IT-Leidenschaft wichtiger als Studium

15.03.2004
Von 
Ina Hönicke ist freie Journalistin in München.
Als der Vorstand des 60-köpfigen IT-Dienstleisters Arago AG, Hans-Christian Boos, im November 2003 vom Economic Forum Deutschland mit dem "John F. Kennedy National Leadership Award" ausgezeichnet wurde, konnte er es kaum glauben. Schließlich handelte es sich bei seinen mehr als 500 Mitbewerbern fast ausschließlich um Führungskräfte weitaus größerer Unternehmen.

Die sieben Jurymitglieder wählten Boos aus und bescheinigten dem 31-jährigen Internet-Pionier "herausragende Leadership" in der Kategorie IT-Services und Multimedia. Besonders gewürdigt wurden die technische Kompetenz und der unternehmerische Mut.

Einen Preis zu erhalten ist für den Frankfurter Berater und Sicherheitsexperten indes nicht ganz neu. Schließlich gewann er bereits in jungen Jahren den "Jugend-forscht"-Preis für die Entwicklung eines ergonomischen Benutzer-Interface für klimatologische Daten. Der Grundstein für sein Projekt wurde im Elternhaus gelegt: Sein Vater, Oberstudienrat für Englisch und Geographie, wie auch seine Mutter, hatten sich immer über das mühsame Zeichnen von Klimadiagrammen auf Millimeter-Papier geärgert. Also entwickelte der Sohn ein Datenbank- und Grafikprogramm, das so gut war, dass es nicht nur seinem Vater die Arbeit erleichterte, sondern bis heute bundesweit verkauft wird.

Hans-Christian Boos, Vorstand der Arago AG
Hans-Christian Boos, Vorstand der Arago AG

Nach dem Abitur studierte Boos zunächst in Zürich und dann in Darmstadt Informatik. Dabei fiel ihm auf, dass sowohl die Stundenzahl als auch das Engagement der Studenten an der Schweizer ETH deutlich größer waren. So wurden selbst die Grundvorlesungen von den besten Professoren gehalten.

Der damalige Informatikstudent hätte eigenen Angaben zufolge gerne fertig studiert - wäre nicht das Berufsleben noch weitaus spannender gewesen: Zu Beginn seiner Laufbahn vernetzte Boos in den 90er Jahren als Praktikant die weltweit operierende Research-Tochter der Dresdner Bank.

Das Projekt realisierte er mit einer von ihm entwickelten Software - der Siegeszug von Content-Management-Systemen fand hier seinen Anfang. Mit der Weiterentwicklung des Projekts entstand gleichzeitig die erste Online-Plattform Deutschlands. Doch der IT-Spezialist wollte seine Kreativität zwar im Team, aber nicht in festen Strukturen ausleben. Also gründete er 1995 die Arago GmbH, ein Institut für komplexes Daten-Management.

Chancen für Hacker

Obwohl Boos sein Studium abgebrochen hat, warnt er vor Nachahmung. Er ist überzeugt, dass ein abgeschlossenes Informatikstudium große Vorteile zu bieten hat. Sich für die IT zu entscheiden bedeutet seiner Meinung nach allerdings viel mehr - nämlich die Leidenschaft zur IT und damit auch den Verzicht auf einen pünktlichen Feierabend.

Noch einen Tipp hat Boos parat: "Wer sich als künftiger Informatiker zu schade ist, die Praxis kennen zu lernen und fünf Zeilen Code selbst zu schreiben, sollte noch einmal über seinen Berufswunsch nachdenken." Kein Wunder, dass er die übernächtigten, unrasierten, Cola trinkenden Computerfreaks von früher vermisst. Boos jedenfalls denkt gern an die Zeiten zurück, in denen er als Systemadministrator bei der Fachhochschule Konstanz seinen Schlafsack unterm Rechner verstaute.

Damals machte er auch die ersten Erfahrungen in puncto Netzwerksicherheit. Dazu gehörten beispielsweise die gegenseitigen Versuche, die IT-Systeme der Kollegen "von der anderen Seeseite" zu "knacken". Das Mittagessen musste der jeweilige Gewinner zahlen. Vielleicht ist das ein Grund für die unkonventionelle Auswahl der Arago-Sicherheitsprofis. Im Gegensatz zu den meisten seiner Mitbewerber stellt der Unternehmer Boos nämlich ehemalige Hacker sein. Seine Begründung: Wie soll jemand, der sich noch nie als Hacker betätigt hat, die Denkweise eines elektronischen Eindringlings kennen und entsprechend reagieren?

Allerdings legt der Frankfurter Security-Manager Wert darauf, dass für seine Mitarbeiter Hacken in erster Linie ein Spiel ist, in dem das System geschlagen, aber nicht zerstört wird. Neben der Sicherheitsproblematik liegen Boos die richtige Verteilung und der effiziente Einsatz des vorhandenen Wissens am Herzen. Seine Devise lautet: die schnelle Verfügbarkeit von Wissen zur richtigen Zeit in der richtigen Form am richtigen Ort für die richtigen Prozesse oder Menschen.

Dies gilt, so Boos, für den gesamten Bereich des Knowledge-Managements. Das Wissen, das in den Köpfen der Mitarbeiter steckt, zu erhalten und aufzubereiten ist für ihn eine der großen Herausforderungen der kommenden Jahre. Als Vorstand von Arago hat Boos häufig einen 16-Stunden-Tag, und regelmäßig trifft man ihn noch nachts in seinem Büro an.

Wer nun glaubt, dass bei diesem prall gefüllten Terminkalender die Privatsphäre auf der Strecke bleibt, der irrt. Boos liebt es - sei es mit der Querflöte oder dem Klavier -, klassische Musik zu spielen, zu singen, zu kochen oder zu fotografieren. Weitere Lieblingsbeschäftigungen sind Tanzen (Standard), Judo, Skifahren und Urlaube in Afrika. Seine große Liebe aber gehört den Pferden. Gemeinsam mit seiner Ehefrau durchstreift er hoch zu Ross die deutschen Lande. Den Umgang mit Pferden empfiehlt Boos jedem Manager.

Gute Familie, gutes Team

Dass der Jungunternehmer trotz des enormen Stresses Beruf und Freizeit unter einen Hut bringen kann, liegt an einer Besonderheit der Familie Boos: Sie brauchen nur vier Stunden Schlaf pro Tag. Welche Rolle bei Boos der genetische Defekt, nämlich ein Albino mit schwerer Sehschädigung zu sein, im Leben spielt, darüber ist sich der Preisträger nicht sicher: "Es lässt sich sehr leicht sagen, dass aus einer Schwäche oft Stärke wird. Aber dazu braucht man eine großartige Familie, die einen immer wieder motiviert, und zeitlebens ein gutes Team - ich habe das Glück, beides zu haben."