IT in der öffentlichen Verwaltung/Die baden-württembergische Justiz vereinheitlicht ihre Software

Justus beschleunigt Gerichtsverfahren

13.12.2002
Die inhomogene Softwareausstattung der Gerichte verursacht Anpassungs- und Schulungsaufwand. Das Justizministerium Baden-Württemberg hat deshalb begonnen, die bisherigen Anwendungen durch die Programmfamilie "Justus" abzulösen. Damit könnten die Justizbediensteten die Gerichtsverfahren beschleunigen. Von Michael Steindorfer*

Die Anforderungen an die neue DV des Justizministeriums sind von Justizmitarbeitern mit Unterstützung einer Beratungsfirma in Fachkonzepten beschrieben worden. Auf eine einheitliche, komponentenorientierte Lösungsarchitektur wurde besonders geachtet. Ferner wurde die in Baden-Württemberg praktizierte ganzheitliche Wahrnehmung von Aufgaben durch Serviceeinheiten berücksichtigt sowie die Einbindung der Richter- und Rechtspflegerarbeitsplätze. Die Administration der Anwendungen wird durch eigene Funktionen unterstützt.

Mit der Umstellung wurde im Pilotverfahren in den acht Sozialgerichten und dem Stuttgarter Landessozialgericht im Pilotverfahren begonnen. Dort sahen sich die 450 Justizbediensteten, davon 87 Richter, mit einer drastischen Zunahme der Sozialgerichtsverfahren konfrontiert. Die MS-DOS-basierende Textverarbeitung, die bislang zur Verfahrensbegleitung verwendet wurde, passte nicht mehr in das Konzept moderner Benutzeroberflächen und komfortabler Office-Anwendungen. Gesucht wurde eine Web-Lösung, die die Abläufe von der Eröffnung bis zum Abschluss eines Verfahrens und den nachgelagerten Verfahrensschritten, wie beispielsweise statistischen Auswertungen, durchgängig unterstützen kann.

Um auch für den künftigen elektronischen Rechtsverkehr gerüstet zu sein, musste die neue Software auf offenen Technologiestandards wie Java und XML basieren. Ferner sollte sich die Lösung leicht weiterentwickeln lassen, da sie auch für andere Gerichtsbarkeiten eingeplant ist. Und schließlich war ein enger Zeitplan einzuhalten, der nur neun Monate für die Entwicklung erlaubte. Was folgte, war eine europaweite Ausschreibung, an der sich die größten IT-Dienstleister und Systemhäuser beteiligten. Den Zuschlag erhielt die Darmstädter Software AG, die sich auch preislich gegenüber den Mitbewerbern durchsetzen konnte.

Heute können die Justizbediensteten mit einer Oberfläche arbeiten, die keine starren Arbeitsschritte vorgibt. Über einen Menübaum, ähnlich wie im Datei-Explorer von Windows, sind die typischen Arbeitsabläufe abgebildet. Beispielsweise wird bei Prozessbeginn mit Vergabe des Aktenzeichens eine neue Akte angelegt. Was folgt, sind Menüpunkte wie Falldaten, in denen Kläger, Beklagter, Rechtsanwälte, Richter und Zeugen erfasst werden. Außerdem ist dort der Verfahrenseingang abgebildet mit allen Bestätigungen und eventuellen Berufungen oder Beschwerdeeingängen. Auch die weiteren Einträge des Hauptbildschirmes entsprechen dem typischen Verfahrensverlauf bis hin zur Entscheidung.

Flexibel und erweiterbar

Die während der einzelnen Verfahrensschritte zu erzeugenden Dokumente wie Terminbestimmungen, Ladungen und Urteile sind in chronologischer Reihenfolge aufgeführt. Eine Serienbrieffunktion ermöglicht es, Schriftstücke auf unterschiedliche Arten an mehrere Empfänger zu versenden. Je nach Verantwortungsbereich und Berechtigung haben Richter, Rechtspfleger sowie die Schreibdienste Zugriff auf diese Funktionen. Erstmals steht den Gerichten damit eine Lösung zur Verfügung, die über die reine Textverarbeitung hinausgeht und auch das zentrale Dokumenten-Management unterstützt.

Um Flexibilität und Erweiterbarkeit zu erreichen, wurde eine komponentenorientierte Three-Tier-Architektur mit getrenntem Datenbank-, Anwendungs- und Oberflächen-Layer entwickelt. Die Richter könnten damit auch von zu Hause aus arbeiten. Durch die offene Anwendungsarchitektur lassen sich zahlreiche Komponenten künftig in weiteren Gerichtsbarkeiten verwenden. Insbesondere der Einsatz von XML zur Dokumentenspeicherung erlaubt einen flexiblen Datenaustausch mit anderen Gerichten sowie die Weiterverarbeitung der Verfahrensdaten, beispielsweise für statistische Zwecke. Auch künftige Herausforderungen wie der elektronische Rechtsverkehr lassen sich auf Basis der neuen Technik verwirklichen.

Um den Wartungs- und Pflegeaufwand gering zu halten, können juristische Fachkräfte aktuelle Gesetzes- und Rechtsprechungsänderungen direkt einpflegen. Immerhin benötigen die Gerichte etwa 1800 Dokumentenvorlagen, die auf Basis von XML und XSL-Stylesheets in Justus gespeichert sind. Mit wenig Schulungsaufwand können die Anwender die verwendeten Dokumente und Formulare entsprechend den Gesetzesänderungen weitgehend eigenständig anpassen.

Die Anwender in der Sozialgerichtsbarkeit, in Baden-Württemberg insgesamt neun Gerichte, sind zufrieden mit dem neuen Programm. Entsprechend hat die Software AG im Sommer 2002 die Auszeichnung als "Bester Dienstleister des Jahres 2001 für Informations- und Kommunikations-Technik der Landesverwaltung Baden-Württemberg" erhalten.

Die nächsten Projekte wurden bereits gestartet: Die Anpassung des Programms für die Verwaltungs- und die Finanzgerichtsbarkeit ist im Gang. Für die ordentliche Gerichtsbarkeit in den Oberlandes-, Land- und Amtsgerichten werden auf derselben technischen Basis Programme für die Zivilabteilungen, Familiengerichte, Strafabteilungen, Vollstreckungsgerichte (Mobiliarzwangsvollstreckung), freiwillige Gerichtsbarkeit und die Beratungshilfe erstellt. Zahlreiche der für das Pilotverfahren entwickelten Komponenten lassen sich für die weiteren Anwendungen wiederverwenden. (bi)

*Michael Steindorfer ist Ministerialdirektor im Justizministerium Baden-Württemberg.

Angeklickt

- Die neue Software für die baden-württembergische Justiz musste auf Standards wie Java oder XML basieren.

- Heute arbeitet man mit einer Oberfläche, die keine starren Arbeitsschritte vorgibt.

- Es wurde eine komponentenorientierte Three-Tier-Architektur mit getrenntem Datenbank-, Anwendungs- und Oberflächen-Layer entwickelt.