CW-Gesprächsrunde diskutiert DV-Schulungsprobleme in Ostdeutschland

Kampf an mehreren Fronten bremst Motivation zum Lernen

27.09.1991

LEIPZIG (hk) - DV-Umschulung in Ostdeutschland muß sieh mehr an den Bedürfnissen der Teilnehmer orientieren. Während einige westliche Bildungsträger auf die Qualität der Ausbildung pochen, haben Umschüler ganz andere Sorgen. In einem Gespräch mit der COMPUTERWOCHE äußerten sich Teilnehmer von DV-Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen in Leipzig sehr kritisch zu ihrer Situation und zur wirtschaftlichen Lage insgesamt.

Sie beklagen zum einen die ungenügende Unterstützung durch staatliche Stellen, erwarten aber auch mehr Engagement von westlichen Unternehmen. Roland Lühmann ist darüber enttäuscht, daß keine Stelle kompetent beraten kann: "Wohin man auch geht, sei es Arbeitsamt, IHK oder Treuhand, keiner kann mir etwas sagen." Heike Flegel, die zur DV-Kauffrau umgeschult wird, kann sich eigenen Aussagen nach nicht bewerben, weil die IHK nun bereits zum dritten Mal die Prüfungstermine verschoben habe. Zudem hätte das Arbeitsamt einigen Teilnehmern seit drei Monaten kein Unterhaltsgeld gezahlt.

Das Lernen werde auch dadurch behindert, wenn man an mehreren Schauplätzen kämpfen müsse, meint auch Renate Skwaraczynski. Die ehemalige Interflug-Mitarbeiterin besucht einen DV-Lehrgang, um ihre Bewerbungschancen zu erhöhen. Man müsse, sagt sie, optimistisch sein, auch wenn es kaum Aussicht auf einen neuen Arbeitsplatz gebe.

Enttäuscht ist Rainer Pufahl, Marketingleiter von RBS business systems, insbesondere darüber, daß westliche Unternehmen äußerst zurückhaltend reagieren, wenn es um Praktikumsplätze für Umschüler geht. Mehr als 80 Firmen hätte er angeschrieben und nur Absagen erhalten.

In einer weiteren CW-Gesprächsrunde, diesmal mit Leipziger DV-Institutsleitern, kritisierten diese die "Preispolitik" des Arbeitsamtes. Sie mache es den Bildungsträgern schwer, Qualitätskriterien in den Vordergrund zu stellen, wenn die Förderungssätze pro Teilnehmer weiterhin gekürzt werden. Damit hätten seriöse Anbieter kaum Chancen, sich gegen "Garagenfritzen", so bezeichnete ein Teilnehmer unseriöse DV-Institute, zu behaupten, die aufgrund ihrer personellen und technischen Ausstattung die Großen immer unterbieten könnten.

Die Teilnehmer wiesen weiter darauf hin, daß westliche Kurse nicht eins zu eins übernommen werden sollten. Man müsse mehr auf die Bedürfnisse der Teilnehmer aus dem Osten eingehen. Hier hätte man bereits aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt.

Mehr Englisch und Betriebswirtschaft

Kursteilnehmer aus den neuen Ländern bräuchten, so die Erfahrung der anwesenden Schulungsleiter, mehr Kurstage für die Fächer Betriebswirtschaft und Englisch als bisher vorgesehen. Und auch die psychologische Betreuung sollte nicht zu kurz kommen.

Damit meinten die Schulungsleiter die Vorbereitung der Teilnehmer auf die Marktwirtschaft, die von jedem einzelnen viel Selbstinitiative verlange, und die einem auch Enttäuschungen nicht erspare, zum Beispiel Absagen auf Bewerbungen, was viele als persönliche Niederlage interpretierten (In einer der nächsten Ausgaben wird die CW ausführlich über das Gespräch berichten).

Auch die Informatiker der ehemaligen Karl-Marx-Universität sehen schweren Zeiten entgegen. Im Revolutionsjahr 1989 als eigenständiger Fachbereich etabliert, müssen sie nun befürchten, mit den Mathematikern vereinigt zu werden. Gegen den Willen der Informatiker, so der Wissenschaftler Andreas Schierwagen, stellte der Senat der Universität den Antrag auf Zusammenlegung der beiden Fachbereiche beim sächsischen Kultusministerium.

Informatik-Professor Hans-Joachim Köhler kann diese Entscheidung nicht nachvollziehen. Selbst der Fakultätentag Informatik hätte empfohlen, in Leipzig die Computerwissenschaften beizubehalten; außerdem sei Informatik ein Fach mit Zukunft. Begründet werde dieses Zusammenlegen, so der Leipziger Professor, mit dem bevorstehenden Stellenabbau und der nicht ausreichenden Zahl von Studenten - aus der Sicht der Professors fadenscheinige Gründe.