Keine Entwicklungs-, wohl aber Vertriebspartnerschaft

Juniorpartner 3Com steht zum Systemhaus Siemens

21.01.2000
MÜNCHEN (jha) - 3Coms Vorstoß in den Telefonmarkt wirft Spekulationen um die Kooperation mit Siemens auf. Das Bündnis ist nicht tot, wird aber unter anderen Vorzeichen weitergeführt. Ursprünglich als Entwicklungspakt für den Sprach-Daten-Markt geschmiedet, ist daraus eine Vertriebspartnerschaft geworden.

Eine einfache Produktmeldung sorgt für Zündstoff: 3Com hat den Ausbau der LAN-Telefonie-Server der NBX-Familie für Großkunden angekündigt. Damit, so tönte das Unternehmen selbstbewusst, könnten die Anwender ihre herkömmlichen TK-Nebenstellenanlagen (Private Branche Exchange = PBX) durch IP-basierte Lösungen ersetzen. Des Weiteren bewerben die Marketiers die Fähigkeiten 3Coms, auch für WAN-Verbindungen Lösungen für Voice over IP anbieten zu können. Die Netzwerker preschten somit forsch in Märkte vor, die traditionell von Siemens besetzt sind. Die Vermutung lag also nahe, dass die durch ein geplatztes Joint Venture belastete und nach außen kaum noch gelebte Kooperation vor dem Aus steht.

Doch das vermeintliche Scheidungspaar war schnell mit einem Dementi bei der Hand. Intensiv bemühte sich die deutsche 3Com-Niederlassung, sämtliche Irritationen zu zerstreuen und stattdessen die Bande zu stärken: "Wir sind dabei, unsere Beziehungen zum Systemhaus Siemens erheblich zu intensivieren", versicherte Thomas Peters, Deutschland-Geschäftsführer und Vice President bei 3Com gegenüber der COMPUTERWOCHE. Auch die Siemens-Seite ließ keinen Überdruss an der Kooperation erkennen: "Die Partnerschaft im Enterprise-Bereich läuft extrem gut. Wir haben sehr erfreuliche Wachstumsraten über die letzten zwei Jahre erzielt", sagte Rudolf Hamann, Vertriebsleiter des Enterprise-Data-Geschäfts bei Siemens ICN.

Die Beziehung zwischen 3Com und Siemens galt lange Zeit als ein alternatives Geschäftsmodell in dem mit Vorschusslorbeeren bedachten Sprach-Daten-Integrations-Markt (siehe Grafik). Wo Konkurrenten wie Cisco, Lucent, Nortel Networks und Alcatel sich mit milliardenschweren Investitionen und Akquisitionen den Weg in diesen umsatzträchtigen Bereich ebnen wollten, hofften Siemens und 3Com mit einer locker geknüpften Vertriebs- und Entwicklungskooperation kontern zu können. "Das war ein interessantes Konzept und hat uns zunächst beeindruckt", zollt Neil Rickard, Research Director bei der Gartner Group, dem damaligen Vorhaben Respekt, "Siemens hat sehr viel Know-how auf der TK-Seite und kann ein erhebliches Entwicklungspotential einbringen, was den Funktionsumfang in diesem Bereich angeht. 3Com ist stark im Bereich der Datennetze und bringt Verfahren im LAN zum Laufen." Zur Krönung der Zusammenarbeit wollte man zudem ein Joint Venture gründen, das die jeweiligen Stärken bündelt und in neue Produkte für die Sprach-Daten-Konvergenz ummünzt.

Doch kaum etwas davon hat geklappt. Das Gemeinschaftsunternehmen platzte schon vor der Gründung, und die Kooperation stotterte häufiger, als dass sie lief.

"Mit der strategischen Produktentwicklung ist es nicht mehr allzu weit her", weiß auch Klaus-Peter Scheer, Siemens-Kenner und Senior Consultant bei der Meta Group. Kollege Rickard von der Gartner Group pflichtet mit einer kleinen Einschränkung bei. "Die Beziehung zwischen 3Com und Siemens im Bereich der Unternehmenskunden ist Vergangenheit. Möglicherweise kooperieren sie noch bei der Entwicklung von Voice-Gateways, also im Carrier- und ISP-Sektor." Damit ist eines klar: Das Gegenmodell 3Com-Siemens zu den Herstellern Cisco, Lucent, Nortel Networks und Alcatel im Sprach-Daten-Integrationsmarkt gibt es nicht mehr.

Dennoch ist der Eindruck falsch, 3Com und Siemens seien zerstritten. Die Zusammenarbeit lebt, wurde jedoch deutlich gestutzt: "Wir haben mit 3Com eine Systemintegrations- und Vertriebspartnerschaft im Enterprise-Bereich", erklärt Hamann, der allerdings nur für den Markt der Unternehmenskunden sprechen kann. Seiner Einschätzung zufolge gibt es noch Entwicklungsvorhaben im Carrier-Bereich, und zwar bei den "Totalcontrol"-Hubs, einer Access-Lösung von 3Com. Der hiesige 3Com-Geschäftsführer Peters bestätigt diese Aussage.

Generell liefert 3Com die Komponenten für die Infrastruktur, während Siemens beim Kunden als Generalunternehmer und Systemintegrator auftritt. Dabei kann der Münchner Konzern auf eine breite Produktpalette zurückgreifen, denn im Enterprise-Markt unterhält die Serviceorganisation Verträge mit den verschiedensten Anbietern. "Unsere wichtigsten Partner sind Cisco, Nortel, Cabletron und 3Com, darüber hinaus gibt es noch einige kleinere Hersteller, mit denen wir zusammenarbeiten", verrät Hamann. Wo möglich, bauen die Vertriebsmitarbeiter natürlich Lösungen aus dem eigenen Hause ein.

Siemens folgt damit einer schon häufiger angewandten Strategie. In Übergangsphasen, in denen Richtung und Bedeutung eines neuen Marktes nur schwer einzuschätzen sind, haben die Münchner im Projektgeschäft immer auf das Know-how von Partnern zugegriffen. "Wenn der Markt schließlich einen vernünftigen Gewinn abgeworfen hat, versucht Siemens, Produkte zu lancieren. Dabei kamen dem Unternehmen die bei den Partnern erworbenen Erfahrungen zu gute", beschreibt Scheer das Vorgehen der Münchner.

Doch was der Meta-Group-Berater als geschickte Strategie des Konzerns versteht, bezeichnet Gartner-Analyst Rickart im Sprach-Daten-Umfeld als Gefahr für Siemens. Das Unternehmen bewege sich in diesem Umfeld zu langsam, als dass es als Hersteller bestehen könnte. "Falls Siemens seine Beziehungen zu 3Com und Newbridge nicht auf eine stärkere Basis stellt - sei es durch Akquisitionen oder Joint Ventures -, dann werden diese Partner an andere Konkurrenten verloren gehen." Bei Newbridge etwa könne man bereits deutliche Zeichen für eine Trennung feststellen. Der ATM-Spezialist mache sich derzeit als Übernahmekandidat attraktiv, so der Analyst. Alcatel soll angeblich Interesse bekundet haben.

Und welche Rolle spielt 3Com bei den Schachzügen der Siemensianer? Die Netzwerker sind für Siemens Technologielieferant und Umsatzgarant, denn im Markt für kleine und mittlere Unternehmen ist 3Com eine Macht, im Access-Bereich eine zuverlässige Größe. Umgekehrt ist der Vertriebsweg Siemens mit seiner großen installierten Basis und den dadurch bedingten hervorragenden Kontakten zur Kundschaft für 3Com ein sicherer und großer Absatzmarkt in Europa. Hilfestellung bei Neuentwicklungen, mit denen sich die Stammklientel um Großkunden erweitern ließe, braucht sich 3Com von Siemens indes nicht zu erhoffen. Außerdem wird und will 3Com keine durchgehende Produktpalette anbieten, wie es Cisco, Nortel Networks, Lucent und Alcatel anstreben. "Kurzfristig wird es von 3Com keine Technologie für den Backbone im Carrier-Bereich geben", weiß auch Peters um die Grenzen seines Unternehmens.

So ist es das Beste, dass 3Com sich auf seine Stärken konzentriert, und die liegen in den Kommunikationslösungen für kleine und mittlere Unternehmen. Siemens ist für die Netzwerker ein wichtiger Vertriebs-, aber kaum ein zentraler Entwicklungspartner. Für den Systemintegrator Siemens sind die Netzwerker dagegen einer von vier wichtigen Lieferanten im Enterprise-Markt, in dem die Service-Organisation im Geschäftsjahr 1998/99 knapp eine Milliarde Mark umsetzte. Versteht sich Siemens jedoch nach wie vor auch als Hersteller, was Vertriebsleiter Hamann bejaht, dann muss das Unternehmen im Sprach-Daten-Integrationsmarkt deutlichere Signale setzen. Verschiedene Vertriebspartnerschaften und die im US-Ableger Unisphere gebündelten Entwicklungskapazitäten aufgekaufter Startups reichen nicht aus, um gegen die Schwergewichte der Branche bestehen zu können.