Finnisches Frickel-Phone

Jolla Phone mit Sailfish OS im Test

23.04.2014
Von 


Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.

Spannende Software

Während die Hardware bestenfalls unteres Mittelmaß ist, stellt das installierte Sailfish OS sicher das Highlight des Geräts dar. Um den Schatz zu heben, ist allerdings etwas Lernaufwand notwendig, da die Gestensteuerung leider nur bedingt intuitiv ist. So sucht man beispielsweise den Home-Button vergebens, aktiviert wird das Gerät über den An/Aus-Knopf an der rechten Seite oder ein zweifaches Klopfen auf den Touchscreen.

Ist diese Hürde gemeistert, landet man auf dem Homescreen, darunter befindet sich der Multitasking-Screen mit den bereits geöffneten Anwendungen (beim ersten Mal leer). Noch etwas weiter unten befinden sich die Icons der bereits installierten Apps.

Alternativ kann man aber auch nach unten wischen, um an ein Schnellstartmenü (Pulley-Menü) mit den Funktionen Einstellungen, Kamera und Telefonie zu gelangen. Diese Auswahlfunktion in Form einer Art Jalousie gibt es auch in einigen Apps, bei anderen Anwendungen gibt es weiße Punkte als Hinweis darauf, dass man nach einem Wischen zur Seite zu weiteren Informationen gelangt.

Innerhalb einer App wird dieselbe geschlossen, indem man vom oberen Rand nach unten wischt. Ein Wisch vom linken oder rechten Rand in den Bildschirm hinein beendet das Programm nicht komplett, sondern legt es nur als verkleinertes, aber geöffnetes Fenster in der Übersicht ab. Hier können bis zu neun Apps Platz finden.

Klingt alles ganz schwierig, und ist es für den an Android oder iOS gewöhnten Nutzer auch. Hat man die Funktionsweise aber einmal begriffen und fleißig geübt, bewegt man sich relativ flüssig durch das Menü, schließt eine App mit einem Schnippler und öffnet die nächste. Wie sich während des Testzeitraums zeigte, findet das Erfolgserlebnis wegen Ungereimtheiten in der Umsetzung aber hin und wieder auch ein schnelles Ende und Frustration macht sich breit.

Apps sind keine Mangelware

Auch wenn das Jolla Phone im Auslieferungszustand nur zehn Apps installiert hat, steht Sailfish OS bei der Auswahl für einen Newcomer gar nicht so schlecht da: Gut 200 kostenlose Anwendungen befinden sich im Jolla Store, weitere knapp 1600 Apps für Sailfish-OS existieren auf OpenRepos.net - die Client-Anwendung dazu heißt Warehouse.

Daneben kann man auch Android-Apps direkt als .apk installieren, was aber nicht gerade trivial ist. Alternative AppStores wie der russische Yandex Store, den man über eine App durchsuchen kann, schaffen hier Abhilfe. Hinzu kommt, dass die breite Fan-Basis bereits eine Reihe von bekannten Apps wie Facebook für Sailfish-OS adaptiert hat, der Social-Media-Dienst ist aber wie auch Twitter im Betriebssystem integriert.

Fazit: Smartphone für Frickler und Individualisten

Mehr als nur ein Werbe-Slogan: Gerade im Vergleich zum Android-Allerlei bietet das Jolla Phone erfrischend Neues.
Mehr als nur ein Werbe-Slogan: Gerade im Vergleich zum Android-Allerlei bietet das Jolla Phone erfrischend Neues.
Foto: Jolla

Jolla verfolgt mit seinem Jollaphone und Sailfish OS einen interessanten Ansatz, der leider (noch) ganz massentauglich ist. So sind Gestensteuerung und die gesamte Bedienung noch nicht ganz ausgeklügelt und nicht immer intuitiv. Einige Punkte bei der Bedienung sind bei WebOS (mehr) oder Blackberry 10 (weniger) besser gelöst. Bei der Hardware zieht das knapp 400 Euro teure Gerät in Sachen Preis-Leistungsverhältnis klar gegenüber der starken Android-Konkurrenz aus Massenproduktion den Kürzeren.

Dennoch schafft es das Jolla Phone,im Gegensatz zur Menge der zunehmend austauschbaren Smartphone-Boliden einen bleibenden - positiven - Eindruck zu hinterlassen. Wenn das Gerät sicher (noch) nicht für den Massenmarkt geeignet ist, bietet es insbesondere Fricklern, die sich gerne mit ihrem Smartphone auseinandersetzen, eine interessante Alternative zu Android. So gesehen kann man nur hoffen, dass das Projekt weiter Fahrt aufnimmt. Und wer weiß: Möglicherweise gibt es ja bei Smartphones bald eine ähnliche Entwicklung wie bei PCs und die Geräte werden optional auch ohne vorinstalliertes Betriebssystem angeboten. Interesse daran hätten neben Jolla sicher auch andere Firmen, die nicht so hohe Stückzahlen erreichen, etwa Canonical (Ubuntu) oder eventuell Blackberry.