Hochkonjunktur für Datenrettungsgeschäft

Jahrhundertflut verursacht massive IT-Schäden

23.08.2002
MÜNCHEN (CW) - Land unter: Von der katastrophalen Lage in den Hochwassergebieten von Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt sind neben Hunderttausenden von Privathaushalten auch zahlreiche Unternehmen betroffen. Das Ausmaß der Schäden an TK- und IT-Infrastruktur ist derzeit noch nicht abzuschätzen.

Vor allem der Telefonverkehr ist durch das Hochwasser beeinträchtigt. Nach Mitteilungen der Deutschen Telekom kam es in der vergangenen Woche insbesondere im Raum Chemnitz und Dresden zu Ausfällen des Telekommunikationsnetzes. Etwa 70000 bis 100000 Telekom-Kunden seien von Störungen in TK-Einrichtungen betroffen. Man arbeite derzeit mit Hochdruck daran, Vermittlungsstellen und Kabelverbindungen vor Schäden zu schützen, hieß es. Aufgrund der Evakuierung weiter Landesteile sowie deren eingeschränkter Erreichbarkeit sei eine aktive Entstörung aber nur eingeschränkt möglich.

Neben der TK-Infrastruktur sind auch Einrichtungen wie das Deutsche Forschungsnetz (DFN) der Hochschulen potenziell gefährdet. "Bislang haben wir das Glück, dass zumindest die Infrastruktur der Wissenschaften noch komplett funktioniert", erklärt DFN-Sprecher Kai Hölzner. Als mögliche Ursache für das glimpfliche Davonkommen sieht Hölzner die Hanglage der Universität Dresden, die den DFN-Kernnetzknoten beherbergt. Er kann jedoch nicht ausschließen, dass es in anderen Regionen zu Stromausfällen kommt, so dass ein Teil des DFN-Gigabit-Wissenschaftsnetzes lahm gelegt werden könnte.

Einige größere Rechenzentren waren den Fluten der letzten Tage nicht gewachsen. Unter Wasser steht derzeit die Dresdner Hochschule für Technik und Wirtschaft. Über das Ausmaß der Schäden ist bisher nichts bekannt, denn die TU direkt am Dresdner Bahnhof ist von der Kommunikation mit der Außenwelt abgeschnitten. "Wir hoffen, in den nächsten Tagen mehr zu erfahren", so DFN-Sprecher Hölzner.

Der Datenrettungsbranche beschert das aktuelle Hochwasser gute Geschäfte. Kleine und mittlere Unternehmen, deren Existenz nicht zuletzt durch den drohenden Verlust ihrer Daten auf dem Spiel steht, zeigen reges Interesse. Größere Rechenzentren hingegen gehören - zumindest derzeit - noch nicht zur Klientel der Datenfeuerwehr. "Die gehen umsichtiger mit ihren Daten um, so dass hier schon sehr viel schief gehen müsste", erklärt beispielsweise Enrique Herrera, Manager Data Recovery bei Ontrack. Seit letzter Woche bietet das Unternehmen Hochwasseropfern auf jede Datenrettung einen Rabatt von 20 Prozent. 15 Kunden haben mittlerweile auf das Angebot der Böblinger reagiert. "Die Zahl der Anfragen wird sich noch drastisch erhöhen", vermutet Herrera. Erst jetzt, mit dem Rückzug der Fluten, hätten die Betroffenen Gelegenheit, an ihre Systeme heranzukommen und somit ihre IT-Probleme anzupacken. "Viele Kunden aus Dresden haben um Hilfe gebeten, sind aber derzeit nur per Post erreichbar", schildert der Ontrack-Manager die praktischen Hürden.

Finger weg von beschädigten Datenträgern

Retten lassen sich die Daten laut Ontrack fast immer - vorausgesetzt, sie wurden keiner Amateurbehandlung unterzogen. Bei Datenträgern, die etwa zum Trocknen auf die Heizung gelegt, gefönt oder gar gefriergetrocknet wurden, sinken die Chancen auf eine Wiederherstellung nach Angaben der Spezialisten dramatisch. Kerstin Fechner, Marketing-Leiterin des Hamburger Datenretters Ibas, empfiehlt daher, durchnässte Platten oder Bänder umgehend in eine Plastiktüte zu stecken, mit dem Staubsauger so viel Luft wie möglich zu entfernen und das Ganze mittels Klebeband luftdicht zu verpacken. Wichtig ist es laut Fechner, den Korrosionsprozess aufzuhalten und die im Zuge der Trocknung einsetzenden schädlichen chemischen Reaktionen zu verhindern. Ibas zählt mittlerweile 21 Hochwasserkunden und geht wie die Kollegen von Ontrack von einem deutlichen Nachfrageanstieg in den kommenden Tagen aus. Denn erst wenn das Wasser sinke, lasse sich das Gros der Datenträger aus dem Schlamm bergen, erläutert Fechner. Eine ganze Reihe von Anfragen habe sich allerdings bereits von selbst erledigt: Für viele Hilfesuchende aus dem Osten, die derzeit vor den Trümmern ihrer Existenz stünden, sei es unmöglich, die Kosten für die nach Aufwand berechnete Datenrettung zu tragen, erklärt die Ibas-Marketing-Leiterin. Für die Rettung einer Festplatte verlangen die Hamburger, die Flutgeschädigten mittlerweile die Analysekostenpauschale von 260 Euro erlassen, zwischen 3000 und 6000 Euro. Derzeit suche man nach einer Möglichkeit, dass die Regierung zahlungsunfähigen Kunden diesbezüglich finanziell unter die Arme greife, so Fechner.

Über die zu erwartende Größenordnung der Hilferufe können die Datenrettungsspezialisten zurzeit noch keine Angaben machen. "Bei einem US-amerikanischen Anbieter wurden in einem ähnlich gelagerten Fall innerhalb von drei Wochen 500 Platten eingeliefert", versucht Ontrack-Manager Herrera eine Einschätzung. Darüber hinaus müssten die Betroffenen neben ihren nassen Datenträgern auch ihre Backups - falls vorhanden - mit einschicken. Denn anders als bei anderen Szenarien, in denen der Kunde das Backup selbst einspielen kann, steckten hier ja meist die Systeme selbst im Schlamm. (kf)