Electronic Commerce verändert Aufgaben in Unternehmen

Jobprofil: Organisierer statt Programmierer

19.11.1998
Von CW-Mitarbeiterin Alexandra Glasl MÜNCHEN - Auf den Siegeszug des elektronischen Handels muß man in Deutschland noch warten. Ebenso auf eine Vielzahl neuer Jobs im E-Commerce-Umfeld. Bislang setzen die Unternehmen auf ausgewählte Marketing- und Vertriebsexperten, die das Web-Angebot zusammenstellen und die technische Umsetzungen Agenturen überlassen.

Der Begriff Electronic-Commerce ist Sirko Schneppe während seines ganzen Wirtschaftsinformatik-Studiums nicht zu Ohren gekommen, bis er seine eigene Firma gründete und mit Intershop, Jena, zusammenarbeitete. Mittlerweile hat der ostdeutsche Anbieter von Software für den Internet-Handel Schneppes Betrieb aufgekauft und den Existenzgründer zum Projekt-Manager gemacht. Heute betreut der 27jährige Kunden, die E-Commerce-Lösungen einsetzen wollen. Angesichts der diffusen Vorstellungen vieler dieser Interessenten ist für Schneppe die Beratung der wichtigste und oft längste Teil eines Projekts: "Bei so viel Aufklärungsarbeit in Sachen E-Commerce komme ich mir bisweilen wie ein Missionar vor."

Im Vergleich zu den USA steckt der elektronische Handel in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Nur langsam tasten sich Unternehmen an dieses neue Geschäftsfeld heran. So bietet Reiseveranstalter TUI erst seit September die Möglichkeit an, online zu buchen. Noch ist die Zahl der Buchungen gering, erst in vier Jahren rechnet man mit einem Umsatz von drei bis fünf Prozent.

Zu solch moderaten Erwartungen paßt auch die gedämpfte Euphorie über den E-Commerce als Jobbeschaffer. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit OECD geht in der Studie "The Economic and Social Impacts of Electronic Commerce" von einem nur schwachen Impuls für den Arbeitsmarkt aus, rechnet aber mittel- und langfristig mit mehr Arbeitsplätzen, insbesondere in der Softwarebranche und der Telekommunikation.

Mit ganz anderen Zahlen argumentiert der Verband der deutschen Internet-Wirtschaft, eco Electronic Commerce Forum, Köln: Allein Handelskonzerne und Produktionsbetriebe wollten 100000 Fachkräfte einstellen, um den elektronischen Geschäftsverkehr zu forcieren. Zudem könnte die deutsche Wirtschaft 120000 Arbeitsplätze für Internet-Spezialisten schaffen. Solchen Zahlen liegt aber die denkbar weiteste Definition von E-Commerce zugrunde, die ihn als Summe aller Geschäftstätigkeiten und Transaktionen mit elektronischen Medien begreift.

Für den engeren Bereich des elektronischen Handels sieht die Rechnung anders aus. So erzielt zum Beispiel Cisco mittlerweile zwar 60 Prozent seiner 8,4-Milliarden Dollar Umsatz über das Internet und will das Potential des E-Commerce im Business-to-Business-Bereich weiter ausbauen. Andererseits hat man dadurch 1 200 weitere Mitarbeiter erst gar nicht einstellen müssen, die im Falle einer traditionellen Bearbeitung nötig gewesen wären.

Mehr Effizienz geht bei Cisco mit einer Veränderung der Aufgaben einher. Stupide Tätigkeiten wie Bestellungen annehmen und eingeben oder Rückmeldungen bei nicht korrekten Angaben erledigt jetzt der Kunde selbst beziehungsweise der Computer. Die Sachbearbeiter müssen nur noch die kniffligen Fälle lösen.

Für den Web-Auftritt gilt das Gesetz des Fischmarktes

Auf veränderte Aufgaben müssen sich auch Marketing- und Vertriebsprofis einstellen, die im Bereich E-Commerce Fuß fassen wollen. Die meisten Unternehmen setzen auf Mitarbeiter, die bereit sind, sich immer wieder in neue Aufgabenfelder einzuarbeiten und sich dem Tempo des Internet-Geschäfts anzupassen. "Für den Web-Auftritt gelten die Gesetze des Fischmarktes. Wer heute nicht aufpaßt, sitzt morgen auf der verdorbenen Ware." In den Augen von Patrick Palombo, Leiter des Bereichs Neue Medien bei Quelle, ist das Fehlen eines etablierten Zustandes aber eher ein Glücksfall. Seine Mitarbeiter, die überwiegend im eigenen Haus ausgebildet wurden, könnten dadurch gar nicht erst "einrosten".

"Wir brauchen Leute, die über ein tiefes Wissen in ihrem Kerngebiet, aber auch über Basiswissen zu den Schnittstellen verfügen", sagt Palombo. Ein Grafiker, der für den Web-Auftritt des Versandhauses neue Elemente kreiert, benötige zum Beispiel auch Java-Kenntnisse, um zu wissen, wie sich seine Grafik im Netz aufbaut. Palombo spricht von "fast hybriden Menschen", die technische und wirtschaftliche Fähigkeiten mit grafischem Verständnis vereinen müssen, um die Konzeption für den zusätzlichen Vertriebsweg über das Netz zu entwerfen. In diesem Jahr hat Quelle mit 15 Mitarbeitern in der Abteilung Neue Medien 100 Millionen Mark im Bereich E-Commerce und T-Online umgesetzt. Obwohl man auf Wachstum programmiert ist, erwartet Palombo, daß sich die Mitarbeiterzahl "irgendwann einpendeln wird".

Mit 15000 Online-Buchungen im ersten Halbjahr verzeichnet auch die Lufthansa einen Erfolg, der sich nicht unmittelbar auf die Anzahl der Arbeitsplätze auswirkt. Seit der Infoflyway 1995 auf der Datenautobahn gestartet ist, wurde der Online-Vertrieb Schritt für Schritt ausgebaut. Heute kümmern sich zehn Mitarbeiter um Konzeption, Redaktion, Marketing und Vertrieb des virtuellen Schaufensters. Planung und Organisation sind die Aufgaben der Lufthansa-Mitarbeiter, während die eigentliche technische Umsetzung ausgelagert ist. "Der Multimedia-Technologe ist kein reiner Informatiker, sondern vereint Wirtschaftsinformatik mit Marketing", beschreibt Markus Orth, Leiter Vertriebsentwicklung und -konzepte. "Er befaßt sich mit der technischen Weiterentwicklung und hält den Kontakt zu Agenturen."

Die technische Umsetzung hat auch der Versandhandel Conrad Electronics ausgelagert, der inzwischen 30000 Artikel im Netz anbietet. Organisierer statt Programmierer lautet die Devise des studierten Politologen Stefan Grellert, der das Internet-Marketing bei Conrad Neue Medien leitet. Auch in seiner zehnköpfigen Mannschaft finden sich vor allem Quereinsteiger, die über ihre Affinität zum Medium Internet und "Learning-by-doing" zu ihrem Job gekommen sind. "Es ist leichter, Marketing-Experten technisches Know-how zu vermitteln, als Programmierern wirtschaftliche und organisatorische Kenntnisse", ist Grellert überzeugt.

Organisation ist auch für Projekt-Manager Schneppe alles. Er hat mehrere Projekte parallel laufen und muß täglich seine Entwickler und Web-Designer "eintakten", mit ihnen die Aufgaben besprechen und Probleme lösen. Den Dialog zu den Kunden pflegt er jeden Tag - als Faustregel gilt: Je weniger Erfahrungen der Kunde mit E-Commerce hat, um so mehr E-Mails gehen hin und her.

"Das Wichtigste ist der Überblick", beschreibt der Projekt-Manager. Das ist angesichts des schnellebigen Geschäfts manchmal gar nicht so leicht. Vom Stakkato des Internet-Marktes hat Schneppe schon an der Uni einen Vorgeschmack bekommen: Als er vor vier Jahren für eine Studienarbeit alle nicht-wissenschaftlichen Publikationen im Internet ausfindig machen mußte, war er mit seiner Suche bald am Ende. Drei große Zeitungen präsentierten sich zu der Zeit im Netz, drei Monate später hatte sich diese Zahl um ein Vielfaches erhöht.