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Jahr 2000 - Viel Lärm um nichts!?

03.01.2000
Deutsche Anwender signalisieren vorerst Entwarnung

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Selbst absolute Optimisten hatten wohl nicht mit einem derart problemlosen Übergang ins Jahr 2000 gerechnet, wie ihn der Ticker der Agentur "dpa" seit den Mittagsstunden des Silvestertages dokumentierte. Während die magische Datumsgrenze Zeitzone um Zeitzone auf Deutschland zukroch, meldeten die bereits ins neue Jahr gerutschten Länder ausnahmslos eine nahezu reibungslose Umstellung.

Wer Pannen im Katastrophenreaktor von Tschernobyl (oder anderen baugleichen AKWs), den versehentlichen Abschuß von Nuklearraketen oder ein sonstwie geartetes Ende der Menschheit befürchtet hatte, konnte erleichtert aufatmen: Überall auf der Welt blieb die zentrale Infrastruktur in Gang.

Auch in deutschen Landen gab es keine nennenswerten Y2K-Pannen, als die Uhren auf den 1. Januar 2000 umsprangen. Bereits am Morgen des Neujahrstages konnten die beiden Staatssekretäre Brigitte Zypries (Innenministerium) und Alfred Tacke (Wirtschaftsministerium) öffentlich Entwarnung geben. Energieversorger, TK-Anbieter, Banken und Versicherungen, Bundesbahn oder die Chemische Industrie - alle kamen sicher über die Millenniums-Schwelle. Einige Zitate aus deutschen Unternehmen: "Bei uns läuft alles." (Ulrich Lissek, Deutsche Telekom) - "Es gab überhaupt keine Probleme" (Christian Klick, Lufthansa) - "Es wird uns fast schon langweilig" (Gisela Hawickhorst, Commerzbank) - "Nicht mal die Lampen haben geflackert" (Sprecher des AKW Neckarwestheim) - "Wir hatten in der Nacht einen einzigen Anruf in unserem Call-Center, um den sich dann 83 Mitarbeiter fast geprügelt haben" (Kurt Braatz, Microsoft GmbH).

Auch was im nachhinein an weltweiten Pannen bekannt wurde, vermag das gemeinhin rosige Bild kaum zu trüben:

In den USA gab es in sieben zivil genutzten Atomreaktoren kurzfristige Probleme, teils mit der Zugangskontrolle, teils bei der Verarbeitung von Wetterdaten.

Ebenfalls in den Vereinigten Staaten trat in einer Bodenstation für die Steuerung von Spionagesatelliten ein Fehler auf. Die Trabanten blieben dabei aber jederzeit unter Kontrolle.

In einem japanischen Atommeiler fiel das von NEC hergestellte Kontrollsystem zur Überwachung des Strahlenniveaus aus, auch in anderen Kraftwerken gab es geringfügige Fehlfunktionen. Alle Probleme wurden rasch beseitigt und beeinträchtigten den Betrieb der Meiler nicht.

Drei EKG-Geräte vom Typ "ST-Guard" (Hersteller: GE Marquette) in schwedischen Krankenhäusern versagten ihren Dienst. Dies hatte zwar keine Probleme für Patienten, dafür aber erhebliche Zusatzarbeit für das Personal zur Folge.

Richtig "erwischt" hatte es offenbar einzig die kleine westafrikanische Nation Gambia. Dort brach in der Silvesternacht die Stromversorgung zusammen; Flug- und Seeverkehr wurden in der Folge stark beeinträchtigt.

War also der ganze Rummel um das Jahr 2000 völlig übertrieben? Diese Frage, die sich nun viele Menschen stellen, beantwortet Frank Sempert von der Initiative 2000 mit einem klaren Nein: "Alle, die in den vergangenen Wochen an diesem Problem gearbeitet haben, wissen genau, welche gravierenden Fehler aufgetreten wären, wenn man nichts getan hätte." Andy Kyte von der Gartner Group, im Vorfeld einer der größten Warner vor den Folgen des Problems 2000, pflichtet bei: "Wenn wir nicht diesen Aufwand getrieben hätten, wäre das Chaos ausgebrochen", meint der Analyst. "Wir hätten ernsthafte Zusammenbrüche in wichtigen Computersystemen im öffentlichen und privaten Bereich erlebt, die zu massiven Störungen im politischen, sozialen und wirtschaftlichen Leben geführt hätten."

Ohnehin bleibt abzuwarten, was nach den ersten Arbeitstagen im neuen Jahr geschieht, wenn viele Systeme ihren Produktionsbetrieb wieder aufnehmen. "Es gibt noch etliche Probleme, die bislang nicht entdeckt worden sind. Da gibt es noch etwas Durcheinander", befürchtet etwa Microsoft-Chef Bill Gates - ein Mann, der es eigentlich wissen muss. Auch Günter Ennen, Jahr-2000-Experte beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), rät derweil noch zur Vorsicht. In kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie Arztpraxen könne man frühestens nach dem ersten Werktag am 3. Januar eine Aussage machen. Zudem müsse man den Bereich der Großrechner im Auge behalten, die in Wochen- oder Monatsabschnitten produzierten.

Außerdem warnte Ennen gleich vorm nächsten kritischen Datum: Der Schalttag 29. Februar sei, wie man im Zuge der Jahr-2000-Anpassung festgestellt habe, in vielen Systemen nicht berücksichtigt worden. Dadurch könne die Zuordnung von Datum zu Wochentag "außer Tritt" geraten, was sich aber "leicht überprüfen und nachkorrigieren" lasse. Bei der Deutschen Telekom seien beispielsweise in diesem Bereich mehr Fehler festgestellt worden als beim Datumssprung zu 2000.

Anwenderstimmen von heute

Auch am ersten Produktionstag läuft offensichtlich alles glatt - zumindest wenn man den Anwendern glaubt, die die COMPUTERWOCHE stichprobenartig befragt hat.

"Bei uns läuft alles nach Plan", meldet der Daimler-Chrysler-Konzern. Nach Investitionen von rund 391 Millionen Mark weltweit ist am Montag morgen die Fertigung reibungslos angelaufen. Allerdings sind nach den Weihnachtsferien noch nicht alle Standorte aktiv. So beginnt in Rastatt und Sindelfingen die Arbeit erst eine Woche später.

Bei der BMW AG haben schon am Neujahrsmorgen 800 Mitarbeiter die Systeme wieder hochgefahren. Unter ihnen war Gerhard Schürmann, der als Projektleiter für den Teilekatalog zuständig war. Diese Anwendung war nach zwei Stunden wieder voll einsatzfähig. Die Aufenwendungen von rund 300 Millionen Mark für die Datumsumstellung haben sich für BMW ausgezahlt und die Notfallpläne konnten ad acta gelegt werden.

Auch der Siemens-Konzern hat den Jahreswechsel schadlos überstanden. Nachdem die Fertigung wieder begonnen hat und die Büros wieder besetzt sind, resümiert Unternehmenssprecherin Angelika Böttcher: "Der Übergang ist bisher sehr erfolgreich verlaufen und es sollte eigentlich auch in den nächsten Tagen zu keinen größeren Problemen kommen."

An der Münchner Börse sind Händler und DV-Techniker glücklich. Zwar sei es am Montagmorgen zu einem kleinen Problem gekommen, das allerdings nichts mit der Datumsumstellung zu tun gehabt habe. Der Handel konnte pünktlich um neun Uhr beginnen und führte den Dax auch gleich zu Rekordwerten über 7000 Punkte. Die Börsianer in München und Frankfurt machen dafür auch die Erleichterung über die problemlose Bewältigung des Jahr-2000-Wechsels verantwortlich.

Einen problemlosen Start ins neue Jahrtausend meldete auch die Rechenzentrale Bayerischer Genossenschaften eG. Dort war schon 1996 mit den Vorbereitungen auf die Datumsumstellung begonnen worden.

Ähnlich zuverlässig scheinen auch die Rechenzentren der Sparkassen gearbeitet zu haben. Das zumindest ergaben Stichproben bei den Stadtsparkassen München und Fürstenfeldbruck, die ihr Geschäft am Montag reibungslos aufnehmen konnten.

"Wider Erwarten ist bisher alles reibungslos verlaufen", staunt ein IT-Mitarbeiter der Allgemeinen Ortskrankenkasse AOK, der nicht namentlich genannt werden möchte. Für eine völlige Entwarung sei es allerdings noch zu früh, da es noch einige Programme gebe, die nur einmal im Quartal gestartet würden.

"Im Bereich Software muß sich noch zeigen, daß alles glatt gegangen ist", gibt sich Reiner Winter vom Stromversorger Fränkisches Überlandwerk AG vorsichtig. Auf dem ein oder anderen Mainframe könnten noch selten gebrauchte Programme laufen, die der Aufmerksamkeit des Jahr-2000-Teams entgangen sind. Generell kann der für Netzdesign und Server zuständige DV-Spezialist jedoch zufrieden sein. Weder bei der Stromversorgung noch bei der Bürokommunikation ist es nach dem Jahreswechsel zu Ausfällen gekommen.

Nahezu beschäftigungslos war beim Dienstleister Debis IT Security Services der für Kunden eingerichtetete Krisenstab. Laut Geschäftsführer Franz-Peter Heider gab es bis zum 3. Januar keinen Anruf.

Bei der Würth IT International GmbH kam es zu keinen geschäftskritischen Ausfällen. Nach Auskunft von Martin Lösch, Leiter des Krisenstabs Y2K, haben lediglich ein paar Festplatten den Dienst versagt.

Ein indirektes Jahr-2000-Problem meldete die Fraunhofer-Gesellschaft. Dort wurde für den Datumswechsel der BS2000-Server von Siemens gegen das neuere Modell "RS2000" ausgewechselt, dessen Lieferung auf sich warten ließ. Er traf dann aber doch noch rechtzeitig ein. Ansonsten gab es dort keine Probleme. Selbst die alten Platten ließen sich, wie vorher getestet, an den neuen Rechner anschließen.

Im Klinikum Großhadern gab es laut Ulrich Dahmann, Leiter Organisation und Informationstechnik bei der Ludwig-Maximilians-Universität München, keine Probleme. Der für die Bewältigung des Datumswechsels in den Universitätskliniken München-Großhadern und das Innenstadt zuständige IT-Spezialist hat sich bezüglich der medizintechnischen Geräte nicht auf die Aussagen der Hersteller verlassen, sondern bei allem, was mit dem Schutz und der Rettung von Menschenleben zu tun hat, ausführliche Tests vorgenommen: "Das hat sich bewährt, so ist die Nacht reibungslos verlaufen. Wir fühlen uns auch auf der sicheren Seite, was die nächsten Wochen betrifft."

Was die Lage der Krankenhäuser generell anbelangt, relativiert Manfred Kindler, Sonderbeauftragter des Fachverbandes biomedizinische Technik e.V., die Erfolgsmeldungen. Zwar seien noch keine Probleme gemeldet worden, aber viele Stationen seien geschlossen gewesen und Krankenhäuser hätten sich zum Jahreswechsel auf Notfallbetrieb beschränkt (Umfrage erfolgte am 3. Januar 2000, Anmerkung der Redaktion). Kindler: "Überraschenderweise haben wir nirgendwo einen Ausfall von Embedded Systems gemeldet bekommen. In den nächsten Tagen, wenn es darum geht, die Schadensersatzansprüche mit Herstellern auszuhandeln, könnte sich das ändern." Außerdem werde man erst in den nächsten Tagen beurteilen können, wie es in den Anwendungsprogrammen aussieht. Da erwartet Kindler noch einige Probleme, insbesondere bei der Buchhaltungssoftware und der Laborautomatik.