Jacke wie Hose

15.03.1996

Christoph Witte

Wer bestimmt, was In und was Out ist? Trendforscher? Der Markt? Reklame? Niemand weiss so richtig, was ein Thema in die Schlagzeilen bringt oder warum Jeans mit Schlag ploetzlich wieder getragen werden. Wie durch ein Wunder redet ploetzlich jeder uebers Waldsterben, Klimakatastrophe oder den Standort Deutschland, und alle tragen dabei die gleichen Hosen.

Natuerlich laufen immer nur die anderen einem Trend hinterher. In der DV kommt das nicht vor. Hier wird ueberlegt, evaluiert und getestet, bevor Entscheidungen - etwa fuer ein Betriebssystem - fallen. Schliesslich hat die gewaehlte Plattform Auswirkungen auf Applikationen und Hardware.

Wenn aber im IT-Umfeld bewusst entschieden wird, wie laesst sich dann erklaeren, dass Marktforscher und Hersteller in seltener Eintracht postulieren, dass Windows NT 1996 das Server-Betriebssystem mit den groessten Zuwachsraten sein wird?

Zur Zeit liegt der Marktanteil des NT Servers weit hinter Novells Netware, das vor allem dank seiner Eigenschaften als File- und Print-Server Marktfuehrer bei den Netzwerk-Betriebssystemen ist. Auch im Sektor Applikations-Server nimmt NT keinen vorderen Rang ein. Hier dominiert besonders in grossen Netzen Unix.

Weil viele Soft- und Hardware-Anbieter heftigst in die Microsoft- Technik investieren, stellen sie nur die Vorteile von Windows NT heraus. So taugt das Betriebssystem im Gegensatz zu Netware nicht nur als Print- und File-, sondern auch als Applikations-Server (siehe Seite 29). Ausserdem verlangt es - anders als Unix - auf den ersten Blick keine teure Hardware. Es funktioniert sowohl mit Intel-basierten Rechnern als auch mit RISC-Prozessoren. Auf der anderen Seite bekommt Microsoft inzwischen Schuetzenhilfe von Anbietern unternehmensweiter Applikationen. Allen voran SAP, die R/3 fuer NT anbietet.

Die Nachteile von NT als Server-Betriebssystem werden dagegen vernachlaessigt. Es ist zum Beispiel nur bedingt skalierbar. Zur Zeit, so erklaeren unabhaengige Experten, falle die Leistung des Betriebssystems bei mehr als vier Prozessoren dramatisch ab. Hier muessen Anwender sich mit Microsofts Versprechen begnuegen, die Skalierbarkeit bis zum Sommer dieses Jahres zu verbessern. Ebenfalls heftig diskutiert wird, ob sich das Domain-Konzept, mit dem unter NT Netzwerkressourcen und Clients verwaltet werden, fuer grosse Netze eignet.

Die Zuwachsraten, die dem Microsoft-System vorhergesagt werden, lassen allerdings befuerchten, dass die DV-Entscheider die Schwaechen zugunsten einer auf Client- und Server-Seite "standardisierten" Plattform vernachlaessigen. Von daher passt es ins Bild, wenn die meisten NT-Anwender die Wahl des Server-Betriebssystems mit der eingesetzen Client-Software begruenden: Windows eben. Eine so vereinheitlichte DV-Umgebung erleichtert den Windows-Kennern zweifelsohne das Leben. Die immense Abhaengigkeit von einem Anbieter juckt anscheinend - SAA laesst gruessen - wieder einmal niemanden. Warum auch? Ein Trend ist ein Trend ist ein Trend. Kaufen wir uns im naechsten Jahr einfach andere Hosen. Schoen, wenn die Welt so einfach waere.