Juengstes Projekt: Homebanking ueber das Internet Kundenkontakte bei Wells Fargo fussen auf verteilten Objekten

08.09.1995

SAN FRANZISKO (qua) - Den Kunden in den Mittelpunkt des Geschaefts stellen - die Wells Fargo Bank, San Franzisko, macht Ernst mit dieser Floskel. Dazu entwickelt sie schon seit zwei Jahren verteilte Business-Objekte auf der Grundlage eines Object-Request- Broker-Systems. Derzeit bastelt der Finanzdienstleister an einer Anwendung, die seinen Kunden das Homebanking via Internet ermoeglichen soll.

Wenn die Wells-Fargo-Kunden ihre Kontoauszuege einsehen wollen, brauchen sie sich neuerdings nur in das World Wide Web einzuwaehlen. Wie Eric Castain, Vice-President und Manager of Wells Direct Systems, erlaeutert, muessen sie dazu allerdings auf die Dienste eines professionellen Internet-Providers zurueckgreifen, der den Sicherheitsanforderungen der Bank Genuege leistet. Trotz dieser Einschraenkung machten bereits 15000 Online-Nutzer von dieser Moeglichkeit Gebrauch.

Selbstverstaendlich deckt die WWW-Applikation lediglich einen Teil dessen ab, was gemeinhin unter dem Begriff Homebanking subsumiert wird, denn die Kommunikation zwischen Bank und Kunde faehrt derzeit auf einer Einbahnstrasse. Aber der bereits fertiggestellte Teil des Systems soll, so Castain, auch nur ein bescheidener Anfang sein.

Kaum zwei Monate haben die Wells-Fargo-Entwickler gebraucht, um diese erste Stufe des Internet-Projekts zu erreichen - von der blossen Idee bis zur ablauffaehigen Anwendung. Dieser schnelle Erfolg war laut Castain nur moeglich, weil die Infrastruktur bereits vorhanden war. Die meiste Arbeit habe also das Sicherheitsproblem verursacht.

Castain und seine Mitarbeiter konnten auf ihrer eigenen Vorarbeit aufbauen. Anfang des vergangenen Jahres uebergaben sie dem Finanzkonzern ein Customer Relationship System (CRS), das die vorhandenen Anwendungssysteme einkapselt und sie gegenueber dem User oder Client-Programmierer durch Business-Objekte - Kunde, Konto, Geschaeftsbeziehung etc. - sowie "Methoden-Server" ersetzt. Im Endeffekt handelt es sich dabei um ein System von verteilten Objekten. Und ein solches Geruest laesst sich relativ leicht fuer neue Anwendungen erweitern.

Ausschlaggebend fuer die Entscheidung, die Anwendungsarchitektur zu ueberarbeiten, war die Erfahrung, dass die angestrebte Kundenfokussierung mit den alten Systemen kaum realisiert werden konnte. Die Bankberater sahen sich oft ausserstande, ihrer Klientel das jeweils passende Produkt anzubieten, weil sie sich im Gestruepp der unterschiedlichen Applikationen verfangen hatten. Was sie brauchten, war eine einheitliche Sicht auf die Gegenstaende ihrer Arbeit - den Kunden und seine Beziehungen zur Bank.

Aehnlich erging es den Entwicklern von Desktop-Applikationen. "Wie jedes grosse Unternehmen haben wir eine gewaltige Anzahl von Anwendungen, die alle einen bestimmten Teil unseres Geschaefts erledigen", erlaeutert Castain. "In der Vergangenheit mussten wir diese Komplexitaet auf der Ebene der Anwendungsentwicklung handhaben."

Um Abhilfe zu schaffen, hatte Castain zunaechst das auf Remote Procedure Calls basierende Distributed Computing Environment (DCE) der Open Software Foundation ins Auge gefasst. Allerdings habe er diese Idee verworfen, als ihm klar wurde, dass DCE allenfalls eine Zwischenloesung darstellen koennte. "Als unser langfristiges Ziel erkannten wir verteilte Objekte."

Entscheidungshilfe leistete die Object Management Group

(OMG), die gerade die ersten Spezifikationen fuer eine Common Object Request Broker Architecture (Corba) definiert hatte. Fruehzeitig sah Castain die Moeglichkeiten, die in dieser Technik steckten, und entschied sich fuer den "Object Broker" von Digital Equipment - damals noch "ACA Services" genannt - als Kernstueck der unternehmensweiten Software-Architektur. Der Object Request Broker, kurz ORB, dient heute dazu, die Komplexitaet der alten Anwendungssysteme von den Anwendern und Client-Programmierern fernzuhalten, indem er ihnen eine konsistente und einfache Schnittstelle anbietet.

Fuer die Digital-Implementierung des Corba-Standards sprach vor allem, dass sie nahezu von Anfang an auf einer grossen Zahl von Hardwaresystemen lauffaehig war. Bei Wells Fargo muessen schliesslich Windows-PCs, Unix-Maschinen von HP und IBM, VAX/VMS-Systeme, Tandem-Rechner sowie MVS-Mainframes unter einen Hut gebracht werden. Mit Ausnahme von Tandem unterstuetzt der Object Broker mittlerweile alle diese Plattformen.

Trotzdem will Castain die Bedeutung des Softwarelieferanten nicht ueberbewerten. "Wir orientierten uns weniger an Digital als an Corba. Digital gibt uns nur das Tool, um diesen Standard umzusetzen."