Jessi-Konzept wird aufgeweicht

07.12.1990

Knapp anderthalb Jahre ist es her, seit Jessi - das ambitionierte europäische Mikroelektronik-Vorhaben - formell als Eureka-Programm verabschiedet wurde. Verabschieden können sich spätestens jetzt alle Beteiligten von ihrem hehren Anspruch, als rein europäische Initiative gegen die Übermacht aus Übersee anzugehen. Weniger gravierend ist dabei, daß die Europäer künftig über IBM Europa auf US-Know-how zurückgreifen werden. Schließlich stehen die Amerikaner in Sachen Chip-Abhängigkeit von den Japanern auch nicht besser da als ihre Kollegen vom Alten Kontinent. Weitaus schwerer wiegt, daß man nun auch im Land der aufgehenden Sonne Geschmack an Jessi gefunden hat. Fujitsu kaufte sich mit ICL einen wenn auch in geringem Maße - an Jessi beteiligten Europäer ein. Bleiben die Briten in diesem Forschungsprojekt, so ist Jessi zumindest asiatisch angehaucht. Auf der Münchner Electronica im November erklärte der Vizepräsident von NEC gar freiweg, Partner von Jessi werden zu wollen.

Der empörte Aufschrei aus Europa zu diesem verbalen Vorstoß blieb jedoch aus. Noch scheint der europäischen Mikroelektronik-Initiative das japanische Taktieren kaum Kummer zu bereiten. Vielleicht aber spukt in einigen Köpfen auch die Idee herum, mit den Japanern einen ähnlichen Deal zu schaffen wie - über IBM - mit Sematech: Läßt man indirekte japanische Aktivitäten bei europäischen Forschungsprojekten zu, könnte sich das Tokioter Handelsministerium Miti im Gegenzug erkenntlich zeigen, und ein, zwei Projekte in Japan mit europäischer Beteiligung - das wäre schon ein Erfolg.

Keine schlechte Idee, aber ein Entgegenkommen der Japaner im Fall des Falles scheint doch sehr ungewiß. Außerdem: Bedarf es für derartige Ambitionen einer solch groß aufgezogenen Initiative, deren Arbeit Milliarden Fördergelder verschlingt? Wie dem auch sei - einmal mehr haben die Europäer unter Beweis gestellt, daß sie nicht in der Lage sind, eine Allianz für sich - allein durchzustehen. IBMs Eroberung von Jessi war sicherlich nur der erste außereuropäische Streich.