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Jetzt geht's ans Erbsenzählen

22.11.2002
Nach der Investitionszurückhaltung in diesem Jahr ist auch 2003 nicht damit zu rechnen, dass die IT-Budgets nennenswert wachsen. Vielmehr sucht das Gros der Unternehmen nach Einsparmöglichkeiten.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Nach der Investitionszurückhaltung in diesem Jahr ist auch 2003 nicht damit zu rechnen, dass die IT-Budgets nennenswert wachsen. Vielmehr sucht das Gros der Unternehmen nach Einsparmöglichkeiten. Prioritäten haben dabei Maßnahmen zur Kostenreduzierung, die den reibungslosen Geschäftsablauf nicht gefährden.

Die Ausgaben für Hardware, Software und Services werden nach Erhebungen der Investment-Bank Goldman Sachs gegenüber 2002 weltweit nur um zwei bis drei Prozent zunehmen. Die Meta Group schätzt, dass im kommenden Jahr lediglich zehn Prozent der Firmen mehr Geld in ihre IT investieren werden. Die Hälfte der Unternehmen werde die Ausgaben auf dem Niveau des Vorjahres einfrieren - bei 40 Prozent seien sogar Budgetkürzungen zu erwarten.

Foto: Photodisc
Foto: Photodisc

Vor allem an der Hardware wird gespart: "Neuanschaffungen im Bereich PCs und Peripherie, die nicht unbedingt sein müssen, gibt es zurzeit nicht", berichtet beispielsweise Peter Engel, Geschäftsführer der IT-Tochter Airsys des Flughafens Hamburg. Daran änderten auch die zurzeit günstigen Preise nichts. "Heute legt man sich nicht mehr automatisch die nächste Hardwaregeneration zu", bestätigt auch IT-Sprecherin Gisela Hawickhorst von der Commerzbank. In jedem Fall werde peinlich genau geprüft, ob eine Ersatzinvestition zwingend notwendig ist.

Zurückhaltung bei Hardwareausgaben

Nach Beobachtungen von Dieter Sinn, Managing Partner bei dem Beratungsunternehmen Sinn-Consulting, zeigt sich der Mittelstand diesbezüglich besonders zurückhaltend. Anders als bei Großunternehmen, deren PC-Umgebungen meist bereits auf einem neueren Stand sind, kommt es hier häufig zu unerwünschten Nebenwirkungen: "Der eine arbeitet an einer Windows-95-Kiste, der andere hat Glück und nutzt bereits eine Office-2000- oder XP-Applikation - auch durch solche Mischmasch-Szenarien machen sich die Sparmaßnahmen bemerkbar", schildert der Berater. Folglich hätten die zunehmend heterogenen, mittelständischen PC- und Betriebssystem-Landschaften eine Renaissance altbekannter Probleme wie multiple Systemabstürze zur Folge.

Spielraum für Kosteneinsparungen bietet sich auch beim Hardware-Leasing. "Wir haben die Verträge für unsere gemieteten PCs und Notebooks neu ausgehandelt und deutlich günstigere Konditionen erhalten", verrät Reinhard Dicken, IT-Leiter bei dem Krefelder Industriegasehersteller Messer Griesheim.

Als effektives Mittel zur Kostensenkung findet auch das Thema Konsolidierung in deutschen Firmen zunehmend Beachtung. Ein Beispiel ist ein umfangreiches Zentralisierungsprojekt der Sixt Autovermietung: "Wir haben im Vermietbereich die Datenbanken, die bislang in jeder Sixt-Station in Europa liefen, auf einer Server-Farm zentralisiert und können jetzt diese PCs bei Bedarf durch günstige Terminals ersetzen", beschreibt Produktionschef Hans-Joachim Schwarzer. Im Storage-Bereich zeigt sich das Unternehmen ebenfalls konsolidierungswillig. So wurden im laufenden Jahr alle Betriebssystem-homogenen Systeme mit einem einzigen Storage-System verbunden. Vorarbeiten für ein umfangreiches Server-Konsolidierungsprojekt hat auch Messer Griesheim geleistet. "Wir haben auf der Desktop-LAN-Schiene unsere Novell- durch Windows-2000-Server abgelöst und wollen auf absehbare Zeit alle Systeme auf XP umrüsten", so IT-Chef Dicken. Ziel sei es, eine Vielzahl von Einzel-Servern einzusparen.

Bestehende IT besser nutzen

Nach Angaben von Berater Sinn versuchen Unternehmen derzeit grundsätzlich, mehr aus der bestehenden Informationstechnik herauszuholen. Das belegt ein weiteres, ebenfalls im Hause Sixt anstehendes Projekt: Mit Hilfe der Windows-Terminal-Software "Citrix Metaframe" will der Autovermieter ab April kommenden Jahres kostengünstige Clients auch in seiner Hauptverwaltung einsetzen. Dabei sollen die rund 400 PCs nur im Falle von Defekten durch Thin-Client-Geräte ersetzt werden. Geplant ist die Umkonfiguration zu Terminals. "Aufgrund der relativ geringen Anforderungen an den Thin Client lassen sich die alten Rechner gut aufbrauchen", erklärt Schwarzer. Dazu würden die betagten PCs lediglich mit einem Startsystem ausgestattet, um sich am Server anmelden zu können. Die größte Kostenersparnis erwartet sich Sixt allerdings von der dadurch möglichen zentralen Verwaltung seiner Rechnerflotte.

Im Softwarebereich gewinnen Anwendungen an Bedeutung, die sich schnell und einfach implementieren lassen - etwa vorintegrierte Komplettlösungen aus einer Hand. Dafür fallen Großprojekte vor allem in den Bereichen E-Business, Supply-Chain-Management (SCM) und Customer-Relationship-Management (CRM) sowie Enterprise Application Integration (EAI) oft dem Rotstift zum Opfer. "Es ist kein Geheimnis, dass wir unsere ursprünglich geplante Firmenkunden-Direktbank auf zwei Portale reduziert haben", schildert etwa Commerzbank-Mitarbeiterin Hawickhorst das aus Kostengründen zurückgefahrene E-Commerce-Engagement.

Auch mit Updates wird gegeizt. So ist laut Airsys-Chef Engel beim Flughafen Hamburg derzeit Microsofts Office nicht auf dem neuesten Stand. Zudem arbeite das Unternehmen nach wie vor mit Windows NT und fahre weiter auf SAP 4.0, statt auf Mysap.com zu wechseln. Die branchenspezifischen Anwendungen des Unternehmens seien jedoch von den Maßnahmen zur Kostenreduzierung ausgeschlossen.

Aktuelles Sparpotenzial bergen zudem Neuverhandlungen von Lizenzverträgen. Dass der Abnehmer hier mittlerweile bessere Konditionen herausholen kann, bestätigt die Commerzbank: "Der Markt hat sich gewissermaßen von einem Anbieter- zu einem Nachfragermarkt gewandelt", so Hawickhorst. "Bei der Anschaffung unserer Mysap- und Microsoft-Lizenzen konnten wir in diesem Jahr sehr gute Bedingungen aushandeln", bestätigt auch Messer-Griesheim-Mann Dicken.

Outsourcing - nein, danke

Als besonders geeignetes Instrument zur Kostensenkung gilt Outsourcing. Allerdings zeigen die Deutschen hier nach wie vor Berührungsängste. Experten schätzen den Anteil der Firmen, die bestimmte IT-Aufgaben Drittanbietern anvertrauen, aktuell auf maximal zehn Prozent. Wenn überhaupt, tendiert man hierzulande eher dazu, den IT-Bereich in Form von Tochterfirmen auszugründen. So hält es etwa der Hamburger Flughafen mit seiner IT-Tochter Airsys. Im Gegenzug wird an externen Fachkräften gespart: "Wir machen inzwischen fast alles mit unseren eigenen Leuten", so IT-Chef Engel.

Deutsche Unternehmen geben die Kontrolle über ihre IT-Kompetenzen generell ungern aus der Hand. So steht Schwarzer dem Thema Outsourcing eher skeptisch gegenüber, da es nach Ansicht des Sixt-Produktionschefs hierbei zu großen Abhängigkeiten kommen kann. Zudem müsse man immer damit rechnen, dass der Partner in finanzielle Schwierigkeiten gerät. "Wenn wir die Dinge in unserem kleinen Team selbst in die Hand nehmen, können wir sicher sein, dass alles funktioniert", behauptet Schwarzer. Auf Spezialisten greife man lediglich projektbezogen zu. Die Commerzbank, die in diesem Jahr einige neue Mitarbeiter rekrutiert hat, um das Geld für externe Kräfte zu sparen, will auf diese Weise auch das Fachwissen im Haus behalten: "Ein Angestellter ist normalerweise loyaler als ein Externer, der sich das Know-how unter den Arm klemmen und damit zum nächsten Kunden gehen kann", erklärt IT-Sprecherin Hawickhorst.

Auslagern allein reicht nicht

Viele Anwender haben mittlerweile die Erfahrung gemacht, dass Outsourcing allein noch kein Garant für geringere IT-Kosten ist. Einsparungen lassen sich nach den Erfahrungen von Berater Sinn nur bei der Auslagerung von komplexen beziehungsweise mit hohem Personalaufwand verbundenen Projekten erzielen - meist sei das die SAP-R/3- oder eine entsprechende ERP-Lösung. Grundsätzlich sei Outsourcing aber als strategischer Ansatz zu betrachten: "Es geht auch darum, sich durch das Auslagern von wesentlichen Teilen der IT wieder auf die Kernkompetenzen konzentrieren zu können", so Sinn.

Der Zeitpunkt ist günstig, denn auch die IT-Servicebranche steht unter Druck und ist zu Konzessionen bereit, wie das Beispiel Messer Griesheim zeigt: Der Industriegasehersteller, dessen SAP/R3-Betrieb und LAN-Desktop-Bereich seit einigen Jahren von Drittfirmen betreut wird, hat die Leistungen im Sommer neu ausgeschrieben und damit messbare Erfolge erzielt: "Durch die Vorarbeiten in den Projekten konnten wir etwa 20 Prozent gegenüber den Altverträgen einsparen", bilanziert IT-Leiter Dicken.

Laut Luis Praxmarer, Managing Director der Meta Group, stellt das Gros der aufgeführten Einsparungen allerdings Maßnahmen dar, die auch in konjunkturell besseren Zeiten "zum täglichen Pflichtprogramm eines jeden Unternehmens gehören sollten". Zudem seien die Einsparpotenziale begrenzt. Berechnungen der Meta Group zufolge entfallen durchschnittlich nur 15 Prozent der gesamten IT-Kosten eines Unternehmens auf Software und 16 Prozent auf Hardware. Für Outsourcing-Projekte seien weitere zwölf Prozent und für sonstige Kosten - etwa Anschaffungen im TK-Bereich - rund 15 Prozent zu veranschlagen. Den Löwenanteil - 42 Prozent - machen die Personalkosten aus, und genau darin liegt laut Praxmarer das Problem: "Wer hier einsparen will, muss sich mit Prozessen und Menschen beschäftigen." Bislang hätten sich aber nur wenige Firmen an dieses Thema herangewagt.

Nach Ansicht von Sinn zeichnet sich jedoch eine allmähliche Trendwende ab. "Wenn eine Software früher nicht zur Zufriedenheit lief, wurde einfach ein Modul draufgesetzt. Heute sind die Verantwortlichen stärker an den kostentreibenden Ursachen interessiert - und landen damit automatisch bei der Ablauf- oder Prozessverbesserung", so der Berater. Allerdings findet dieses Umdenken laut Sinn zunächst vorrangig auf der menschlichen Ebene, sprich: im Hinblick auf eine bessere Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Abteilungen, statt. Aber das sei immerhin schon einmal eine der wesentlichen Voraussetzungen für die optimale Unterstützung der Geschäftsabläufe durch die IT.

Auch die Frage nach der Notwendigkeit von Projekten wird nach Angaben des Beraters verstärkt gestellt. Dass sich der Nutzen einer IT-Investition genau einschätzen lässt, bezweifelt der Consultant jedoch. Dazu seien die Folgen des Investments oft zu schlecht kalkulierbar. "Grundsätzlich bedeutet eine IT-Entscheidung immer, Erfahrungen zu sammeln und gegebenenfalls auch Lehrgeld zu zahlen."

Das sieht Meta-Group-Experte Praxmarer anders: Er hält die Analyse des Geschäftsnutzens einzelner Projekte für die momentan wichtigste Aufgabe. Nur dann hätten Einsparungen im IT-Bereich überhaupt einen Sinn. "Ergeben sich durch ein bestimmtes Projekt keine konkreten Vorteile, dann ist ohnehin jeder Euro zu viel investiert", so der Experte. Dass sich Einsparungen nur dann erzielen lassen, wenn man sich über den Zweck einer Investition im Vorfeld Transparenz verschafft, hält Robert Pfeifer, Hauptabteilungsleiter Organisation bei der Bausparkasse Mainz, allerdings für selbstverständlich: "Die Nutzendiskussion ist kein neuer Trend. Schließlich geht es nicht darum, dass ein Technik-Freak sein neues Spielzeug bekommt." Entscheidend sei es, die Geschäftsprozesse zu optimieren - nach Ansicht des Organisationsleiters die Voraussetzung für jeden Rationalisierungserfolg. Der Finanzdienstleister steht derzeit kurz vor dem Abschluss eines groß

angelegten mehrjährigen Business-Process-Reengineering-Projekts.

In den meisten Unternehmen findet dieser Aspekt jedoch noch zu wenig Beachtung, meint Meta-Group-Mann Praxmarer: "Da heißt es von oben: Ihr müsst sparen - und dann wird überall, wo es geht, der Rotstift angesetzt." Dadurch sei Deutschland bei den IT-Ausgaben im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt mittlerweile unter den EU-Durchschnitt gerutscht. "Wir haben uns krank gespart", so Praxmarer. "Früher wurde auch aufs Geld geschaut, aber man hat trotzdem investiert, um zu rationalisieren und zu automatisieren. Das ist doch der eigentliche Sinn des IT-Einsatzes."

IT-Abteilung: Schrumpf- oder Wasserkopf?

Was das Personal betrifft, scheint die Welt in den deutschen IT-Abteilungen unterdessen noch in Ordnung. Statt des andernorts gängigen Kahlschlags bleibt die firmeneigene DV-Mannschaft meist unangetastet, gelegentlich wird sie sogar aufgestockt. So berichtet die Bausparkasse Mainz, die sich aufgrund der steigenden Servicekosten mittlerweile von dem Gros ihrer externen Kräfte verabschiedet hat, von zehn Neueinstellungen im Bereich Anwendungsentwicklung. "Hier haben wir uns intern quasi verdoppelt", so Organisationschef Pfeifer. "Denn für einen Externen bekomme ich mittlerweile zwei Interne." Dagegen hat Messer Griesheim zehn Prozent seiner DV-Mannschaft abgebaut - wenn auch hauptsächlich mit Hilfe von Altersteilzeit.

Nach Überzeugung von Berater Sinn dürften die deutschen Unternehmen ihre IT-Budgets für das Jahr 2003 in den kommenden Wochen allein aus politischen Gründen noch einmal deutlich nach unten korrigieren. Dann nämlich, wenn die Firmen ausgerechnet haben, was sie die neuesten Koalitionsbeschlüsse, sprich: die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze beziehungsweise der Rentenbeitragssätze, tatsächlich kosten werden. "Wenn man einer solchen Geschäftsführungssitzung beiwohnt, laufen einem Schauer über den Rücken", schildert Sinn. "Da kommt von heute auf morgen ein Kostenblock hinzu, der nicht selten in der Größenordnung dessen liegt, was ein typischer Mittelständler heute noch als Gewinn verzeichnet." (kf/sp)