Mobilfunk/I-Mode ist kein Erfolgsgarant für die dritte Mobilfunkgeneration

Japan dient als Versuchskaninchen

06.12.2002
Während die Europäer noch über ihren UMTS-Strategien brüten, übt sich Japan bereits an der dritten Mobilfunkgeneration. Aus den Erfahrungen der Netzbetreiber NTT Docomo und KDDI sollten die Provider hierzulande ihre Lehren ziehen. Von Thorsten Wichmann*

Auch in Japan, dem Mekka des Mobilfunks, gelingt nicht alles auf Anhieb. Diesen ersten Eindruck liefert die bislang schwache Akzeptanz von Mobilfunkdiensten der dritten Generation (3G), die der Marktführer NTT Docomo anbietet. Für dessen japanische UMTS-Variante (UMTS = Universal Mobile Telecommunications System) waren bis März 2003 knapp 1,4 Millionen Kunden geplant. Doch nachdem sich bisher nur rund ein Zehntel der anvisierten Teilnehmer für den Dienst interessierte, musste NTT-Docomo seine 3G-Ziele herunterschrauben.

Ein zweiter Blick nach Japan zeigt allerdings, dass sich ein in Europa wenig bekannter, aber ähnlicher Dienst des Docomo-Konkurrenten KDDI sehr gut entwickelt. Der Anbieter konnte bis September bereits mehr als 2,6 Millionen Kunden für seine 3G-Angebote gewinnen, obwohl sie erst seit April zur Verfügung stehen. Von einem Scheitern des Mobilfunks der dritten Generation in Japan kann also keine Rede sein.

Besonders interessant sind diese beiden Fälle, weil hinter ihnen nicht nur Unterschiede in Technologie und Geschäftsmodell stehen, sondern auch divergierende Philosophien in Sachen Übergang von der zweiten auf die dritte Mobilfunkgeneration. Ein Vergleich kann also Hinweise auf Erfolgsfaktoren in Europa liefern.

FOMA (Freedom of Multimedia Access) ist die Marke, unter der NTT Docomo den eigenen 3G-Dienst vertreibt. Die Einführung einer neuen Marke statt der Positionierung des Angebotes unter dem bekannten Namen I-Mode macht schon deutlich, dass der Carrier seine 3G-Services als etwas völlig Neues positionieren wollte. Dieser Wandel spiegelt sich auch in der Technik wider. FOMA nutzt den Standard Wideband Code Division Multiple Access (WCDMA), der auch die Basis für UMTS in Europa bildet.

Diese Technologie ist zu dem bislang von NTT Docomo genutzten Verfahren Personal Digital Cellular (PDC) aber nicht kompatibel. Die derzeit verfügbaren Endgeräte für FOMA funktionieren also nur dort, wo auch eine Abdeckung mit 3G-Diensten besteht. Mit anderen Worten: Der Technologiesprung bereitet dem Betreiber einiges an Problemen. So musste Docomo-Präsident Keiji Tachikawa zugeben, die Komplexität der 3G-Technologie unterschätzt zu haben. Deshalb sind bislang nur zwei von elf angestrebten Lieferanten in der Lage, FOMA-Endgeräte zu liefern. Und auch bei diesen sorgen Hard- und Software für Probleme.

Auf der Suche nach Anwendungen

Ein anderer Aspekt ist, dass der größte japanische Netzbetreiber - ganz im Gegensatz zur seiner I-Mode-Strategie - bei FOMA den Fokus auf Geschäftskunden richtet. Dafür dürften zwei Gründe ausschlaggebend gewesen sein: zum einen die hohen Endgerätepreise, zum anderen die anfänglich auf die Region Tokio begrenzte Netzabdeckung, allerdings mit einer hohen Unternehmensdichte. Ein Großteil der FOMA-Nutzer sind in der Tat Geschäftskunden.

Allerdings scheint NTT Docomo selbst noch auszuloten, wie diese Zielgruppe die neue Technologie nutzen kann. Derzeit laufen Pilotprojekte des Netzbetreibers mit Unternehmen, um sinnvolle 3G-Einsatzfelder zu entwickeln, beispielsweise die Überwachung von Baustellen per Video. Auch der Zugang zum Intranet eines Unternehmens mit hohen Bandbreiten wird bereits angeboten.

Ganz anders verläuft die 3G-Entwicklung beim Konkurrenten KDDI, der auf Evolution statt Revolution gesetzt hat. Das herkömmliche Netz des Anbieters basiert auf dem Standard CDMA-One. Seit April 2002 stehen den Nutzern im Netz aber auch Dienste auf Basis von CDMA2000 1X zur Verfügung, einer abwärtskompatiblen Weiterentwicklung des Standards. Diese Technik erlaubt immerhin einen bis zu 144 Kbit/s schnellen Zugang zum mobilen Internet. Einige Endgeräte mit eingebauter Kamera beherrschen auch die Aufnahme und den Versand von bis zu 15 Sekunden langen Videosequenzen. Zwar entsprechen 144 Kbit/s nicht der vollen UMTS-Bandbreite von 2 Mbit/s, aber mit CDMA2000 1X EV-DO werden 2003 Downstream-Übertragungsraten von bis zu 2,4 Mbit/s möglich sein.

Die Vorteile der Abwärtskompatibilität liegen auf der Hand: Zum einen war für KDDI ein schneller Rollout möglich. So begann der Dienst bereits mit einer Abdeckung von 70 Prozent der japanischen Bevölkerung und soll Ende des Jahres 90 Prozent erreichen. Zum anderen sind Nutzer der neuen Geräte in der Lage, weiterhin auf ihre gewohnten Dienste zuzugreifen und ihre Handys auch dort zu nutzen, wo die neue Technologie noch nicht zur Verfügung steht. Auf diese Weise können die Teilnehmer die zusätzlichen Möglichkeiten austesten und in die Nutzung von 3G-Diensten hineinwachsen.

Nicht zuletzt deshalb entstand in Japan ein regelrechter Run nach Mobiltelefonen mit integrierter Kamera. Nach Schätzungen der Branchenvereinigung JEITA enthielten 30 Prozent der im zweiten Quartal verkauften Handys eine Kamera. Der Übergang vom Schnappschuss zum Video, das per Handy aufgezeichnet und übertragen werden kann, ist also nur ein kleiner Schritt. Viele Kunden - speziell in Japan - dürften die 3G-Telefone daher nicht als etwas völlig Neuartiges ansehen, sondern als Weiterentwicklung eines bekannten Produktes. Damit rückt die Technologie in den Hintergrund und der Kundennutzen in den Vordergrund.

Auf diese Weise werden auch neue Merkmale eingeführt. So haben sich Handys mit GPS-Funktionalität, also der Möglichkeit zur Ortsbestimmung per Satellit, für KDDI als starker Treiber der 3G-Dienste erwiesen. Auf Basis der GPS-Handys wird für Geschäftskunden der Dienst "GPS MAP" angeboten, mit dem Unternehmen ihr Flotten-Management sowie die Disposition von Außendienstmitarbeitern steuern können.

Die Erfahrungen in Japan zeigen dreierlei Dinge: Zunächst einmal wird deutlich, dass 3G eine äußerst komplexe Technologie darstellt. Netzbetreiber scheinen dazu zu neigen, die Probleme und Herausforderungen bei der Einführung neuer Techniken zu unterschätzen. In Europa ist zum Beispiel WAP ein Beleg für diese These. Die Probleme von Docomo mit UMTS sind nur eine weitere Warnung, Visionen nicht mit der technischen Realität zu verwechseln.

Zweitens beweist der Erfolg von KDDI sowie einiger koreanischer Netzbetreiber, wie wichtig ein nahtloser Übergang von der zweiten auf die dritte Generation ist. Er stellt einen wesentlichen Schlüsselfaktor für die Akzeptanz von 3G-Diensten dar. Für UMTS in Europa bedeutet dies, dass auf jeden Fall ein reibungsloses Roaming zwischen UMTS- und GSM-Netzen möglich sein muss. Aber nicht nur das: Auch Mehrwertdienste müssen dieses Roaming beherrschen. Unternehmen mit Marktabdeckung in den wirtschaftlich starken europäischen Ländern sind hier klar im Vorteil.

Ablehnung bei Geschäftskunden

Drittens schließlich macht das Beispiel Japan klar, dass die vermeintlich revolutionären Möglichkeiten der 3G-Technologie für Geschäftskunden kein Grund sind, die Tücken unausgereifter Endgeräte und lückenhafter Abdeckung in Kauf zu nehmen. Eine alleine auf Geschäftskunden zielende Einführungsstrategie ist also problematisch.

Mittlerweile haben die Netzbetreiber in Deutschland eine Reihe von Endkundendiensten, die eine Basis für 3G-Angebote liefern können, beispielsweise E-Plus mit I-Mode, T-Mobile mit dem Portal T-Info oder Vodafone mit Vodafone Live. Eine Quintessenz aus dem Erfolg von KDDI wäre, diese Dienste in Richtung 3G auszubauen.

Alle drei Aspekte zusammengenommen lassen eine langsame Evolution zu UMTS als erfolgversprechende Strategie erscheinen. Die Präferenzen der meisten Geschäftskunden legen auch hierzulande eher unspektakuläre Services nahe, wie eine jüngst von Lucent veröffentlichte Studie belegt. Sie beruht auf Interviews mit über 1500 IT-Managern in den USA und Europa und ergab, dass deren Hauptinteresse an drahtlosen Datendiensten dem mobilen Zugang auf E-Mails und das Intranet gilt. Explizit wird auch gewünscht, umfangreiche E-Mail-Attachments, Präsentationen oder Word-Dokumente unterwegs auf das Notebook laden zu können. Besonders Branchen mit großem Anteil an Außendienstmitarbeitern haben an solchen Lösungen Interesse.

Spezielle Dienste wie diese sind nur sinnvoll, wenn sie tatsächlich in weiten Teilen des Landes zur Verfügung stehen und nicht an der Stadtgrenze enden. Gemessen an den Marketing-Versprechen einer bunten und bewegten UMTS-Zukunft sind das vergleichsweise langweilige Zukunftsszenarien. Aber selbst sie bleiben in Europa bislang weitgehend unbefriedigt. (pg)

*Thorsten Wichmann ist Geschäftsführer der Berlecon Research GmbH in Berlin.

Japanische Lehren

- Zwischen Vision und technischer Realität liegen noch Welten.

- Die offensive Vermarktung nicht ausgereifter Technologien erweist sich als kontraproduktiv.

- Der Übergang von der zweiten auf die dritte Mobilfunkgeneration muss durch ein nahtloses Roaming sichergestellt sein.

- Geschäftskunden tolerieren keine Endgeräte mit technischen Defiziten und keine lückenhafte Netzabdeckung.

- Professionelle Anwendungen sind noch Mangelware.