"Jetzt" -Zeit

31.10.1980

Für den Spätherbst deuten sich Vorentscheidungen bei der H-Serien-Nominierung an. Kommt nämlich eine 4341-2 AP, dann ist die Serie 303X "weg vom Fenster" (siehe Seite 1).

Dann wäre auch klar, daß IBM mit den neuen H-Großrechnern deutlich von der 30er Produktlinie abrücken will, die noch auf 370-Technologie basiert. Über eine 4300er-Maschine, unterstützt von MVS, ginge der H-Einstieg zweifellos leichter. Doch stehen den Anwendern der Systeme 3031 und 3032 wohl kaum Wahiqualen bevor. IBM wird Kompatibilitäts-Brücken bauen, die Aufregung im Kundenlager dürfte sich dann bald legen. Es gibt ja noch den "Jetzt"-Effekt.

Als der Marktführer im Oktober 1978 den Datenbankcomputer System, /38 ankündigte, wurde ein ungeschriebenes IBM-Marketing-Gesetz gebrochen. Das DB-Ding war noch nicht fertig, wie Interessenten bald feststellen mußten. Das Versteckspiel um die /38-Software hat IBM einigen Kredit gekostet. Als die Stuttgarter den Lieferverzug bekanntgaben, verblaßte eine Idol-Vorstellung, weil jeder nun wußte, daß auch IBM nur mit Wasser kocht.

Zwar hat der Marktführer nunmehr alle /38-Karten auf den Tisch gelegt. Doch darf dies nicht zu dem Trugschluß verführen, die Computerwelt sei wieder heil.

Man wird wohl damit leben müssen, daß mit der Ankündigung eines Systems zwar die Akquisitionszeit beginnt, nicht unbedingt jedoch auch die "Jetzt"-Zeit, in der Milch und Honig fließt. Versteht man unter Ankündigung das, was bisher als Absichtserklärung bezeichnet wurde, nämlich ein System mit gewissen Leistungsmerkmalen innerhalb einer bestimmten Zeitspanne auf den Markt zu bringen, dann ist man gegen negative Überraschungen gefeit. Eine Erfolgsgarantie gibt's nicht.

Aber wer hätte die noch erwartet? Tatsache ist doch, daß die Anwender in der Vergangenheit in puncto Hersteller-Zuverlässigkeit, was das Einhalten von Versprechen betrifft, nicht gerade verwöhnt worden sind. Beispiel: Da wurden von MDT-Anbietern bereits Mehrplatz-Dialogsysteme verkauft, als die erforderliche Mehrplatz-Dialogsoftware noch nicht vorhanden war.

Und auch dies soll vorgekommen sein: Ein namhafter deutscher Universalrechner-Hersteller nahm einen Auftrag über ein Mehrprozessor-System an, obwohl sein Betriebssystem nicht auf Mehrprozessoren-Unterstützung ausgelegt war.

Dem Beobachter stehen angesichts dieser Gepflogenheiten die Haare zu Berge. Was verkaufen die Computerhersteller eigentlich- Hardware, Software oder Illusion?