EDI ist mehr als der Einsatz neuer DFÜ-Formate

Just-in-time-Produktion bei VW setzt den Einsatz von EDI voraus

28.06.1991

Seit über einem Jahrzehnt betreibt die Volkswagen AG elektronischen Datenaustausch innerhalb des Konzerns und mit externen Partnern. Ursprünglich sollte mit EDI vor allem ein schneller Informationsfluß erreicht werden. Für moderne Techniken wie Simultaneous Engineering und Just-in-time-Produktion ist DFÜ zwingende Voraussetzung. Dirk Rude, Claus-Jörg Leberkühne und Alfons Oer* zeigen auf, welche Erfahrungen VW mit EDI gemacht hat.

Bei der Ausweitung von EDI strebt der Wolfsburger Konzern keine partielle, sondern eine durchgängige Lösung an, bei der die Einbindung aller beteiligten externen und internen Partner erfolgen soll.

Schon die Implementierung neuer Übertragungstechniken und neuer Datenformate bedeutet einen enormen Aufwand, aber die gleichzeitige Umgestaltung und Straffung des eigentlichen, durch EDI gestützten Geschäftsprozesses, bedarf noch größerer Anstrengungen. Doch nur bei gleichzeitiger Anpassung der Organisation können die Zeit- und Nutzen-Potentiale des EDI-Einsatzes im vollen Umfang genutzt werden.

Wirtschaftlicher

Datenaustausch

Für VW bedeutet EDI mehr als nur den Einsatz neuer Datenübertragungstechniken und -formate. "EDI ist wirtschaftlicher, interventionsloser, elektronischer Datenaustausch in allen Geschäftsprozessen mit externen und internen Partnern" so die von den Wolfsburgern definierte EDI-Philosophie.

Für den EDI-Ausbau bei VW ist die Bestimmung des derzeitigen DFÜ-Volumens eine wesentliche Grundlage. Die Abbildung 1 zeigt das Daten-Übertragungsvolumen mit den externen Partnern. Von rund 1500 Lieferanten sind heute ungefähr 350 per EDI angebunden, wodurch ein Anteil für produktives Material von rund 60 Prozent abgedeckt ist. Insgesamt wird VW von etwa 10 000 Lieferanten beliefert, wobei jedoch teilweise nur sporadische Lieferbeziehungen bestehen.

Mit den aus- und inländischen Vertriebspartnern oder Konzerngesellschaften tauscht der Automobilkonzern Daten vornehmlich in VW-spezifischen Formaten aus.

Im Datenverkehr mit den Banken werden die in dieser Branche üblichen Datenformate genutzt. Zulieferer, Spediteure und Kooperationspartner kommunizieren mit VDA-Datenformaten.

Das technische Datenübertragungs-Management für Stapeldaten (Filetransfer) wird im VW-Konzern ausschließlich über den im eigenen Hause entwickelten DFÜ-Monitor RVS (Rechner-Verbund-System) abgewickelt. In Wolfsburg läuft das RVS auf einem Rechnersystem IBM 3090 unter MVS. RVS ist auch bei vielen anderen Automobilherstellern im Einsatz.

VW-Partner müssen für die Kommunikation jedoch nicht das RVS einsetzen, da als Alternative eine Reihe RVS-kompatibler Softwareprodukte anderer Hersteller zur Verfügung steht.

RVS unterstützt alle "offenen" Filetransfer-Protokolle, das heißt die in der Automobilindustrie gängigen Standard-Protokolle VDA 4914/0 und VDA 4914/2 (Odette-FTP), über die auch die Anbindung der Zulieferer erfolgt. Das europaweit gültige Odette-FTP wird als branchenspezifischer Vorläufer zu FTAM gesehen.

Das branchenübergreifende OSI-Standard-Protokoll FTAM soll in nächster Zeit ebenfalls in das RVS integriert werden. Es ist für große Datenmengen konzipiert und eignet sich daher besonders für den Austausch von CAD-Daten. Alle vom RVS unterstützten Transportprotokolle arbeiten unabhängig von den Dateninhalten. Mit jedem der Protokolle sind daher VDA-, Odette-, Edifact- und frei vereinbarte Nachrichtenformate übertragbar.

Die Anbindung der VW-Zulieferer erfolgte bisher über Punkt-zu-Punkt-Verbindungen, der Einsatz von VANS ist jedoch für die Volkswagen AG nicht prinzipiell ausgeschlossen. Für Partner mit nicht-zeitkritischem und geringem beziehungsweise sporadisch auftretenden Übertragungsvolumen kann der Einsatz eines VANS eine sinnvolle Lösung sein. Im Konzern nutzt die spanische Tochter Seat die Dienste eines VANS beim Datenaustausch mit Lieferanten.

Soweit es die Geschäftsprozesse im administrativen Bereich erfordern und dies betriebswirtschaftlich vertretbar ist, werden auch die Lieferanten von nicht-produktivem Material in den elektronischen Datenaustausch mit einbezogen. Aber nicht allein die zahlenmäßige Zunahme der EDI-Partnerbeziehungen wird das enorme Anwachsen des EDI-Datenvolumens bestimmen, sondern vielmehr die Intensivierung der Verbindungen zwischen den Geschäftsprozessen von kooperierenden Partnern. Dies gilt sowohl für die Anzahl der Nachrichten als auch für das Datenvolumen.

Die angestrebte Fertigungstiefen-Reduzierung in der Automobilindustrie hat nicht allein Auswirkungen auf Lieferumfang und -verfahren beim Hersteller, die Lieferanten sollen künftig auch wesentlich stärker und früher in den Entwicklungsprozeß der Produkte mit eigener Komponentenverantwortung eingebunden werden. Die notwendige Synchronisation dieses Entwicklungsprozesses zwischen Lieferanten und Hersteller kann jedoch nur mit EDI bewerkstelligt werden.

VW will außerdem den elektronischen Datenaustausch mit den externen Partnern noch ausbauen. Nicht nur Abruf- und Lieferdaten als Basis für den Fertigungsprozeß werden per elektronischem Medium übertragen, sondern auch alle Daten für die administrative Abwicklung der Lieferbeziehung. Basis für den EDI-Ausbau sind auch künftig die Odette- und Edifact-Standards, für einen längeren Zeitraum werden die VDA-Datenformate aber noch im Einsatz bleiben.

Betrachtet man die Beschaffungsstrategien im Kaufteilebereich (Abbildung 2), dann ergeben sich für die Materialflußplanung und -steuerung verschiedene Modelle, die für die Volkswagen AG und ihre Zulieferer zunehmend an Bedeutung gewinnen. Sie haben die Reduzierung der Handhabungs- und Bevoratungskosten für den gesamten Prozeß (Fertigung, Lagerung und Transport) beim Handelspartner und bei VW zum Ziel.

Voraussetzung für die Umsetzung der verschiedenen Materialabrufverfahren, ausgehend von der Reduzierung interner Lager über die externen Versorgungszentren bis zu den JIT-(Just-in-time) und Feinsteuerungsprojekten, war die Optimierung der Bedarfsplanung und die Einführung des Prinzips der "gläsernen Taschen". Erreicht wurde dies durch die Installation neuer DV-Systeme, die eine Verbesserung der Bedarfsinformationen durch laufende Abstimmung der Fertigungs- und Beschaffungsdaten sicherstellen konnten. Darüber hinaus konnte die Transparenz des genannten Materialflusses durch eine materialflußbegleitende Informationsverarbeitung verbessert werden.

Nun reicht die Verarbeitung von Daten letztendlich nicht aus, wenn der Zeitfaktor dabei keine Berücksichtigung findet. Es wurde daher bei VW besonders Wert auf eine direkte Informationsanbindung aller beteiligten Partner gelegt. Zur Anwendung kommen heute Datenleitungen der Post vom Typ Datex-P und Datex-L die für Just-in-time-Projekte direkt als Standleitung geschaltet sind. Die Übertragung der Daten erfolgt mit VDA-Protokolen.

Unter Just-in-time versteht VW die sequenzgerechte Beschaffung von Produktionsmaterialien, die auf direkten Wege am Verbaupunkt bereitgestellt werden. Damit stellt JIT die sparsamste Form des Fertigungs- und Materialflusses dar (Lagerbestand = 0). Um diese Strategie verwirklichen zu können, ist es erforderlich, die Lieferanten mit allen benötigten Daten des geplanten und physischen Materialflusses zu versorgen, die es ihnen ermöglichen, die benötigten Teileumfänge Just-in-time zu produzieren und anzuliefern.

Für die Disposition seines benötigten Materials erhält der Lieferant wie gehabt die Standardliefereinteilung, die eine Übersicht über das folgende halbe Jahr gibt. Die Daten werden per DFÜ entsprechend VDA 4905 einmal wöchentlich verschickt. Die Konkretisierung des Bedarfs erfolgt anhand des eingeplanten Produktionsprogrammes tagesgenau im 3-Wochen-Fenster, wodurch eine Materialfeindisposition und die Steuerung der Vormontage beim Lieferanten ausgelöst werden.

Mit Beginn des physischen Materialflusses (Rohbauauflage) also rund 24 Stunden vor dem Verbauzeitpunkt, erhält der JIT-Lieferant weitere Bedarfszahlen im 2-Stunden-Block, die einer letzten Kontrolle der Materialverfügbarkeit dienen. Die Übertragung all dieser Informationen erfolgt ebenfalls per DFÜ und VDA 4915 (Blockabruf).

Bei den ersten JIT-Projekten stellte VW fest, daß es zu zeitlichen Verzögerungen bei der Übertragung dieser Informationen kam, die auf nicht vorhandene DFÜ-Kapazitäten zurückzuführen waren. Erschwerend wirkte sich auch die Batch-Verarbeitung aller über DFÜ abzuwickelnden Jobs aus. Eine Prioritätenregelung für alle JIT und Feinsteuerungsinformationen wäre an dieser Stelle wünschenswert gewesen. Kritisch stellte sich die Situation für die Feinsteuerung dar, da es sich bei der Rohbauauflagen-lnformation um den Lieferabruf handelt. Nach der Installation der nötigen DFÜ-Anlagen bereitete der Ablauf keine Probleme mehr.

Der JIT-Abruf selbst erfolgt mit Einlauf der Karosse in die Endmontage per Standleitung entsprechend VDA 4916 (Sequenzabruf). Eine Reihenfolgeänderung ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Innerhalb der Informationsvorlaufzeit werden die benötigten Teileumfänge bereitgestellt.

Störungen bei der Übertragung per Standleitung sind bisher nicht aufgetreten. Selbst auf die installierte Notorganisation (im Bedarfsfall zu schaltende, unabhängige Datex-P-Leitung) mußte bisher nicht zurückgegriffen werden. Im Gegenzug zu unseren Bedarfszahlen setzt der Lieferant für jede Lieferung eine "Material- auf-Transport-Meldung" per DFÜ VDA 4913 ab und schließt so die Materialflußkette informationstechnisch. Für JIT-Komponenten, die VW auftragsbezogen vereinnahmt und verbaut, gibt es übergangsweise noch einen Lieferschein, einen Tagessammellieferschein und eine Rechnung per EDI, obwohl schon beim Einbau klar ist, welche sachlichen und finanziellen Umfänge geliefert wurden. Nach einer Übergangszeit ist die direkte Versendung der Gutschrift an den Lieferanten vorgesehen. Geplant sind weiterhin der EDI-Einsatz für Fertigungsprozeß- und Qualitätsdaten im Rahmen von JIT- und Feinsteuerungsprojekten.