Jeder kann seinen Geschaeftsfuehrer per Knopfdruck erreichen Ueber E-Mail steht Control Data mit der ganzen Welt in Kontakt

08.07.1994

Von Christian Kvech*

Um Kundenprojekte laenderuebergreifend abwickeln zu koennen, hat Control Data eine auf offenen Systemen basierende Netzwerktopologie mit unterschiedlichen Anwendungen realisiert. Dieser Artikel spezialisiert sich auf einen Teilaspekt dieser Loesung: die unternehmensweite E-Mail-Struktur.

Grundsaetzlich ist eine schnelle und effiziente Kommunikation fuer jedes Unternehmen wichtig. Fuer das Erbringen von EDV- Dienstleistungen (Beratung, Realisierung, Betreuung) - insbesondere im Rahmen internationaler Projekte, die Laender- und Zeitzonen ueberschreiten, - ist sie schlichtweg eine Voraussetzung. Nur solche Teams, die schnell auf gemeinsames Wissen zugreifen, Erfahrungen austauschen und effizient koordinieren koennen, sind in der Lage, umfangreiche Projekte im Sinne des Kunden hinsichtlich Zeit, Qualitaet und Kosten zu realisieren.

Schon Ende der 70er ein E-Mail-System

Control Data hat sehr frueh eine globale Kommunikationsstruktur aufgebaut. Bereits Ende der 70er Jahre fuehrte diese Firma das erste unternehmensweite Electronic-Mail-System ein, damals noch eine geschlossene, auf Mainframes basierende Loesung. Seitdem wurde es staendig weiterentwickelt und optimiert.

Heute ist E-Mail fuer alle Control-Data-Mitarbeiter ein normaler Bestandteil ihrer taeglichen Arbeit: Sie sind als E-Mail-Benutzer validiert und verfuegen ueber eine Mailbox. Mail wird sowohl fuer die interne als auch externe Kommunikation benutzt. Dabei nutzen sie die Infrastruktur schon lange nicht mehr nur fuer den Nachrichtenaustausch in Form von Memos, Anfragen und aehnliches. Mittlerweile werden immer komplexere Daten wie Spreadsheets, Praesentationen, Druckdateien und binaere Programme zur Fehlerbeseitigung in "elektronischen Briefumschlaegen" versandt. Auch Preislisten von Zulieferern werden nahezu ausschliesslich ueber E-Mail empfangen und automatisch in die entsprechenden Control- Data-Systeme eingespielt. Mitarbeiter, die in Projekten beim Kunden vor Ort eingesetzt werden oder auf Reisen sind, nutzen ihre Notebooks, um ihre Mails abzurufen und entsprechend zu antworten. Da dies in der Regel zweimal taeglich geschieht, ist jeder Mitarbeiter innerhalb von acht Stunden garantiert zu erreichen. Pro Tag gehen dabei weit mehr als 20 000 Electronic Mails ueber das Netz.

Fuer die insgesamt 3200 Beschaeftigten an weltweit 140 Standorten wurde eine Infrastruktur geschaffen, die ausschliesslich auf offenen Systemen beruht. Die Basis des Netzwerks bilden voll SNMP- faehige Router (Simple Network Management Protocol), die in jedem groesseren Standort installiert sind. Die Router werden einmal mit Software geladen und verwalten sich danach selbst - einschliesslich der Suche nach alternativen Wegen, sofern Nachbar-Router nicht mehr verfuegbar sind.

Die Hauptknoten liegen in Taiwan, im Headquarter in Arden Hills, Minnesota/USA sowie in Frankfurt. Frankfurt ist ueber eine 64- K/bit-HDLC-Leitung mit der Zentrale in Arden Hills verbunden und unterhaelt direkten Kontakt mit den 13 europaeischen Niederlassungen von Control Data sowie mit den sieben deutschen Distriktbueros. Die europaeischen Verbindungen basieren auf der X.25-Technologie, waehrend in Deutschland mittlerweile die ersten ISDN-Anbindungen realisiert sind. Das Unternehmen faehrt den OSI- sowie den TCP/ IP- Stack parallel auf dem gesamten Netz.

Die Carrier wurden unter dem Aspekt Preis-Leistungs-Verhaeltnis ausgewaehlt. So betreibt MCI die Transatlantikverbindung, waehrend das europaeische Netzwerk von Infonet bereitgestellt wird. Die Entscheidung fiel zugunsten von Infonet, da hier eine Regelung getroffen werden konnte, die unabhaengig von der zu uebertragenden Datenmenge war. In Deutschland werden Datex-P und ISDN genutzt. Das gesamte Netz hat Gateways zum Internet und zum X.400-Service von AT&T, einen Fax-Gateway sowie Verbindungen zu unterschiedlichen lokalen Telekom-Gesellschaften.

Fuer die E-Mail-Anwendungen wurden sieben "Hauptpostaemter" definiert. Davon befinden sich zwei in den USA (Arden Hills und Santa Clara), eines in Taiwan sowie drei in Europa (London, Frankfurt und Paris). Das "Postamt" fuer China wird zur Zeit in den USA gemanagt.

Die "Postaemter" basieren auf Unix-Systemen von Sun, IBM und Mips/Silicon Graphics. Mail Hub ist ein X.400-basierendes Backbone-E-Mail System, in dem der Datentransfer durch das X.500- Directory gesteuert wird. Dieses laesst sich zum einen durch Datenbanksysteme wie Oracle ergaenzen und kann zum anderen proprietaere Verzeichnisdienste etwa von Lotus, Microsoft oder IBM, synchronisieren. Damit koennen Anwender von allen gaengigen Mail- Systemen miteinander kommunizieren - unabhaengig von den dafuer genutzten Loesungen. Die Entscheidung zugunsten X.400 ergab sich zwingend aus den Sicherheitsanforderungen, die Control Data fuer vertrauliche Daten stellt.

Die Implementierung erfuellt ausserdem eine weitere Voraussetzung seitens Control Data: Die eingesetzte E-Mail-Infrastruktur sollte einfach und mit geringem Aufwand zu verwalten sein, da in einem Unternehmen mit 3200 Mitarbeitern nicht ganze Abteilungen mit dem Betrieb des Netzwerks und des E-Mail-Systems, sondern mit Projektgeschaeften befasst sein sollten. Heute wird das gesamte Netzwerk inklusive Mail weltweit von zwei Mitarbeitern in Arden Hills gefahren. Die jeweiligen "Hauptpostaemter" werden zwar von lokalen Administratoren betreut, doch beschaeftigen sich diese nur zu einem kleinen Teil ihrer Zeit mit der Mail-Anwendung.

Eine weitere Anforderung an das interne E-Mail-System war, dass die Infrastruktur den Mitarbeitern keine Zwaenge auferlegen sollte. Die Forderung nach groesstmoeglicher Flexibilitaet ergibt sich schon aus der Tatsache, dass die Ausruestung der Mitarbeiter weitgehend durch deren Aufgabe sowie spezifische Kundenprojekte bestimmt wird und sich dementsprechend haeufig aendern kann. So sind an den Arbeitsplaetzen der Mitarbeiter Rechner mit so unterschiedlichen Betriebssystemen wie Apple OS, Windows, Windows NT, OS/2, LAN Manager, Novell, Banyan sowie unterschiedliche Unix-Derivate zu finden.

X.500-Adressverzeichnis fuer jeden Anwender

Der einzige Arbeitsplatz, den es intern nicht mehr gibt, ist das sogenannte dumme Terminal. Seit 1985 setzt Control Data ausschliesslich intelligente Arbeitsplaetze wie IBM-kompatible PCs, Apple Macintosh und Unix-Workstations ein, die staendig auf dem neuesten Stand gehalten werden. So finden sich innerhalb der deutschen Control Data GmbH kaum noch Rechner mit 386er CPUs. Die Consultants sind mit Compaq-Aero-Subnotebooks ausgestattet und arbeiten von unterwegs oder von ihren "Home offices" aus genauso effizient wie in den Bueros. Insgesamt ist die Anzahl der Clients bei Control Data weltweit hoeher als die der Mitarbeiter!

Zur Zeit werden durch Mail Hub die Systeme Banyan, Vista-Mail, cc:Mail, MS-Mail, Quickmail sowie verschiedene POP-Mailers (zum Beispiel Eudora und Nupop) und verschiedene SMTP-Mailers (Simple Mail Transfer Protocol) eingesetzt. Damit diese Vielfalt nicht zum Chaos fuehrt, nutzt Control Data die X.500-Directory-Technologie als Backbone in allen "Hauptpostaemtern". Im X.500-Verzeichnis ist die gesamte Firmenstruktur abgebildet.

Die X.500-Datenbank enthaelt nicht nur X.400- und Internet- Adressen, sondern auch die Postadresse, die Telefon- und Faxnummer sowie die Organisationseinheit aller ueber E-Mail zu erreichenden Ansprechpartner im Unternehmen. Diese Informationen lassen sich zum Beispiel auch dazu nutzen, dass E-Mails, die laengere Zeit nicht abgerufen wurden, automatisch an den Faxanschluss gesendet werden. Jeder Eintrag kann bei Bedarf um personenbezogene Merkmale ergaenzt werden.

Die "X.500-Datenbank" ist ein System, das eine standortabhaengige Adressenpflege erlaubt. Damit Aenderungen, die im X.500-Verzeichnis vorgenommen werden, nicht in allen Mailing-Systemen nachvollzogen werden muessen, erfolgt ein automatischer Abgleich. Das gilt auch fuer Aenderungen innerhalb der Verzeichnisdienste der PC-Mail- Systeme: Jede Aktualisierung wird dem X.500-Directory mitgeteilt, dort entsprechend nachvollzogen und ist dann sofort weltweit verfuegbar. Fuer den einzelnen Anwender zum Beispiel im Lotus-Mail oeffnet sich damit der gesamte Umfang des weltweiten X.500- Adressverzeichnisses - kaum jemand bei Control Data nimmt noch das gedruckte weltweite Telefonbuch zur Hand. Schneller geht es eben ueber die Eingabe eines Suchkriteriums in der grafischen Benutzeroberflaeche: Die gewuenschte Information erscheint innerhalb weniger Sekunden auf dem Bildschirm.

Die Verteilung der elektronischen Briefe spielt sich nach dem Store-and-forward-Prinzip ab, das heisst, eine Nachricht wird zwischen den einzelnen "Postaemtern" weitertransportiert und erst nach dem Eingang einer Empfangsbestaetigung des "Zielpostamts" vom sendenden "Postamt" geloescht. So geht keine Mitteilung verloren.

Ueber Gateways werden Nachrichten und Faxe an Empfaenger versendet, die nur ueber Internet oder einen privaten Netzwerkbetreiber zu erreichen sind. Weitere Gateways sind sogenannte Pager-Services, die Nachrichten nach dem Modell Europiepser oder Cityruf aufnehmen und weiterleiten. Was die eingehende "Post" betrifft, so kann jeder Teilnehmer festlegen, ob er die Mailbox an seinem lokalen Arbeitsplatz oder im letzten "Postamt" haben moechte. Vor allem Consultants, die viel unterwegs sind oder teilweise von zu Hause aus arbeiten, haben sich fuer die Alternative "postlagernd" entschieden. Auf diese Weise ist es ihnen jederzeit und von jedem Ort der Welt aus moeglich, Mails abzurufen oder zu versenden.

Fuer Anwender elektronischer Post steht ausser Frage, dass E-Mail- Loesungen die Kommunikation vereinfachen, beschleunigen und auch kostenguenstiger machen. Auch bestreitet niemand, dass E-Mail Kommunikation generell offener gestaltet. Doch beschweren sich einige Unternehmen mittlerweile ueber dessen uebermaessigen Einsatz. Die Tatsache, dass jeder seinen Geschaeftsfuehrer "anmailen" oder ihn auf einen Mammutverteiler setzen kann, fuehrt dazu, dass im unguenstigsten Fall pro Person und Tag ueber hundert Mails eingehen.

Eine sehr wichtige Massnahme, um den Informationsfluss zu steuern, war bei Control Data der Aufbau von DV-gestuetzten, optimalen Alternativen fuer Informations- und Kommunikationsbeduerfnisse, die sich zwar alle mit E-Mail erledigen lassen, jedoch nicht erledigt werden sollten. Dazu gehoeren verteilte Datenbanken, in die sich der Anwender mit seinem System genauso einfach einloggen kann wie in das E-Mail-System. Ueber grafische Benutzeroberflaechen ist er in der Lage, auf internes Know-how in Form von Skill Databases, Best Practises und anderes zuzugreifen. So kann beispielsweise ein Projektleiter, der dringend einen Mitarbeiter mit dem Profil "mindestens drei Jahre Erfahrung mit Oracle-Projekten, Branchenkenntnisse im Versicherungswesen, praktikables Russisch" sucht, die Client-Server-basierte Skill Database abfragen, anstatt einen weltweiten Hilferuf per E-Mail abzusenden. Eine weitere Technologie, die zur Informationsverteilung genutzt wird, sind Groupware-Anwendungen auf Basis von Lotus Notes.

Aber auch innerhalb des E-Mail-Systems wurde Vorsorge dafuer getroffen, dass der Informationsfluss ueberschaubar bleibt. So kann der einzelne Empfaenger selbst entscheiden, an welchen Diskussionsforen er teilnehmen oder von welchen Verteilern er gestrichen werden moechte. Dabei ist auch hier kein Administratoreingriff notwendig: Ein E-Mail an den entsprechenden Verteiler genuegt.

Zur Zeit arbeitet das Unternehmen an einem globalen Einsatz von X.435 als Basis fuer EDI. Guenter Weick vom Geschaeftsbereich Client- Server System Integration verweist darauf, dass E-Mail allerdings im Kommunikationsmix gesehen werden muss, "damit die Nutzung nicht ausufert und sich selbst erdrueckt".

*Christian Kvech ist Consultant bei Maisberger & Partner in Muenchen.