Junge Informatiker zieht es zu US-Firmen

02.11.2008
Europäische IT-Studenten möchten am liebsten in amerikanischen Unternehmen arbeiten.

Nur Nokia und Sony haben es geschafft, die Phalanx der US-Unternehmen zu durchbrechen: Unter den zehn attraktivsten IT-Arbeitgebern in Europa finden sich sonst nur US-Firmen. Die Nummer eins in der Gunst der europäischen Informatikstudenten ist IBM, es folgen Microsoft, Apple, Intel und AMD. Zu diesem Ergebnis kommt das Trendence-Institut in der aktuellen Auswertung seines europäischen Studentenbarometers.

Begehrte Arbeitgeber

RangUnternehmenProzent

1IBM41,5

2Microsoft35,1

3Apple24,1

4Intel23,7

5AMD22,6

6 Nokia18,1

7Sun Microsystems17,5

8Cisco Systems16,6 9Sony16,6 10Hewlett-Packard14,9 11Siemens14,8 12SAP14,1 13BMW Group12,6 14 Oracle11,9 15Accenture9,6 16Porsche9,1 17Vodafone8,7 18Fraunhofer7,0 19Ericsson6,5 20Philips6,3 Quelle: Trendence

"Traditionell sind den Studierenden bei der Wahl ihres Arbeitgebers Kriterien wie der Erfolg eines Unternehmens am Markt, die Attraktivität von Produkten und Dienstleistungen sowie die konkreten Arbeitsaufgaben am wichtigsten", kommentiert Trendence-Beraterin Lena Steinberg das Ergebnis. Das gelte auch für die europäischen IT-Studierenden, die im European Student Barometer 2007 IBM, Microsoft und Apple als Top-Arbeitgeber gewählt haben. "Diese Unternehmen haben gemeinsam, dass sie als Marken ständig präsent sind und eine hohe Anziehungskraft vermitteln. Außerdem rekrutieren sie in zahlreichen Ländern Europas ihre zukünftigen Mitarbeiter und sind deshalb flächendeckend als Employer Brands bekannt", so Steinberg.

Sie führt noch ein weiteres Argument an: Mit Firmen wie Apple oder Sun würden immer noch die Erfolgsgeschichten des Silicon Valley in Zusammenhang gebracht, und sie ständen für beispielhafte Karrieren am Puls der IT-Branche. "Für Informatikabsolventen stellen amerikanische Unternehmen das Karrieresprungbrett schlechthin dar", ist die Trendence-Analystin überzeugt - eine Einschätzung, die den deutschen IBM-Personalgeschäftsführer Christoph Grandpierre nur freuen kann. Er setzt auf solide und klassische Personalarbeit - mit innovativen Akzenten, wie er betont: "Auch wir als großes IT-Unternehmen müssen um die besten Köpfe kämpfen." Er biete dem Nachwuchs ein breites Praktikantenprogramm an und bilde mit den Berufsakademien IT-Spezialisten aus.

Pluspunkt Internationalität

Als Pluspunkte für seinen Arbeitgeber hebt Grandpierre hervor, dass die Informatiker in internationalen Projekten arbeiten und von einer flexiblen Gestaltung von Arbeitszeit und -ort profitieren können. Ein weiteres wichtiges Kriterium sei, dass die Bewerber "an der Entwicklung zukünftiger Technologien und an Lösungen für gesellschaftlich relevante Probleme mitarbeiten". Als Beispiel nennt er die Entwicklung eines Tsunami-Frühwarnsystems, ein Forschungsprojekt mit der Universität Hohenheim zur lückenlosen Lebensmittelrückverfolgung oder Lösungen für ein effizienteres Energie-Management. Grandpierre fasst zusammen: "Wer Bewerber von seinem Unternehmen überzeugen will, muss verantwortungsvolle Tätigkeiten, gute Karriereprogramme und flexible Arbeitsmodelle bieten."

Trendence-Beraterin Steinberg sieht indes auch gute Perspektiven für weniger bekannte Arbeitgeber: "Es zeigt sich, dass nicht ausschließlich schillernde Marken die Gunst der Studierenden erobern können. So hat in Deutschland die Fraunhofer-Gesellschaft Platz fünf erobert, und in Norwegen liegt Opera Software sogar auf dem ersten Rang."

Kein Gießkannenprinzip

Kleiner Trost für die deutschen Arbeitgeber: Auf den Rängen elf bis 20 sind sie gut vertreten. Siemens belegt Platz elf, es folgt Europas größtes Softwarehaus SAP. Die Walldorfer sind angesichts der Personalknappheit dabei, ihre Recruiting-Aktivitäten stärker zu internationalisieren. Mit Steffen Laick wurde die Stelle eines europäischen Hochschul-Recruiters besetzt. Er soll sich über Deutschland hinaus an europäischen Hochschulen nach Mitarbeitern umschauen. Auf die Frage, ob ihn das europäische Ergebnis nicht enttäusche, nachdem man in Deutschland die Nummer eins sei, meinte er nur: "Wir arbeiten nicht nach dem Gießkannenprinzip wie viele unserer globalen Wettbewerber, die viel Geld in breit gestreute Werbekampagnen investieren. Wir nutzen unser University Alliances Programm, das seit Jahren Universitäten mit SAP-Systemen ausstattet und so den Einsatz von SAP in Lehre und Forschung fördert." Das bringe SAP inhaltlich eine starke Kompetenz, habe allerdings keine so große Breitenwirkung.

"Natürlich reicht es uns nicht, nur in Deutschland attraktiv zu sein. Unser klares Ziel ist, die Attraktivität von SAP als Arbeitgeber auch in anderen Ländern langfristig auf das Niveau von Deutschland zu bringen", so Laick selbstbewusst. Man verfolge jedoch weiter eine gezielte Strategie und werde auf europäischer Ebene nur mit ausgewählten Universitäten enger zusammen arbeiten. Als erste Maßnahmen zur Imageverbesserung möchte Laick das Angebot von wissenschaftlichen Einrichtungen annehmen, die sich "Fachvorträge zu unseren neuesten Innovationen, Technologien oder über unsere Erfolge bei Kunden" wünschen. "Hier werden wir uns künftig noch stärker engagieren. Wir wissen, wir können fachlich sehr schnell begeistern und es wird uns sicher auch außerhalb Deutschlands gelingen, Studenten von einem Einstieg bei SAP zu überzeugen."

Wie nicht anders zu erwarten, ist das Image der meisten deutschen Autobauer europaweit auch unter den Informatikstudenten gut. BMW belegt Platz 13, Porsche schafft es auf Rang 16 und - eine kleine Überraschung - Volkswagen auf Rang 24, einen Platz vor Mercedes. Es fehlt nur Audi, in Deutschland ganz weit vorne und in Europa nur unter "ferner liefen". Das Ranking von Audi bei IT-Studenten im europäischen Vergleich ist für uns keine große Überraschung", meint Audi-CIO Klaus Straub. Das Gefälle zwischen den Top-Positionierungen seines Arbeitgebers bei Ingenieurabsolventen und den Ranglistenplätzen bei IT-Absolventen sei auch in Deutschland vorhanden und verstärke sich auf internationaler Ebene. Audi werde "nun mal in erster Linie als Automobilhersteller wahrgenommen". Die relativ gute Platzierung in Deutschland bei IT-Absolventen sei auf das "erfolgreiche Hochschul-Marketing" zurückzuführen. Bei den Veranstaltungen an den Hochschulen seien beispielsweise regelmäßig Vertreter aus dem IT- oder Car- IT-Bereich vor Ort und erzählten über Einstiegsmöglichkeiten für Nachwuchskräfte. "Diese hohe Präsenz haben wir international noch nicht, aber wir werden in diesem Jahr unsere grenzüberschreitenden Hochschul-Marketing-Aktivitäten weiter ausbauen", versichert Straub. Die Ingolstädter wollen auch zukünftig auf die "bewährte Mischung aus Veranstaltungen, Wettbewerben, Workshops, Exkursionen und dem hohen Maß an persönlicher Betreuung" setzen.

Anwender haben es schwer

Durchwachsen ist die deutsche Bilanz auf den Rängen 20 bis 50. Gerade mal fünf Firmen kommen hier vor: Telekom (27), Lufthansa Technik (31), Bosch (38), Infineon (39) und BASF (49). Europas größter Versicherer, die Allianz-Gruppe, ist nicht dabei. Das Gleiche gilt für die Deutsche Bank oder auch einen Weltkonzern wie Bayer. Dessen CIO Andreas Resch wünscht sich ein besseres Image, aber er gibt zu bedenken: "Bei Bayer denken die Menschen an das berühmte Kreuz und an Aspirin - nach der Übernahme von Schering vielleicht auch noch an die Antibabypille Yasmin. Warum sollte dies bei Informatikstudenten und Studentinnen anders sein?" Dass Bayer daneben auch attraktive Arbeitsplätze in einer mit 5400 Mitarbeitern recht großen Servicegesellschaft anbietet, werde übersehen. Gegen dieses Schicksal selbst großer Anwenderfirmen, die gegenüber den klassischen IT-Firmen häufig unterschätzt würden, lasse sich aber etwas tun, gibt sich der CIO kämpferisch.

So sei Bayer Business Services mit seinen Karriereseiten im Web gut präsentiert, Mitarbeiter stellten das international ausgeprägte Geschäftsmodell auf Fachtagungen und Absolventenkongressen vor, hielten Kontakt zu einer Reihe von Universitäten und seien "um hohe Transparenz gegenüber der Fachpresse" bemüht. Er und seine Bayer-Kollegen machten immer wieder die gleiche Erfahrung: "Wenn wir erstmal über unsere tägliche Arbeit, über das Geschäftsmodell der integrierten Services, über Innovationen rund um den Erdball erzählen, steigt bei den Interessenten die Begeisterung für eine Tätigkeit in der Bayer IT."

Wenig Berater vorne

Auch die Consulting-Häuser werden wohl ihre Bemühungen intensivieren müssen, wollen sie den europäischen IT-Nachwuchs für sich gewinnen. Ganze drei Consulting-Häuser befinden sich im Top-50-Ranking. Am besten schneidet Accenture ab, das Platz 14 belegt. Capgemini schafft es auf Rang 28, und die Edelberater von McKinsey müssen sich mit Rang 32 begnügen.

Die angehenden Informatiker wurden auch gefragt, nach welchen Kriterien sie ihren künftigen Arbeitgeber aussuchen. Auf Platz eins sind die interessanten Aufgaben, ein Kriterium, das in solchen Untersuchungen vorne liegt. Nun folgen gleich vier Kriterien mit der gleichen Punktezahl: Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten, gute und hilfsbereite Arbeitskollegen, Weiterbildungsmöglichkeiten und Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit/Familie.

"An der Engineering-Edition des "European Student Barometer", die auch Studenten der Informatik umfasst, beteiligten sich 11 000 Studenten aus 18 europäischen Ländern. Insgesamt ist diese Studie die größte Untersuchung ihrer Art. 40 000 Studenten der Fächer Betriebswirtschaft, Ingenieurwesen und Informatik nennen ihre Wunscharbeitgeber für die Zeit nach dem Studium.