Mit einem Paukenschlag verabschiedete sich der IT-Services-Markt vom Jahr 2010. Atos Origin gab im vergangenen Dezember bekannt, dass es die seit Jahren kränkelnde Siemens-Ausgründung SIS (Siemens IT Solutions and Services GmbH) übernehmen werde. Preis (850 Millionen Dollar, davon lediglich 186 Millionen Euro in bar), Mitgift (ein milliardenschwerer Outsourcing-Vertrag), Unternehmensbeteiligung (Siemens erwirbt 15 Prozent an Atos) und Investitionen (gemeinsamer Forschungsfonds über 100 Millionen Euro) signalisieren: Siemens ist froh, endlich einen Käufer für das Problemkind SIS gefunden zu haben, das trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten immer zu den größten und meistakzeptierten Anbietern in Deutschland zählte.
Der Käufer, der seit Juli 2011 in Besitz von SIS ist, kommt aus Frankreich und nennt sich seit dem Zusammenschluss kurz Atos. Sein Interesse: Siemens als Großkunden gewinnen und über SIS erhebliche Marktanteile in Deutschland, Großbritannien und Osteuropa aufbauen. Und das alles zu einem vergleichsweise niedrigen Preis.
- SIS in Kürze
Hier finden Sie einen kurzen Abriss über die Geschichte von Siemens IT-Services and Solutions (SIS) von 1995 bis 2010. - Januar 1995:
Der SIS-Vorgänger Siemens Business Services (SBS) wird als Gemeinschaftsunternehmen von Siemens und Siemens-Nixdorf Informationssysteme (SNI) unter Leitung von Friedrich Fröschl gegründet. - Dezember 1998:
Fröschl erwägt einen Börsengang in den USA, um potenzielle Übernahmen zu finanzieren. Er strebt eine weltweit führende Position an. Ein Auftrag in Großbritannien untermauert den Anspruch. Die britischen Sparkassen lagern für eine Milliarde Pfund an SBS aus. - November 2001:
Der gewonnene Deal erweist sich als faul. Er reißt SBS tief in die Verlustzone. Das Siemens-Management zweifelt an der SBS-Entwicklung. Fröschl muss gehen. Nachfolger wird Paul Stodden, der zuvor bereits Fujitsu-Siemens Computers saniert hatte. - Dezember 2001:
Stodden führt SBS wieder in die Gewinnzone, indem er die hohen Ansprüche zurechtstutzt, erste Märkte räumt und ein straffes Kosten-Management verfolgt. Die Marge liegt unter zwei Prozent. Das Siemens-Management fordert mindestens fünf Prozent bis zum Jahr 2004. - August 2003:
Der Umsatz schrumpft, die Marge entwickelt sich nicht wie erhofft. Stodden erwägt Entlassungen, sollte sich die schwierige Marktsituation nicht bessern. - Juni 2004:
Stodden geht. Adrian van Hammerstein, zuvor CEO von Fujitsu-Siemens Computers, kommt. - März 2005:
SBS will bis Ende des Geschäftsjahres 1000 Stellen streichen. Das Management verpflichtet alle Geschäftsbereiche, IT-Services von SBS zu beziehen. - April 2005:
Der neue Siemens-CEO Klaus Kleinfeld verpflichtet SBS auf eine Marge von über fünf Prozent in genau zwei Jahren. - September 2005:
Von Hammerstein geht, Christoph Kollatz kommt. - Oktober 2005:
SBS kündigt an, innerhalb von zwei Jahren 1,5 Milliarden Euro zu sparen und 5400 Stellen zu streichen. - Oktober 2010:
Unter Oeckings Leitung wird SIS als GmbH ausgegründet. - Dezember 2010:
Siemens verkauft SIS an Atos Origin . Damit schließt der Münchner Konzern endgültig das Kapitel der Kommunikations- und IT-Lösungen aus dem eigenen Haus. - Juli 2011
Am 1. Juli 2011 wurde die Übernahme der SIS durch Atos Origin offiziell abgeschlossen. Das dadurch entstandene Unternehmen firmiert unter dem Namen Atos. Es rückt im europäischen Ranking der größten IT-Service-Provider auf Rang zwei hinter IBM vor.
Gemessen am Umsatz belegt Atos hinter T-Systems, IBM und HP nach PAC-Zählung Platz vier in der Rangliste der größten hiesigen IT-Service-Provider (Gartners Zahlen weichen davon ab, siehe Grafik). PAC-Analyst Klaus Holzhauser räumt dem neuen Unternehmen gute Zukunftschancen ein. Er rechnet damit, dass sich insbesondere der ehemalige SIS-Bereich nun unter dem Atos-Dach besser entfalten wird: "SIS kann nun das Siemens-Korsett ablegen", sagt der Analyst und tut damit seine Erwartungen kund.
Für die Geschäftsentwicklung des neu formierten Anbieters bleibt Siemens jedoch in absehbarer Zeit der wichtigste Partner: Outsourcing-Abkommen, die Forschungs- und Entwicklungspartnerschaft sowie die gemeinsamen Projekte bei Siemens-Kunden verschaffen Atos gute Zugangsmöglichkeiten zu neuen Märkten. Frank Ridder, Analyst bei Gartner, bestätigt die Zuversicht: "Atos hat die Voraussetzung, zu einem neuen europäischen Giganten im IT-Services-Markt zu reifen, wenn das Management die Integration erfolgreich gestaltet."
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