IT und Business reden aneinander vorbei

30.03.2007
Von 
Ina Hönicke ist freie Journalistin in München.
Defizite in der Kommunikation zwischen IT und Fachabteilungen sind nach wie vor gang und gäbe. Immer wieder stören schludrige Anweisungen, mangelndes Know-how, aber auch Eitelkeiten die Zusammenarbeit.

Kommunikationsprobleme zwischen IT-Profis und ihren Kollegen aus den Fachbereichen bestimmen nach wie vor das Stimmungsbild in den Unternehmen", erklärt der Münchner Hochschuldozent und Wirtschaftspsychologe Dieter Frey. Dass hier in all den Jahren keine Verbesserung eingetreten ist, liegt seiner Meinung nach an den Defiziten der Betroffenen. Beide Parteien seien misstrauisch, dickköpfig und würden sich gegenseitig belauern. Zu den häufigsten Streitpunkten gehörten die unterschiedliche Sprache und das Nichtwissen um die Probleme der jeweils anderen Partei. Der Hochschuldozent: "In die IT-Abteilung muss mehr Anwender-Know-how hineingetragen werden, und die Fachbereiche müssen akzeptieren, dass die IT-Kollegen mehr als nur Bits- und Bytes-Freaks sind." Dass ein Thema, das eigentlich "so einen Bart hat", immer noch aktuell ist, erklärt Bitkom-Referent Stephan Pfisterer ebenfalls mit zwischenmenschlichen Problemen. Doch er hat Hoffnung: "Während die Zusammenarbeit früher absolut chaotisch war, ist es heute mit Hilfe von IT-Policies oder anderen Vorgaben immerhin möglich, etwas Struktur in das Chaos zu bringen."

Die größten Fehler in der Kommunikation

• IT- und Fachbereich sprechen unterschiedliche Sprachen.

• Menschliche Eitelkeiten behindern die Zusammenarbeit.

• Um Verantwortung zu übernehmen, fehlt den Beteiligten oftmals der Mut.

• Fachabteilungen wollen zunehmendes Geschäftsprozess-Wissen der IT-Profis nicht wahrhaben.

• Vermutungen und Gerüchte verhindern Transparenz.

• Diffuse Ängste auf beiden Seiten führen zu Missverständnissen.

• Die Beteiligten sehen Business-Probleme durch DV-technische Brille und vice versa.

• Führungskräfte sorgen nicht dafür, dass alle an einem Strang ziehen.

Hier lesen Sie ...

• warum mangelnde Kommunikation noch immer ein Problem ist;

• wie wichtig die Rolle der Key User sein kann;

• welche Vorteile es bringt, IT-Profis mit Kollegen aus Fachbereichen zusammenarbeiten zu lassen;

• wie die IT die Berater- und Vermittlerrolle übernimmt.

Aktives Change-Management

Thomas Raith, IT-Leiter bei den Metabowerken in Nürtingen, kennt Kommunikationsprobleme nur zu gut. Zuletzt hat er sie inklusive Machtkämpfen bei der Einführung einer ERP-Landschaft erlebt: "Die anfänglichen Widerstände waren nicht gerade gering." Die Tochtergesellschaften hätten ein starres System, eine zu einflussreiche Zentrale befürchtet und ihren eigenen Spielraum massiv schwinden sehen. Um das gegenseitige Verständis zu fördern und damit die IT nicht nur als klassischer Umsetzer gesehen werde, band der IT-Chef alle Beteiligten frühzeitig in den Prozess ein, betrieb aktives Change-Management und ging auf die länderspezifischen Anforderungen ein. Raith: "Ziel des Annäherns ist für beide Seiten zu akzeptieren, dass der Fachbereich die operative Verantwortung hat, diesem aber gleichzeitig klar ist, dass in der IT die Geschäftsprozesse ebenfalls verstanden werden."

Gewinn an Transparenz

Heute erzielt das Unternehmen laut Raith durch eine einheitliche ERP-Landschaft, die bislang in zwölf von 22 vertriebsortientierten weltweiten Tochtergesellschaften eingeführt wurde, eine noch nie da gewesene Transparenz. Der IT-Chef: "Die Best-Practice-orientierte ERP-Lösung auf Basis von Microsoft Dynamics Nav (ehemals Navision) ist mit dem Zentralsystem SAP vernetzt und wird mit jeder Einführung erweitert oder angepasst. Somit entsteht ein Lerneffekt, von dem jede Tochter und auch die Zentrale profitiert." Der IT-Verantwortliche erlebt es immer wieder, dass sich das Prozess-Know-how der ITler stark weiterentwickelt hat und die Fachbereiche diese Erkenntnis noch nicht wahrhaben wollen. Bei den Metabowerken sieht sich die IT mittlerweile als "Sparringspartner" für das Prozess-Management. Raith: "Wir analysieren Prozesse in der Gruppe und leiten daraus konkrete Handlungsempfehlungen für die Fachbereiche ab."

Wer sind Key-User ...

Marco Kirberg, DV-Leiter bei der Murtfeldt Kunststoffe GmbH & Co. KG in Dortmund, ist selbst erstaunt, wie oft er mit all seiner Anwendererfahrung Probleme durch die DV-technische Brille sieht: "Natürlich weiß ich, was ein Vertriebsmitarbeiter im Großen und Ganzen tut. Ich habe schließlich selbst in diesem Bereich längere Zeit gearbeitet. Aber welche Probleme ihn im Tagesgeschäft wirklich verzweifeln lassen, da stecke ich nicht mehr drin." Kirberg und sein Team wachen über mehr als 100 PCs und 40 Drucker. Um die Präzisions-Kunststoffteile an den Kunden zu bringen, spielen Vertrieb und Telefonverkauf in dem Unternehmen eine wichtige Rolle. Damit er die Probleme seiner Anwender trotz "DV-Brille" in den Griff bekommt, schwört Kirberg auf die Rolle von Key Usern. Bei den Kollegen dieser so genannten Zwischeninstitution handelt es sich um Kaufleute, die Interesse an der DV zeigen und von der IT-Abteilung speziell geschult werden.

... und was können sie bewirken?

Wie wichtig die Rolle der Key User ist, bekam der Computerchef am Beispiel eines Software-Upgrades zu spüren: "Ein Versuch war richtig in die Hose gegangen. Ich hatte mich auf die Anwender verlassen, dass sie die Änderungen ausreichend testen. Das war aber nicht der Fall - dementsprechend traten Fehler über Fehler auf." Die Stimmung zwischen Anwendern und IT-Profis sank auf den Nullpunkt. Während die User dagegen protestierten, dass sie aufgrund der vielen Fehler nicht richtig arbeiten könnten, warfen die IT-Profis den Kollegen vor, diese Situation selbst verschuldet zu haben. Um aus diesem Dilemma herauszukommen, schaltete das IT-Team die Key User ein. Diese Kollegen sind, so Kirberg, wirklich bis an ihre Grenzen gegangen: "Bis spät in den Feierabend hinein haben sie das Programm auf Herz und Nieren geprüft."

Das Interesse wecken

Michael Müller-Wünsch, Director ICS bei der Ceva Logistics GmbH in Wolfsburg, wiederum nutzt mit großer Begeisterung jede Gelegenheit zur Kommunikation. Schließlich will er die Leistung der IT entsprechend verkaufen. Bei den Fachbereichen indes stößt er auf geringes Interesse - wenn nicht gar auf latenten Widerwillen. Der IT-Experte: "Wenn der Produktionsvorstand über ein neues Werk spricht, hört jeder gespannt zu. Stellt der IT-Chef seine geplante Server-Landschaft vor, versandet urplötzlich das Interesse bei den Zuhörern. Die Fachabteilungschefs sind desinteressiert und überfordert, die IT-Chefs verständlicherweise frustriert." Dass Müller-Wünsch nicht die klassische IT-Schiene hinter sich hat, kommt ihm heute zugute. Als Diplomkaufmann bewegt er sich sozusagen in beiden Welten. "Das hilft mir", so der CIO, "IT-Inhalte spannend zu präsentieren und Fachkollegen leichter zu überzeugen." Dass die Fachbereiche von der IT ein allzu technisches Bild haben, habe er intensiv bei der Einführung eines CRM-Systems zu spüren bekommen. Die Vertriebs- und Marketing-Kollegen hätten das Thema einzig und allein auf die Technik reduziert. Sie wollten die Lösung für ein IT-System, das die Kundendaten speichern kann. Als Müller-Wunsch die Themen Geschäftsprozesse, neue Ansätze und Wertschöpfung auf den Tisch brachte, habe dies fast eine Palastrevolution ausgelöst: "Wie kann ein IT-Mann dem Vertrieb sagen, wie er seine Geschäftsabläufe gestalten soll." Mittlerweile hat der CIO seiner IT ein neues Gesicht verliehen - und er nutzt nach wie vor jede Gelegenheit zur Kommunikation. Die Manager verschiedener Bereiche treffen sich wöchentlich und tauschen sich auch im Intranet aus. Die Zukunft sieht Müller-Wünsch eher rosig: "Die jungen Menschen wachsen schon zu Hause mit einem PC auf. Dieses Interesse werden sie ganz sicher in ihren zukünftigen Job mitnehmen."

Eitelkeit spielt eine Rolle

Dass Fachbereiche sich zurückgesetzt fühlen, wenn ein Techniker zuerst mit dem Kunden redet, kennt Klaus-Peter Bruns, CIO bei der Fiducia IT AG, dem IT-Dienstleister für 850 Volks- und Raiffeisenbanken, nur zu gut: "Die menschliche Eitelkeit oder der Wunsch nach Beachtung und Einbindung spielen hier eine große Rolle." Der Techniker sollte aber keinesfalls bankfachliche Themen diskutieren und darüber entscheiden wollen. Umgekehrt sollten Bankbetriebswirte sich auf ihre Anforderungen konzentrieren und möglichst nicht über Einsatzmöglichkeiten und Implementierungsvarianten von Web-Services fachsimpeln. Der CIO ließ dieser wichtigen Erkenntnis Taten folgen. Als die letzte Oberflächengestaltung geplant wurde, hat die Fiducia zwei Entwicklern ein Bankpraktikum ermöglicht. Bruns: "Die beiden IT-Profis saßen in der Fachabteilung der Bank, und alle profitierten davon. So erkannten die Techniker beispielsweise, dass einige ihrer Lösungen zwar gut gemeint, aber letztlich schlecht gemacht waren."

Diffuse Ängste

Neben persönlichen Befindlichkeiten behindern aus Sicht des CIO diffuse Ängste die Zusammenarbeit: "Hier einzugreifen ist Aufgabe der Führungskräfte. Sie müssen es schaffen, die Ängste abzubauen und die Mitarbeiter an einem Strang ziehen zu lassen." Für den IT-Verantwortlichen heißt das, zum Kunden hinzugehen, mit ihm zu reden und ihn zu verstehen. Bruns setzte diese Maxime schon als Entwicklungsleiter um und besuchte regelmäßig seine Kunden, die Banken. Was damals noch Entrüstung hervorrief, ist heute bei der Fiducia IT AG selbstverständlich. "Auch die 38 Führungskräfte in der Entwicklung haben ganz gezielt Kontakt zu den Banken - natürlich themenbezogen und in Abstimmung mit Produkt-Management und Vertrieb. Nur so erfahren wir, wie das Arbeiten mit unseren Lösungen funktioniert", sagt der heutige Technikvorstand.

Für Hans-Peter Kozica, der bei der iET Solutions als Leiter Beratung, Implementierung und Training in Europa tätig ist, haben die Probleme sehr viel mit mangelndem Mut zu tun: "Viele Projektmitarbeiter haben Angst, ihre Meinung zu vertreten und Verantwortung zu übernehmen." Dass keiner das Risiko eingehen will, bei Nichterfolg als Versager dazustehen, ziehe oftmals erst recht Misserfolge nach sich. Kozica hat zudem die Erfahrung gemacht, dass die Kommunikation zwischen den beiden Parteien unter Unklarheiten leidet: "Anstatt anstehende Projekte offen miteinander zu besprechen, basieren die Diskussionen oftmals auf reinen Vermutungen. Das ist naturgemäß keine gesunde Basis für ein gemeinsames Projekt." Da Menge und Güte der Projektkommunikation bei eventuellen Misserfolgen jedoch schwer in Zahlen anzugeben seien, konzentriere man sich vor allem auf messbare Projektergebnisse. Die Folge: Aus Zeitmangel werde zuerst an der Kommunikation gespart. Für den Erfolg ist es seines Erachtens entscheidend, ob das Projekt von der Topetage angeordnet wird oder ob die Fachabteilung selber darauf dringt. Kozica: "Wenn ein Projekt aus Eigeninteresse in Angriff genommen wird, ist die Motivation naturgemäß immer um einiges größer." (ciw)