übernahme von Capgemini interessiert, auch weil ein derartiger Deal die bisherigen Denkmuster der Branche auf den Kopf stellen würde. Während die Inder im Backend-Bereich stark sind, liegen die Schwerpunkte westlicher Konzerne wie Capgemini auf dem Frontend - dem Dialog mit dem Kunden und dem Wissen um die Geschäftsprozesse. Eine Fusion würde nur geringfügige Überschneidungen mit sich bringen, zumal die Inder in den USA gut im Geschäft und in Europa relativ schwach vertreten sind.

Infosys beispielsweise kam im vergangenen Geschäftsjahr auf Umsätze von etwas über einer Milliarde Dollar, weniger als ein Fünftel der Einnahmen von Capgemini. Die Franzosen verfügen derzeit über einen Börsenwert von gut vier Milliarden Euro, während Infosys auf über zehn Milliarden Dollar taxiert wird. Wipro steht, gemessen an diesen Werten, nur leicht schlechter als Infosys da. Satyam ist deutlich kleiner und wäre kaum in der Lage, den Deal zu stemmen. Allerdings muss es nicht immer eine Übernahme sein - eine "Fusion unter Gleichen" beziehungsweise eine enge Partnerschaft hätte auch ihren Charme.

PAC-Analystin Reichhart glaubt derweil, dass sich Capgemini Ende des Jahres "stabiler als zuletzt präsentieren wird". Die Restrukturierungen seien abgeschlossen, der Consulting-Sektor fange sich allmählich, und es ständen wieder größere Projekte in Aussicht. Für den französischen Chefstrategen Cros zählt 2004 vor allem das Wachstum der Umsätze: "Wir werden aggressiver in den Markt gehen." Bezogen auf das laufende Quartal, rechnet er mit weiteren "guten Nachrichten".

Auch Forrester-Analyst Metcalfe geht davon aus, dass die Company nicht zuletzt wegen der jüngsten Großverträge auf dem besten Weg ist, "die Kurve zu kriegen". Capgemini habe inzwischen die eigenen Schwächen erkannt und seine Ressourcen den drängendsten Probleme zugeordnet, so dass der Anbieter "mit dem Markt wächst". Laut Metcalfe nimmt das europäische Consulting-Geschäft 2004 um rund fünf Prozent zu, das Infrastruktur-Outsourcing um zwölf Prozent und der Bereich Business Process Outsourcing (BPO) um mehr als 15 Prozent. "Wir erwarten, dass Capgeminis Umsätze in diesem Jahr leicht steigen werden", prognostiziert der Analyst. Zuletzt war das dem Unternehmen im Jahr 2001 nach der Übernahme von Ernst & Young gelungen.

Die aktuellen Zahlen

Capgemini setzte im ersten Quartal des Jahres 2004 rund 1,48 Milliarden Euro um. Im vergleichbaren Vorjahresquartal hatte der Konzern noch 1,55 Milliarden Euro eingenommen. Nach Angaben des Unternehmens, das Ende März etwa 55400 Mitarbeiter beschäftigte, hätten sich die Einnahmen in Europa stabilisiert, während auf dem Nordamerika-Geschäft weiterhin hoher Druck lastet. Zahlen zum Ergebnis wurden nicht genannt.

Abb: Spiegel der Marktsituation

Den letzten Umsatzanstieg verzeichnete Capgemini im Jahr 2001, als die Einnahmen von Ernst & Youngs IT-Beratern hinzukamen. Quelle: CW