Jetzt zeigt sich, wer führen kann

02.07.2002
Von Bettina Wirth
In wirtschaftlich schwierigen Zeiten sind Manager nicht nur fachlich gefordert. Sie müssen insbesondere ihre Fähigkeit zur Menschenführung beweisen. Der betriebliche Alltag zeigt jedoch, dass Management-Tugenden in der Krise gern vergessen werden.

Führungskräfte müssen umstrukturieren, Prozesse transparent gestalten, kommunizieren, aber auch Entlassungen aussprechen und dabei immer berechenbar bleiben. Unter dem Druck des Tagesgeschäfts gelingt es jedoch den wenigsten, schlechte Nachrichten in angemessener Form zu überbringen. In Krisenzeiten scheidet sich gute Menschenführung von schlechter.

Dieter Frey, Professor für Arbeitspsychologie in München.
Dieter Frey, Professor für Arbeitspsychologie in München.

"Jetzt zeigt sich, wer es nicht kann", beobachtet Michael Kremin, selbständiger Management-Coach in München. "Die Mehrheit der Geschäftsführungen verhält sich in schlechten Zeiten unanständig."

Das Problem überforderter Führungskräfte scheint hausgemacht. Dieter Frey, Professor für Arbeitspsychologie an der Universität München, stellt fest: "In den meisten Unternehmen werden Führungspositionen mit Fachkräften besetzt. Die Folge: Es gibt eine gute Fachkraft weniger und eine schlechte Führungskraft mehr." Die Bedeutung von Führungsarbeit wird offensichtlich in den meisten Firmen unterschätzt. In guten Zeiten, wo "der Laden von allein läuft, ist Führen nicht wichtig", spitzt Kremin zu. Dabei sei Führung ein Job, den man lernen müsse.

Als Reaktion auf diese zusätzlichen Anforderungen zögen sich manche Manager auf ihre fachliche Tätigkeit zurück. Mitarbeiter unterstützten dieses Verhalten unfreiwillig, indem sie die Führungskraft in zu vielen Fachfragen zu Rate zögen. In begrenztem Umfang ist richtiges Führungsverhalten erlernbar - darin sind sich die Experten einig. Dennoch: "Die Menschenwürde wird täglich millionenfach ohne Konsequenzen verletzt", beobachtet Frey.

Dies wirkt sich kaufmännisch verheerend aus, wie der Wirtschaftspsychologe in einer Studie ermittelte. Der Mitarbeiter zahle eine schlechte Behandlung durch mangelndes Engagement, Krankheit und Abwesenheit zurück: "Wir haben eindeutig nachgewiesen, dass die Umsetzung humanitärer Prinzipien am Arbeitsplatz Hand in Hand mit ökonomischem Erfolg geht." Auch hohe Krankheitsquoten in Unternehmen entständen nicht zufällig. Sie hingen davon ab, wie wohl sich ein Mitarbeiter am Arbeitsplatz fühle.

Unfaires Verhalten macht krank

Michael Kremin, selbständiger Management-Coach in München.
Michael Kremin, selbständiger Management-Coach in München.

In Zeiten, in denen sich aufgrund konjunktureller Schieflage kaum Gewinn erwirtschaften lässt, werden Fehlzeiten erst recht betriebswirtschaftlich relevant, betont Kremin. Er plädiert dafür, dass Mitarbeiter mehr Spielraum erhalten müssen, um sich zu entfalten. Es sei keineswegs die Belastung durch die Arbeitsmenge, die Angestellte krank werden lasse, sondern die Atmosphäre, in der gearbeitet wird.

Positiv auf die Motivation wirken sich oft schon Kleinigkeiten aus, beruhigt Psychologe Frey die Manager: "Ein gutes Arbeitsklima schafft man mit banalen Dingen wie ,Danke‘, ,Bitte‘ und ,Guten Tag‘ sagen." Aber er mahnt auch faires und offenes Verhalten in komplizierteren Prozessen an. Gravierende Management-Fehler wie mangelnde Gerechtigkeit wirkten sich negativ aus: "Die Leute wollen sehen, wie Dinge entschieden werden, ob Ressourcen nach dem Zufalls-, Leistungs- oder dem Nasenprinzip verteilt werden."

Besonders bei krisenbedingten Umstrukturierungen oder gar Personalkürzungen kommt es darauf an, die Mitarbeiter mit ihren Sorgen und Ängsten ernst zu nehmen. Frey fordert: "Eine Führungskraft muss den betroffenen Mitarbeitern auf menschenwürdige Weise mitteilen, warum sich das Unternehmen von ihnen trennen will."

Mitarbeiter durch emotionale Ansprache motivieren

Zu einem guten Management gehöre außerdem, sich mit den Betroffenen über die privaten und beruflichen Folgen auszutauschen, mögliche Weiterqualifizierungen zu überlegen und sie als potenzielle Kooperationspartner aufzubauen. "Selbst wenn ein Manager kein Humanist sein will, dann muss er zumindest Kaufmann sein. Denn jene Mitarbeiter, die bleiben, beobachten genau, wie das Unternehmen mit seinen Abgängern umgeht." Überall dort, wo Rationalisierungsmaßnahmen nicht transparent und moralisch unanfechtbar erfolgen, töte man Motivation und Kreativität auch bei den Nicht-Betroffenen, so Frey.

Untersuchungen zeigten, dass schlechtes Kündigungsverhalten die Produktivität der verbleibenden Mitarbeiter um 30 bis 40 Prozent senke. Außerdem bestehe die Gefahr, dass die Gekündigten anschließend Negativpropaganda betrieben. Deshalb sollten Führungskräfte die Ängste und Sorgen der betroffenenen wie beobachtenden Mitarbeiter offen ansprechen und gemeinsam Strategien zur Vermeidung von Unsicherheit entwickeln. Auch wenn Manager unter dem Druck der Krise mühsam erworbene Führungsfähigkeiten manchmal vergessen, existieren doch Beispiele, dass emotionale Ansprache Mitarbeiter motiviert.

Andreas Mach ist Leiter des Geschäftsbereichs Süd, Firmenkundenbetreuung, bei der Hypo-Vereinsbank, München. Mach definiert seinen Anspruch an Führungsqualität so: "Menschenwürde gehört als Führungsprinzip immer dazu, egal in welcher Situation das Unternehmen steckt." Das Vertriebsteam für New-Economy-Firmen musste neu organisiert werden, seitdem die Branchen Telekommunikation, IT und Medien in der Krise stecken. In einem Wochenend-Workshop setzte sich Mach mit seinem zehnköpfigen Vertriebsteam und Frey als externem Trainer zusammen. "Wir wollten den Leuten vermitteln, dass es okay ist, über emotionale Bedürfnisse und auch Ängste zu sprechen, zum Beispiel über den Verlust der Aufgabe oder des Arbeitsplatzes. Leider gilt das vielerorts immer noch als unprofessionell."

Was motiviert - was blockiert?

Bei Führung gehe es um Emotionen und Kommunikation, so Machs Erfahrung. Aber in komplexen Organisationen neigten Führungskräfte in schwierigen Zeiten dazu, das zu vergessen. "Management-Seminare, in denen sich die Mitarbeiter über ihre Befindlichkeiten austauschen, werden von manchem Vertreter des oberen Managements gern mit einem Töpferkurs verglichen." Da der Nutzen solcher Maßnahmen nicht sofort zu messen sei, bedürfe es großen Durchhaltevermögens, um sich gegen den Management-Stil durchzusetzen, der nur in quantitativen Zielen denkt.

Auf dem Hypo-Vereinsbank-Workshop spielen die Teilnehmer in Gruppendiskussionen und Rollenspielen Situationen aus dem Arbeitsleben durch. So finden die Beteiligten he-raus, wo die Hürden und Fallen lauern. Sie diskutieren über ihre Stellung im Beruf und im Leben, überlegen gemeinsam: Was motiviert mich? Was blockiert mich? Die Resonanz seiner Mitarbeiter auf die Veranstaltung sei durchweg positiv, freut sich Mach. Für ihn ein Beweis, dass Management-Werkzeuge wie Zielvereinbarungen überholt sind. "Sie können zwar eine Erhöhung der Besuchsfrequenz beim Kunden vereinbaren. Aber über quantitative Ziele erreichen Sie nie eine höhere Qualität." Mach dagegen appelliert an die Leidenschaft seiner Mitarbeiter: "Gerade im Dienstleistungsbereich braucht man ständig eine Verbesserung der Qualität, um sich gegen die Konkurrenz zu behaupten. Die erreicht man nur, wenn man das Herz der Leute öffnet."