Insider erwarten bis zu 9600 Entlassungen

IT-Krise zwingt IBM auf harten Sparkurs

17.05.2002
MÜNCHEN (wh) - IBM ist in den Sog der Konjunkturkrise geraten. Nach dem Umsatz- und Gewinneinbruch im ersten Quartal plant der weltgrößte IT-Konzern nun offenbar weitere Stellenstreichungen. Bis zu drei Prozent der Belegschaft, darunter auch deutsche Arbeitnehmer, könnten betroffen sein, berichten unternehmensnahe Quellen.

Noch dementieren IBMs Topmanager beharrlich, doch in der Branche halten sich die Gerüchte hartnäckig: Wenn es zutrifft, was aus unternehmensinternen und -externen Quellen dringt, plant Big Blueden größten Personalabbau seit Anfang der neunziger Jahre. Demzufolge sollen noch im laufenden Quartal zwischen 6400 und 9600 Mitarbeiter ihren Job verlieren. IBM beschäftigt weltweit rund 318000 Menschen.

Inwieweit auch die deutsche Tochtergesellschaft betroffen sein könnte, lässt sich gegenwärtig noch nicht sagen. "Wir nehmen an, dass es Vorgaben gibt, in Deutschland eine bestimmte Zahl von Arbeitsplätzen abzubauen", berichtet ein Angestellter der hiesigen IBM-Dependance, der namentlich nicht genannt werden will.

In der Hamburger IBM-Niederlassung etwa sei in der abgelaufenen Woche eine große Zahl von Mitarbeitern, vorwiegend aus dem Dienstleistungsbereich, zu Personalgesprächen gebeten worden. Offenbar gebe es einen gewissen Zeitdruck.

Das Management versuche im ersten Schritt, "moralischen Druck" auf solche Kollegen auszuüben, die aufgrund der flauen Auftragslage im Projektgeschäft ohnehin nicht ausgelastet sind. Im zweiten Schritt könnten Änderungskündigungen und ähnliche Maßnahmen folgen. "Die Mitarbeiter hören die Gerüchte aus den USA und sind beunruhigt", so der Anonymus. "Klare Aussagen des Managements gibt es nicht."

Dass sich die Sparbemühungen insbesondere auf den Dienstleistungsbereich richten, ist kein Zufall. Neben einem 25prozentigen Einbruch im Hardwaregeschäft musste IBM für das erste Quartal auch einen dreiprozentigen Umsatzrückgang in der Vorzeigesparte IBM Global Services (IGS) melden (siehe CW 17/02, Seite 28). Schon im vierten Quartal 2001 waren die Einnahmen leicht gesunken. Zwar befindet sich Big Blue damit in guter Gesellschaft anderer großer IT-Dienstleister wie KPMG oder Accenture. Doch der Mythos von der krisenresistenten Serviceorganisation ist dahin. Vor allem im klassischen Beratungsgeschäft geht derzeit so gut wie nichts - keine guten Nachrichten für die weltweit rund 150000 IGS-Mitarbeiter.

Von Stellenstreichungen oder Entlassungen will man in der deutschen IBM-Dependance nichts wissen. "Es sind keine Pläne bekannt", erklärte ein Sprecher in der Stuttgarter Zentrale auf Anfrage. Einzelvertragliche Regelungen könne er nicht ausschließen, es gebe aber keine Personalprogramme mit festen Vorgaben. IBM beschäftigt in Deutschland rund 26000 Mitarbeiter, davon sind mehr als 40 Prozent dem Dienstleistungsbereich zugeordnet.

Bedrohlicher dürfte sich die Situation für die 160000 Kollegen in den USA darstellen. Hier sollen den Berichten zufolge die meisten Stellen wegfallen. Neben dem krisengeschüttelten Halbleiterbereich trifft es vor allem Teile der US-amerikanischen Vertriebsmannschaft. Abhängig von den Geschäftsergebnissen der nach Branchen ausgerichteten Teilorganisationen habe es bereits erste Kündigungen gegeben, ist aus unternehmensinternen Quellen zu hören.

Spekulationen um harte Sparmaßnahmen hatte IBM-Chef Sam Palmisano selbst mit ausgelöst. Am 24. April warnte er in einer Rede an alle Mitarbeiter vor einem schwächer als angenommenen Wachstum der IT-Industrie, das sich auch auf IBMs Geschäftsergebnisse auswirke. Die getätigten Investitionen basierten auf Wachstumserwartungen, die sich so nicht mehr aufrechterhalten ließen. Nun gehe es darum, einiges "zurückzustutzen".

Damit haben die Firmenlenker im US-amerikanischen Armonk bereits begonnen. Anfang des Jahres lagerten sie die kostenträchtige PC-Produktion an den kalifornischen Auftragsfertiger Sanmina-SCI Corp. aus; rund 1000 IBMer wechselten den Arbeitgeber. Die hochdefizitäre Festplattensparte mit 17000 Mitarbeitern bringt der Konzern in ein Joint Venture mit Hitachi ein, an dem die Japaner die Mehrheit halten werden. Schon im vergangenen Jahr verloren rund 1000 Beschäftigte im finanziell angeschlagenen Halbleiterbereich Microelectronics ihren Arbeitsplatz. Überraschend kündigte IBM kürzlich an, 600 IGS-Mitarbeiter in den USA zu entlassen.