Jedes dritte Programm ist geklaut

12.06.2001
Von in Sabine
Einer Studie des internationalen Industrieverbands Business Software Alliance (BSA) zufolge wurden im vergangenen Jahr 37 Prozent aller weltweit in Unternehmen eingesetzten Anwendungen auf nicht legalem Weg erworben. Damit ist die Zahl der Raubkopien zum ersten Mal seit Beginn der jährlichen Erhebung vor sieben Jahren gestiegen.

Zwischen 1994 und 1999 war die Raubkopierrate kontinuierlich gesunken, was die BSA darauf zurückführt, dass die Softwarehersteller inzwischen in zahlreichen Ländern mit Niederlassungen vertreten sind und es dadurch überall möglich ist, auf legalem Weg an Programme heranzukommen sowie technischen Support in Anspruch zu nehmen. Zudem sind die Preise für Business-Anwendungen in den vergangenen Jahren gefallen, wodurch der legale Bezug attraktiver geworden sei.

Georg Herrnleben, Regional Manager der BSA für Zentraleuropa
Georg Herrnleben, Regional Manager der BSA für Zentraleuropa

Und schließlich stieg durch verstärkte Fahndungsmaßnahmen das Risiko, beim illegalen Softwarekauf erwischt zu werden. Warum die Softwarepiraterie im vergangenen Jahr erstmals seit Beginn der jährlichen Erhebung wieder zugenommen hat, lässt sich laut BSA nicht eindeutig beantworten. Die Experten vermuten aber, dass sich einige Unternehmen angesichts des relativ moderaten Wirtschaftswachstums im Jahr 2000 eine etwas lässigere Einstellung zu diesem Thema zugelegt haben.

Eine solche Haltung kommt die Softwarehersteller teuer zu stehen: Der BSA-Studie zufolge sind der internationalen Softwareindustrie im vergangenen Jahr durch Raubkopien Verluste in Höhe von 11,8 Milliarden Dollar entstanden. Dabei handelt es sich um Umsatzeinbußen aus dem Verkauf oder der Weitergabe illegal kopierter oder gefälschter Business-Software. Der Schaden wäre sogar noch um ein Vielfaches höher, würde man die Raubkopien von aus dem Internet heruntergeladenen Programmen hinzuzählen.

Nicht nur weltweit, auch in Deutschland ist die Diebstahlquote gestiegen. Etwa 28 Prozent aller in Unternehmen installierten Programme sind laut Studie im vergangenen Jahr raubkopiert worden - im Vorjahr waren es 27 Prozent. Die dadurch verursachten Umsatzeinbußen beziffert die BSA auf 635 Millionen Dollar (umgerechnet 1,27 Milliarden Mark). Damit hat die einschlägige Industrie hierzulande die höchsten Verluste durch Softwarepiraterie in Westeuropa erlitten - und das zum sechsten Mal seit 1994. An zweiter Stelle liegt Großbritannien mit 498 Millionen, gefolgt von Frankreich mit 481 Millionen Dollar Umsatzausfall. In ganz Westeuropa wird der durch den Einsatz von Software ohne Lizenz verursachte Schaden auf mehr als drei Milliarden Dollar geschätzt.

Weltweit mussten die Anbieter nur in den USA, Japan und China größere Verluste durch Raubkopien als im deutschen Markt hinnehmen. In den USA entstand der Softwareindustrie ein Schaden von insgesamt 2,6 Milliarden Dollar. An zweiter Stelle liegt Japan mit 1,6 Milliarden Dollar, gefolgt von China mit Umsatzeinbußen in Höhe von 1,1 Milliarden Dollar.

Allerdings hängt der finanzielle Schaden nicht immer direkt mit der Zahl der illegal erworbenen Kopien zusammen. So fielen die gesamten Einbußen der Softwareindustrie trotz des Anstiegs der Piraterie im vergangenen Jahr um 3,5 Prozent geringer aus als im Jahr zuvor. Die BSA führt diese Entwicklung vor allem darauf zurück, dass der Dollar im Jahr 2000 sehr stark gewesen sei, der Markt für Business-Software am geringsten seit Beginn der BSA-Erhebung vor sechs Jahren gewachsen sei und die Preise in einigen Ländern nachgegeben hätten. Vor allem die Kombination aus langsamem Marktwachstum und zum Teil niedrigeren Preisen habe einen leichten Rückgang der durch Softwarepiraterie verursachten Umsatzausfälle zur Folge gehabt.

Griechenland etwa verbuchte im vergangenen Jahr die höchste Raubkopierate von Westeuropa: Bei 66 Prozent der installierten Business-Software handelte es sich um Anwendungen, für die die Firmen keine Lizenz erworben hatten. Der dadurch entstandene Schaden erreichte jedoch mit 61,5 Millionen Dollar nicht einmal zehn Prozent der Umsatzeinbußen, die in Deutschland gemeldet wurden. Umgekehrt sind zwar in den USA die höchsten finanziellen Verluste zu beklagen. Mit 24 Prozent haben die USA aber nach wie vor die niedrigste Piracy-Rate der Welt, was die Lizenzhüter der BSA unter anderem damit erklären, dass geistiges Eigentum in den Vereinigten Staaten stärker als anderswo respektiert werde.

Am verbreitetsen ist die Softwarepiraterie in besonders schnell wachsenden Wirtschaftsregionen. Die weltweit höchste regionale Raubkopienquote hat Osteuropa. Der Anteil der illegal erworbenen Programme ist dort seit 1994 zwar stark zurückgegangen, beträgt aber noch immer 63 Prozent. Vor allem in den GUS-Staaten floriert das Geschäft mit geklauter und gefälschter Software, die zum Großteil nach Westeuropa exportiert wird. Allerdings liegen die Verluste der Softwareanbieter aus den genannten Gründen hier nur bei 404 000 Dollar. Den zweithöchsten Raubkopienanteil in Unternehmen (58 Prozent) verzeichnete im vergangenen Jahr Lateinamerika, gefolgt vom Mittleren Osten mit 57 Prozent.

Ein weiteres Zentrum der illegalen Softwarenutzung ist der asiatisch-pazifische Raum. Dort waren der BSA zufolge im Jahr 2000 mehr als die Hälfte aller Programme (52 Prozent) raubkopiert. Die Schadensbilanz stieg um fast 50 Prozent auf 4,1 Milliarden Dollar - ein Wert, der von keiner anderen Region auch nur annähernd erreicht wird. Angeführt wird die Statistik von Vietnam, wo laut BSA nur drei Prozent aller Softwarekopien legal erworben wurden. Auch in China scheint es bei einer Piracy-Rate von 94 Prozent kaum einen Rechner zu geben, der mit Originalsoftware bestückt ist.

Nach Ansicht der BSA ist in Ländern mit einem hohem Anteil an illegaler Software das Rechtsbewusstsein zum Teil weniger stark ausgeprägt als anderswo. Auch die Maßnahmen zur Verfolgung und Verurteilung von Softwarepiraten seien nicht effektiv genug. Zudem mangle es an Kenntnissen des internationalen Urheberrechts. Der hohe Anteil an Raubkopien hat aber vielerorts auch gesetzgeberische Hintergründe. Beispielsweise war es in Hongkong früher lediglich verboten, mit illegaler Software zu handeln. Seit dem 1. April hat die Regierung auch jegliche Benutzung unautorisierten Materials unter Strafe gestellt.

Welche Business-Anwendungen im vergangenen Jahr am häufigsten illegal kopiert wurden, hat die BSA nicht ermittelt. Laut Georg Herrnleben, Regional Manager der BSA für Zentraleuropa, ist der Schattenmarkt jedoch im Großen und Ganzen ein Spiegelbild des offiziellen Markts. Es gehe weniger um den Preis der jeweiligen Anwendung, als vielmehr darum, an welchen Programmen der größte Bedarf bestehe. Betriebssysteme, die in der Studie nicht berücksichtigt sind, werden laut Herrnleben ähnlich häufig kopiert wie Anwendungssoftware. Vor allem bei NT-Server-Systemen komme es vielerorts zu einer "Unterlizenzierung".

Wenn ein Unternehmen nichtautorisierte Software einsetzt, steckt laut Herrnleben selten eine böse Absicht dahinter. Vielmehr liege die Ursache in organisatorischen Problemen. In großen Unternehmen, die über eine DV-Abteilung mit klar verteilten Aufgaben verfügen, sei Softwarepiraterie im Regelfall kein Thema. Bei kleineren und mittelständischen Firmen jedoch werde das Software-Management häufig "wegdelegiert", es gebe keine eindeutigen Zuständigkeiten - "nicht selten herrscht in diesem Bereich ein regelrechtes Chaos", so Herrnleben. Dadurch falle nicht auf, dass für einige Anwendungen zu wenig Lizenzen - oder auch zu viele - angeschafft wurden.

"Geschäftsführer haben oft überhaupt keinen Überblick darüber, welche Software auf ihren Computern installiert ist und ob alle Programme korrekt erworben wurden", meint der BSA-Experte. Aber natürlich gebe es auch Firmen, die sich bewusst sagen: "Das Geld spar ich mir." So berichtete Herrnleben von einer Firma, deren DV-Leiter den Geschäftsführer auf die Unterlizenzierung aufmerksam gemacht hatte, worauf dieser erklärte: "Sie sind hier, um Kosten zu sparen - nicht um welche zu verursachen."

Auf der anderen Seite scheint sich der Softwareklau noch immer zu lohnen. So mussten im letzten Jahr deutsche Fimen für den Einsatz illegaler Anwendungen knapp 2,7 Millionen Mark Schadenersatz zahlen und für weitere 770000 Mark fehlende Lizenzen nachkaufen - ein Klacks im Vergleich zu dem, was ein Unternehmen durch den Einsatz von Raubkopien einspart. Zur Erinnerung: Die Softwarehersteller erlitten im gleichen Zeitraum Umsatzeinbußen in Höhe von 1,27 Milliarden Mark. Zudem entfiel der Löwenanteil der gezahlten Schadensersatzsumme, nämlich rund eine Million, auf ein einziges Unternehmen, ein CD-Kopierwerk.

Strafen in Deutschland nicht hoch genug "Die Schadensersatzzahlungen sind häufig nicht so, wie wir uns das wünschen", räumt auch Herrnleben ein. In der Regel handle es sich um Fälle, wo es im Schnitt um 20000 bis 50000 Mark gehe. "Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein". Der Grund sei jedoch gesetzlicher Natur: Die Strafen in Deutschland seien nicht hoch genug - die Schadensersatzsumme richte sich nach dem Preis der jeweils illegal erworbenen Software. "In anderen Ländern dagegen sind die Zahlungen dreimal so hoch - als abschreckendes Beispiel sozusagen."

In Österreich seien dadurch mit weit weniger Hinweisen - zirka 70 waren es letztes Jahr - Schadensersatzsummen in etwa der gleichen Höhe wie in Deutschland zusammengekommen. Die BSA setzt sich daher bereits seit geraumer Zeit für eine diesbezügliche Verschärfung der deutschen Gesetze ein - damit es sich nicht mehr lohnt, Software illegal zu kopieren.