DV und Recht/Ein Leitfaden zur systematischen Prävention

Jahr 2000 - Haftung und Gewährleistung

18.06.1999
Knapp 5000 Stunden vor der Jahrtausendwende wächst in der Bevölkerung und den Medien das Bewußtsein für das Jahr-2000-Problem und seine Schadens- und Haftungsrisiken. Thomas Mahlich* erläutert die rechtlichen Bedingungen und beschäftigt sich mit Fragen des Risiko-Managements in den betroffenen Unternehmen.

Der technische Hintergrund ist mittlerweile bekannt: Entgegen der seit 1988 geltenden internationalen Industrienorm ISO 8601 werden in vielen Softwareprogrammen Kalenderjahre nicht mit vier, sondern nur mit zwei Ziffern angegeben. Als Folge kann es nach dem 31. Dezember 1999 zu fehlerhaften Berechnungen von Jahresdaten kommen, was wiederum zu falscher Datensortierung, Datenübernahme und sogar zum Systemabsturz führen kann. Betroffen sind auch Hardware und sogenannte Embedded Systems, bei denen die Software in die Hardware integriert ist.

Wie Anwender auf Fehler reagieren können

Der Erwerb von Standardsoftware und -systemen wird rechtlich als Kauf gesehen, das heißt es wird ein Kaufvertrag abgeschlossen. Ist das Produkt fehlerhaft, weicht sein Ist-Zustand demnach von der vertraglich vereinbarten Soll-Beschaffenheit ab. Wird dadurch sein Wert oder Gebrauchszweck erheblich beeinträchtigt, haftet der Verkäufer grundsätzlich innerhalb der gesetzlichen Gewährleistungsfrist von sechs Monaten. Der Kunde kann verlangen, daß der Kaufvertrag rückgängig gemacht (Wandelung) oder der Kaufpreis herabgesetzt wird (Minderung).

Für die Frage der Fehlerhaftigkeit von Software ist die vertraglich vorausgesetzte Nutzungsdauer entscheidend. Es gibt Programme, die von vornherein darauf ausgelegt sind, ihre Funktionalität ständig zu verändern. So kann etwa der Käufer einer Antivirensoftware nicht ernsthaft erwarten, daß seine 1997 erworbene Version bis in das Jahr 2000 vorgedacht ist. Da immer wieder neue Viren auftreten, muß auch das Programm ständig angepaßt werden. Dies wird den Parteien bei Vertragsschluß in der Regel auch klar sein.

Fehlt der Kaufsache eine bei Vertragsschluß ausdrücklich oder stillschweigend zugesicherte Eigenschaft, kann der Käufer statt Wandelung oder Minderung auch Schadensersatz verlangen, weil der gesamte Vertrag nicht erfüllt wurde. Auch insoweit gilt der sechsmonatige Gewährleistungszeitraum.

Durch die kurze Verjährungsfrist dürften Gewährleistungsansprüche gerade bei den problematischen Altsoftwarefällen heute bereits nicht mehr gestellt werden können. Die Verjährung beginnt mit Ablieferung der Kaufsache. Nach neuerer Rechtsprechung soll sie jedoch erst beginnen, wenn der Käufer die zum Betrieb des Programms notwendigen Daten eingegeben hat und dieses im wesentlichen störungsfrei gelaufen ist oder alle wesentlichen Teile der Software übergeben und sämtliche vertraglichen Nebenpflichten erfüllt wurden. Dies kann den Beginn der Verjährung im Einzelfall deutlich hinauszögern.

Wußte der Hersteller, daß die verkaufte Sache nicht Jahr-2000-fest ist und hat er seinen Kunden nicht darüber aufgeklärt, haftet er wegen Arglist. Dann beträgt die Verjährungsfrist grundsätzlich 30 Jahre. Allerdings wird es für den Benutzer schwer sein, dem Anbieter zu beweisen, daß er den Mangel tatsächlich kannte. Auch wird man erst mit der vermehrten Berichterstattung über das Jahr-2000-Problem - zirka ab 1995/96 - überhaupt von einer entsprechenden Kenntnis ausgehen können.

Ein Werkvertrag liegt vor, wenn Systeme oder Software für den Verwender individualisiert oder hergestellt werden. Der Besteller kann ein mangelfreies Werk verlangen. Er hat die Möglichkeit, dem Anbieter eine angemessene Frist zur Fehlerkorrektur zu setzen und dabei zu erklären, daß er nach Fristablauf die Beseitigung des Mangels ablehne.

Nach Fristablauf hat der Anwender Anspruch auf Wandelung oder Minderung des Vertrags. Hat der Anbieter den Mangel des Werks zu vertreten, kann der Besteller auch Schadensersatz wegen Nichterfüllung geltend machen. Die gesetzliche Verjährungsfrist für werkvertragliche Gewährleistungsansprüche beginnt mit der Abnahme und beträgt wie im Kaufrecht sechs Monate.

Der Anbieter muß eventuell auch wegen positiver Vertragsverletzung (pVV) auf Schadensersatz haften. Das ist der Fall, wenn er schuldhaft Nebenpflichten - dazu zählen Beratungs-, Informations-, Schutz- und Obhutspflichten - verletzt, die ihm aus dem Kauf- oder Werkvertrag obliegen. Für Inhalt und Umfang solcher vertraglicher Nebenpflichten kommt es grundsätzlich auf das sogenannte Wissensgefälle zwischen den Vertragsparteien an.

Erlangt der Verkäufer nach Vertragsschluß Kenntnis von einem Jahr-2000-Problem bei der entsprechenden Software, ist er verpflichtet, den Käufer sofort darüber zu informieren. Das Vertrauen, das ihm der Kunde entgegengebracht hat, setzt den Anbieter in die Pflicht, seinen Vertragspartner vor Schäden zu bewahren, die aus der Benutzung seiner Software entstehen können.

Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung verjähren grundsätzlich erst nach 30 Jahren. Im Kaufrecht ist diese Frist aber entsprechend der dort geltenden kurzen Gewährleistungsfrist auf sechs Monate reduziert. Im Werkvertrag wird bezüglich der Verjährung nach der Art des eingetretenen Schadens unterschieden. Bei Mangel- und sogenannten engen Mangelfolgeschäden verjähren die Ansprüche aus pVV nach sechs Monaten. Ansprüche wegen entfernter Mangelfolgeschäden verjähren nach 30 Jahren.

Eine Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten vor Vertragsschluß kann zur Haftung des Anbieters nach den Grundsätzen über das Verschulden bei Vertragsschluß (culpa in contrahendo "cic") führen. Danach ist der Anwender so zu stellen, als ob ihn der Hersteller wirksam aufgeklärt hätte - was die hypothetische Frage aufwirft, wie sich der Käufer bei entsprechender Aufklärung verhalten hätte und ob der eingetretene Schaden trotzdem entstanden wäre.

Bezüglich der Verjährung gilt das zuvor Gesagte. Obwohl Ansprüche wegen "cic" grundsätzlich erst nach 30 Jahren verjähren, gelten im Kauf- und Werkvertragsrecht regelmäßig die kurzen sechsmonatigen Verjährungsfristen.

Sind gemietete Systeme und Software fehlerbehaftet, kann der Mieter zunächst die Beseitigung des Mangels verlangen. Den Mietzins kann er mindern oder sogar ganz einbehalten, wenn die Tauglichkeit der Mietsache gemindert oder aufgehoben wird. Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Mietvertrags kann der Nutzer dann verlangen, wenn der Mangel bereits bei Vertragsschluß vorhanden war oder später infolge eines Umstands entstand, den der Vermieter zu vertreten hat.

Auch wenn der Vermieter mit der Beseitigung des Mangels in Verzug gerät, läßt sich Schadensersatz einklagen. Im letzteren Fall kann der Kunde auch den Mangel der Mietsache selbst beseitigen (lassen) und Ersatz der dafür erforderlichen Aufwendungen fordern. Auch die Kündigung des Mietvertrags ist möglich, wenn der Verwender zuvor eine entsprechende Frist gesetzt hat.

Regelfall: Umstellung gehört zur Wartung

Wartungsverträge für Software enthalten üblicherweise die Verpflichtung des Wartungsanbieters, die betreffende Software an veränderte rechtliche oder tatsächliche Rahmenbedingungen anzupassen. Damit ist er auch vertraglich verpflichtet, aufgetretene Jahr-2000-Probleme zu beseitigen. Werden diese nicht erkannt oder übersehen, kommt eine Haftung wegen Verletzung vertraglicher Nebenpflichten (pVV) in Betracht.

Ob das Softwarehaus die Möglichkeit hat, sich wegen des Jahr-2000-Problems "aus wichtigem Grund" aus dem Vertrag zu lösen, muß im Einzelfall entschieden werden. Hier gilt es vor allem, taktischen Kündigungen vorzubeugen, die allerdings auch nach den allgemeinen Grundsätzen über Treu und Glauben unwirksam sein könnten.

Nach herrschender Meinung sind Computerprogramme Produkte im Sinne des Produkthaftungsgesetzes. Sind sie fehlerhaft, liegt also ein Konstruktions-, Fabrikations- oder Instruktionsfehler vor, haftet der Hersteller verschuldensunabhängig für das Inverkehrbringen dieses Produkts.

Die Schadensersatzpflicht beschränkt sich im wesentlichen auf Personenschäden. Sachschäden werden nur ersetzt, wenn eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt selbst beschädigt wird, die gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt sein muß. Reine Vermögensschäden oder immaterielle Schäden sind nach dem Produkthaftungsgesetz nicht erstattungsfähig. Bei Personenschäden beträgt der Haftungshöchstbetrag 160 Millionen Mark.

Hersteller müssen ihre Produkte prüfen

Ansprüche nach dem Produkthaftungsgesetz verjähren drei Jahre nach dem Zeitpunkt, zu dem der Verletzte von dem Schaden, dem Fehler und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen. Die Ansprüche erlöschen in jedem Fall zehn Jahre nach Inverkehrbringen des fehlerhaften Produkts, es sei denn, über den Anspruch ist bereits ein Rechtsstreit anhängig.

Im Deliktsrecht besteht eine Schadensersatzpflicht, wenn der Hersteller schuldhaft seine Pflichten verletzt und sich dadurch Schäden an bestimmten Rechtsgütern ergeben (Produzentenhaftung). Hier kommt insbesondere eine Verletzung der Konstruktionspflicht in Betracht, wenn der Stand der Technik außer acht gelassen und in- und ausländische technische Normen sowie neueste wissenschaftliche Erkenntnisse nicht berücksichtigt wurden.

Besondere Bedeutung kommt auch der Produktbeobachtungs-Pflicht zu, die dem Hersteller auferlegt, die von ihm in den Verkehr gebrachten Produkte auf ihre Jahr-2000-Festigkeit zu überprüfen. Drohende Schäden führen zur Warnpflicht des Herstellers, der zur Risikovermeidung sogar zum Rückruf der Produkte verpflichtet sein kann. Deliktische Ansprüche verjähren ebenfalls drei Jahre ab positiver Kenntnis des Verletzten vom Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen.

Unternehmen, die Systeme und Software verwenden, aber auch Anbieter müssen spätestens jetzt feststellen, ob und in welchem Umfang sie vom Jahr-2000-Problem betroffen sind und wie sie potentielle Haftung und Schäden vermeiden können. Für die Geschäftsleitungen besteht insoweit eine teilweise gesetzlich normierte Pflicht, "geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden". Bei pflichtwidrigem Handeln droht den Geschäftsleitern eine persönliche Haftung.

Das Jahr 2000-Risiko-Management gliedert sich in drei Abschnitte:

1. Risikoerkennung durch Bestandsaufnahme der im Unternehmen vorhandenen Systeme mit Datumsfunktionalität.

Außerdem sind bestehende Lieferanten- und Kundenbeziehungen auf potentielle Jahr-2000-Probleme hin zu untersuchen.

2. Risikoanalyse: Die tatsächlich bestehenden Jahr-2000-Probleme sind zu ermitteln, ebenso der Zeitpunkt ihres voraussichtlich erstmaligen Auftretens. Hier müssen auch die Folgen von Jahr-2000-Problemen bei Kunden und Lieferanten sowie potentielle Haftungsrisiken des eigenen Unternehmens untersucht werden.

3. Risikosteuerung: Um die Probleme zu bewältigen und die Risiken zu minimieren, müssen geeignete Maßnahmen festgelegt und eingeleitet werden.

Im Rahmen ihres Risiko-Managements fordern Unternehmen von ihren Vertragspartnern zunehmend Garantie- oder Gewährleistungserklärungen. Sie sollen die Jahr-2000-Festigkeit der von diesen verwendeten oder hergestellten Systeme und Softwarelösungen sicherstellen. Die Abgabe einer solchen Erklärung kann für das betroffene Unternehmen schwerwiegende Konsequenzen haben.

Werden Softwarehersteller von ihren Kunden zur Abgabe von Kompatibilitätserklärungen aufgefordert, wird ihre Antwort davon abhängen, ob die Gewährleistungsfrist bereits abgelaufen ist. Ist dies nicht der Fall, kann eine Stellungnahme des Herstellers, er werde sich mit dem Problem auseinandersetzen, zu einer Hemmung der Verjährungsfrist führen. Hersteller sollten sich auch darüber im klaren sein, daß Kunden die Gewährleistungsfrist unterbrechen können, indem sie eine Klageschrift einreichen oder einselbständiges Beweisverfahren einleiten.

Ist die Gewährleistungsfrist bereits abgelaufen, wird der Hersteller jede Erklärung vermeiden, die als eine neue oder selbständige Garantieerklärung ausgelegt werden könnte. Anbieter, die ihre Kunden von möglichen Risiken im Zusammenhang mit dem Jahr-2000-Problem informieren, müssen ebenfalls wissen, ob die Gewährleistungsfrist bereits abgelaufen ist. Entsprechende Briefe sollten aus Herstellersicht nicht dahin ausgelegt werden können, daß sie eine eigenständige Haftungserklärung enthalten. Ist die Gewährleistungsfrist noch nicht abgelaufen, sollten entsprechende Erklärungen vermieden werden.

Angeklickt

Wegen fehlerhafter Software können Anwender je nach vertraglicher Grundlage die Wandelung des Kaufvertrags oder eine Reduzierung des Kaufpreises verlangen. Wird seitens des Anbieters gegen einen Vertragsbestandteil verstoßen, ist möglicherweise Schadensersatz fällig. Arglistige Täuschung liegt vor, wenn der Anbieter weiß, daß seine Software nicht Jahr-2000-fähig ist, der Kunde aber nicht informiert wird.

*Thomas Mahlich ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Jones, Day, Reavis & Pogue in Frankfurt am Main.