Bitkom-Umfrage zur CeBIT

ITK-Anbieter setzen große Hoffnungen auf Industrie 4.0

16.03.2015
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Deutsche ITK-Anbieter arbeiten mit Hochdruck an Industrie-4.0-Lösungen und setzen große Hoffnungen in den neuen Geschäftszweig, hat eine Umfrage des Bitkom ergeben. Allerdings klagt die Branche auch über noch zögerliche Anwender und mangelnde öffentliche Förderung.

Fast jeder dritte ITK-Anbieter hierzulande hat bereits Dienstleistungen beziehungsweise Produkte für Industrie-4-0-Szenarien im Programm, ein weiteres Drittel stecke derzeit in entsprechenden Planungen. Das ergab eine vom Branchenverband Bitkom beauftragte Umfrage unter 318 Mitgliedsunternehmen. Anlässlich einer vergleichbaren Befragung vor zwei Jahren hatte lediglich jedes vierte Unternehmen angegeben, bereits Lösungen entwickelt zu haben beziehungsweise gerade daran zu arbeiten. "Vor gerade einmal zwei Jahren war Industrie 4.0 für viele Unternehmen noch eine Zukunftsvision, sagte Martina Koederitz, Mitglied im Bitkom-Präsidium, "jetzt ist das Thema im Geschäftsalltag angekommen".

Martina Koederitz: "Industrie 4.0 ist auf einem guten Weg, aber es gibt keinen Grund, sich auf dem Erreichten auszuruhen."
Martina Koederitz: "Industrie 4.0 ist auf einem guten Weg, aber es gibt keinen Grund, sich auf dem Erreichten auszuruhen."
Foto: IBM

Der Erwartungen der Branche an das künftige Geschäft mit Industrie- und Fertigungsunternehmen sind hoch. Fast drei von vier ITK-Anbieter gaben an, dass Kunden aus der Industrie beziehungsweise dem verarbeitenden Gewerbe wichtig (17 Prozent) beziehungsweise sehr wichtig (55 Prozent) sind. Für vier von zehn ITK Anbietern ist Industrie 4.0 bereits heute ein wichtiges Geschäftsfeld. Fast alle anderen gehen davon aus, dass diese innerhalb der kommenden vier Jahre so sein wird. Koederitz bezifferte die bis 2015 im Rahmen von Industrie 4.0 zu erzielenden Produktivitätssteigerungen in zentralen Branchen wie dem Maschinen- und Anlagenbau, der Elektrotechnik und der chemischen Industrie auf 78,5 Milliarden Euro. Dazu könnten ITK-Anbieter einen wichtigen Beitrag leisten.

Industrie 4.0 ändert alles

Insgesamt ziehen die Bitkom-Verantwortlichen in Sachen Industrie 4.0 eine positive Zwischenbilanz. Was für viele Unternehmen vor zwei Jahren noch eine Zukunftsvision war, sei jetzt im Geschäftsalltag angekommen, die grundsätzliche Bedeutung unumstritten, sagte Koederitz, mahnte jedoch im gleichen Atemzug. "Industrie 4.0 ist auf einem guten Weg, aber es gibt keinen Grund, sich auf dem Erreichten auszuruhen." Industrie 4.0 sei heute längst keine reine Wirtschaftsangelegenheit mehr und habe längst alle gesellschaftlichen Bereiche erfasst. "Industrie 4.0 verändert die Art, wie wir arbeiten, Industrie 4.0 erfordert neue Bildungskonzepte, Industrie 4.0 braucht, kurzum: einen breiten gesellschaftlichen und politischen Dialog."

Die bevorstehenden Herausforderungen seien weiterhin groß, konstatierte die Bitkom-Vertreterin. Koederitz verwies darauf, dass aus Sicht der ITK-Anbieter (59 Prozent) viele Fertigungsunternehmen zu zögerlich an die Umsetzung von Industrie-4.0-Szenarien herangingen. Drüber hinaus fehle es an ausgebildeten Fachkräften, sagen 82 Prozent der befragten Anbieter. Und gut neun von zehn ITK-Unternehmen bemängeln eine unzureichende öffentliche Förderung.

Forderung nach Ausbildung von Fachkräften

Von einer Art digitalen Abwrackprämie als Förderung wollen die Bitkom-Verantwortlichen indes nicht sprechen. Vielmehr gehe es vor allem darum, die Ausbildung von Fachkräften zu forcieren, sagte Wolfgang Dorst, Bereichsleiter Industrie 4.0 beim Bitkom. "Hier und im Bereich Forschung und Entwicklung brauchen wir mehr Unterstützung." Dorst räumt ein, dass viele Industrieunternehmen gerade in den vergangenen Jahren ihre Produktion und Prozesse optimiert hätten und damit durchaus gut und erfolgreich im Markt aufgestellt seien. Das könne mit ein Grund für die zögerliche Herangehensweise an das Thema Industrie 4.0 sein. Doch gerade in solch einer Position müssten die Unternehmen aufpassen, nicht den Anschluss an neue Entwicklungen zu verpassen. Dem Bitkom zufolge laufe derzeit eine Befragung von Anwenderunternehmen zum Thema Industrie 4.0. Die Ergebnisse sollen zur Hannover Messe im kommenden April präsentiert werden.

Aus Sicht des Branchenverbands gibt es etliche Handlungsfelder, um die es sich zu kümmern gilt. Neben einem differenzierten Netzmanagement, Standards für IT-Sicherheit und Datenschutz sowie einem international anschlussfähigen Ordnungsrahmen meint Dorst damit auch die Entwicklung von internationalen Normen und Standards rund um Industrie 4.0. Derzeit entwickeln sich gerade in Deutschland verschiedenste Gremien, Konsortien und Kooperation, die an dieser Stelle ein Wörtchen mitreden wollen. Doch in diesem Biotop sieht Dorst kein Problem. Es gehe nicht darum, die Kontrolle zu behalten. "Hauptsache, es bewegt sich etwas." Der Bitkom-Experte warnt davor, in Perfektionismus zu verfallen und einen einheitlichen gleichgeschalteten Vorschlag aus Deutschland anzupeilen. Das gehe auf Kosten der Geschwindigkeit. Stattdessen sei jetzt Pragmatismus gefragt. "Wir müssen schnell sein", sagt Dorst, "andere sind auch auf dem Weg".

Diese Gefahr sieht auch Koederitz. Sie mache sich durchaus Sorgen um den Standort Deutschland, gibt die Managerin zu. Andere Regionen machten schnelle Fortschritte. Allerdings stimme es hoffnungsvoll, dass sich immer mehr Unternehmen Gedanken um das Thema machten. Sie mahnt: "Wer sich nicht mit Industrie 4.0 auseinandersetzt, wird ins Hintertreffen geraten."