Bereinigung von Anwendungen ist Business-Sache (IT-Konsolidierung, Teil 1)

IT-Konsolidierung strategisch planen

06.06.2003
MÜNCHEN (rg) - IT-Konsolidierung gilt als Wunderwaffe für die Kosteneinsparung. Wenn sie jedoch über den Infrastrukturbereich hinaus in die Anwendungsebene hineinreicht, muss im Vorfeld eine auf Geschäftsprozesse ausgerichtete Strategie erarbeitet werden. Weitere Artikel werden sich dem Thema IT-Konsolidierung aus technischer und organisatorischer Perspektive widmen.

In fast allen Unternehmen diskutieren Verantwortliche derzeit, wie sich trotz reduzierter Ausgaben der Wertbeitrag der IT erhöhen lässt (siehe Seite 10: "Damit vom Budget was übrig bleibt"). Torsten Frankenberger, Partner in der Unternehmensberatung Droege & Comp. GmbH belegt den Zusammenhang zwischen Unternehmenserfolg und IT-Konsolidierung anhand empirischer Daten. So zeigt eine von Droege erstellte Studie zum Thema IT-Investment, für die rund 170 europäische IT-Führungskräfte befragt wurden, dass überdurchschnittlich erfolgreiche Unternehmen konsequent standardisieren und zentralisieren, statt sich mit gewachsenen heterogenen Systemlandschaften und IT-Strukturen abzufinden. Während beim Betrieb der Systeme kaum Unterschiede auszumachen sind, legt die Studie bei der Anwendungsentwicklung große Abweichungen offen: Die erfolgreichen Firmen haben diese im Schnitt zu 48 Prozent zentralisiert, die Durchschnittlichen lediglich zu 16 Prozent. Die Infrastrukturentwicklung ist bei Letzteren nur zu 13 Prozent gebündelt, bei den Klassenbesten jedoch zu 36 Prozent.

Synergiepotenziale versus Autonomie

Unterstützt würden diese Bemühungen häufig durch den Einsatz von IT-Scorecards, geeigneten Benchmarking-Methoden und eine generell höhere Transparenz bezüglich IT-Leistungen und -Prozessen. Außerdem verzettelten sich erfolgreiche Unternehmen laut Frankenberger weniger mit Modethemen, sondern entwickelten stattdessen ihre wichtigen Kernsysteme wie Enterprise-Resource-Planning- oder Supply-Chain-Management-Lösungen weiter. Wenn in diesen Bereichen - also nicht nur auf IT-Infrastrukturebene - konsolidiert werde, ständen die Anwenderunternehmen allerdings vor einem Dilemma: Sollen Synergiepotenziale genutzt werden, nehmen Autonomie und Flexibilität der Fachbereiche ab.

An diesem Punkt setzt auch die Warnung von John Mahoney, Vice President und Research Director bei Gartner, an. Der größte, häufig begangene Fehler bei der strategischen Vorbereitung von Konsolidierungsprojekten sei die Annahme, dass es sich dabei um ein reines IT-Thema handle. Zwar habe die IT-Abteilung naturgemäß einen schärferen Blick für technische Einsparpotenziale, das tiefer gehende Verständnis der betroffenen Geschäftsprozesse brächten jedoch eindeutig die Fachabteilungen und der Vorstand auf.

IT braucht Unterstützung vom Vorstand

"Die größten Probleme entstehen allerdings, wenn der Finanzvorstand dem CIO Einsparungen in einer Höhe diktiert, die dieser für unrealistisch erachtet, der CFO aber trotzdem auf seinen Forderungen beharrt", erklärt Mahoney. Am erfolgreichsten liefen dagegen Konsolidierungsprojekte, bei denen Vorstand, IT und Fachabteilungen gemeinsam den richtigen Weg diskutierten. Mahoney rät deshalb CIOs, in deren Bonusvereinbarungen die Reduzierung des IT-Budgets festgeschrieben ist, sich zu informieren, ob dieser Passus auch in den Zielen der Fachabteilungsleiter enthalten sei, die mit den Folgen leben müssen. Alle Beteiligten sollten die Potenziale und Hürden gemeinsam identifizieren und dort ansetzen, wo einerseits die erwarteten Vorteile am größten und andererseits die Hindernisse am geringsten ausfielen (siehe Kasten "Potenziale und Hürden").

Grundsätzlich unterscheidet Mahoney zwei Projektkategorien:

-Konsolidierung der IT-Infrastruktur sowie der Ressourcen für den IT-Betrieb. Hierbei stehen Skalen- und Rationalisierungseffekte im Vordergrund.

-Die Konsolidierung von IT-Strategien, Planungsverfahren, Architekturen, Anwendungen und Daten, um so Prozesskosten zu reduzieren.

Diese Trennung schlägt auch Dirk Buchta, Vice President der A.T. Kearney GmbH, vor. Im Gegensatz zu geschäftsprozessrelevanten IT-Systemen ließen sich durch die Bereinigung der Infrastruktur schnelle Erfolge erzielen. Am ausgeprägtesten sei die Heterogenität und damit auch das Einsparpotenzial in Unternehmen, die durch Merger und Akquisitionen entstanden seien. "Aber auch in organisch gewachsenen Unternehmen finden sich oft zwei bis drei unterschiedliche E-Mail-Systeme", führt Buchta ein Beispiel für den mancherorts entstandenen Wildwuchs an.

Vor jeder Konsolidierung muss laut Buchta eine umfassende Bestandsaufnahme eingeleitet werden. Sie solle nicht nur technische Komponenten wie Datenbanken, Clients, Server, Office-Anwendungen, Netze oder Entwicklungsumgebungen umfassen, sondern auch für den Betrieb wichtige Faktoren wie User-Helpdesk und Service-Level-Agreements beinhalten. Außerdem müsse die IT-Lieferantenbasis durchleuchtet werden: "Häufig kaufen einzelne Geschäftsbereiche identische Komponenten unabhängig voneinander beim selben Hersteller ein, ohne dass jemand daran gedacht hätte, einen Rahmenvertrag abzuschließen", so der Unternehmensberater.

Nicht alle Bereiche zentralisieren

Der für eine Infrastruktur-Inventur benötigte Zeitraum hänge stark von der Bereitschaft der Verantwortlichen ab, ihre Bestandslisten herauszugeben. "Diese politischen Problemchen sollten sich aber innerhalb von vier bis sechs Wochen ausräumen lassen", schätzt Buchta. Bei der folgenden Standardisierung rät der Unternehmensberater zu konsequentem Vorgehen: "In den Bereichen, die der Endanwender nicht sieht, bedeutet das totale Gleichschaltung." Entsprechende Vorgaben müssten von einem geeigneten Gremium mit diktatorischer Macht beschlossen und konsequent umgesetzt werden. Zu viel Liberalität koste bares Geld.

Deutlich mehr Fingerspitzengefühl, Planung und vor allem unternehmensweite Abstimmung erfordert hingegen die Konsolidierung auf Anwendungsebene. "Wenn hier Konsolidierung nur als Einsparungsinstrument verstanden wird, ist das Risiko, zu scheitern, sehr hoch", warnt Wolfgang Thiel, Vice President der Boston Consulting Group. Eine Reihe von Bereichen sei für eine Zentralisierung nur bedingt geeignet. Dazu zählt er unter anderem Fertigungs-, Logistik- und Kerntransaktionsprozesse. IT-Abteilungen seien hoffnungslos überfordert, wenn sie entscheiden sollen, wo konsolidiert werden soll. Schließlich wirke sich jede konsolidierte IT-Anwendung auf Geschäftsprozesse aus: "Da muss man aufpassen, dass der Schwanz nicht mit dem Hund wackelt", frozelt Thiel. Aus Business-Sicht sei zunächst zu klären, wo im Unternehmen identische oder ähnliche Geschäftsprozesse genutzt würden.

Wie Thiel misst auch Buchta der IT in dieser Phase eine eher untergeordnete Rolle zu: "Die IT-Abteilung kann hier Vorschläge unterbreiten, ein Konsolidierungsprojekt mit dieser Tragweite kann sie jedoch nicht auslösen." Schon um die Fachbereichsleiter zu überzeugen, brauche es den Vorstand. "Die wollen sich häufig nicht einbinden lassen, weil sie befürchten, dass sich die Komplexität sowie Durchlaufzeiten erhöhen und ihre Flexibilität abnimmt", fasst Buchta die Skepsis der Regionalfürsten im Unternehmen zusammen. Sie neigten daher dazu, ihre Prozesse und Anforderungen an die IT als einzigartig darzustellen.

Abhilfe schaffe die systematische Bildung von Geschäftsmodell-Clustern und die anschließende Entwicklung von Standardprozessen. Diese Methode eigne sich sogar für Mischkonzerne, da fast jedes Unternehmen sein Geschäft auf eine überschaubare Zahl von Prozesstypen herunterbrechen könne.

Investitionen schützen

Ergäbe sich ein ausreichend großes Potenzial an Gemeinsamkeiten in den Geschäftsabläufen, spreche nichts dagegen, diese Prozesse beispielsweise in einem ERP-System zusammenzuführen. Buchta empfiehlt hierfür einen Template-Ansatz, bei dem in Einzelfällen fachbereichsspezifische Anpassungen zugelassen werden könnten, wobei diese nicht mehr als fünf Prozent vom Standard abweichen sollten. In Unternehmen, die nicht zu viele Exotensysteme betreiben müssten, ließen sich durch die konsequente Umsetzung des Template-Modells auf der Anwendungsebene Einsparungen von bis zu 80 Prozent erzielen.

Boston-Consulting-Mann Thiel empfiehlt, bei der Neuordnung der Anwendungslandschaft schrittweise vorzugehen, da es gelte, die bisherigen Investitionen so weit wie möglich zu schützen und in die neue Struktur einzubinden. Oft reiche es aus, nur Teile der eingesetzten Systeme abzuschalten. "Die Kunst liegt im richtigen Schnitt", so Thiel. Mit kurzfristigen Erfolgen sei bei der Konsolidierung auf Anwendungsebene nicht zu rechnen. Aufgrund der langen Laufzeiten müsse daher auf ein ordentliches Projekt-Management geachtet werden.

In einer Frage sind sich die Unternehmensberater besonders einig: Bei der strategischen Vorbereitung von geschäftsprozessrelevanten Konsolidierungsvorhaben schadet eine zu technische Herangehensweise. "Ein solches Projekt von einem SAP-Berater leiten zu lassen ist ein großer Fehler", so Buchta. IT-Fachleute müssten natürlich zu einem späteren Zeitpunkt ins Spiel kommen, für die erste Runde empfehle sich jedoch die Hilfe eines Business-orientierten Strategieberaters. Und die finden sich zunehmend auch innerhalb der Unternehmen: "CIOs sind mittlerweile keine Tekkies mehr, sondern ausgewiesene Businessstrategen, die hier viel bewegen", räumt auch Buchta ein.

Angeklickt

Mit diesem Beitrag zur strategischen Vorbereitung von Konsolidierungsprojekten eröffnet die COMPUTERWOCHE eine Reihe, die sich sowohl mit den organisatorischen als auch mit den technischen Aspekten des Themas auseinander setzt. Für die folgenden Wochen sind unter anderem Artikel zu den Teildisziplinen, Speicher-, Software- und Netzkonsolidierung geplant. Vorschläge, wie sich IT-Abteilungen organisieren können, um den daraus erwachsenden Anforderungen zu genügen, bilden den Abschluss der Reihe. Die Beiträge erscheinen je nach Schwerpunkt in den Rubriken "IT-Strategien" und "Produkte & Technologien" und sind mit obigem Foto als Logo gekennzeichnet.

Potenziale und Hürden

John Mahoney, Vice President bei Gartner, hat für die strategische Vorbereitung von Konsolidierungsprojekten eine Checkliste für die Auswahl geeigneter Ansatzpunkte erstellt. Sie enthält unter anderem folgende Punkte:

Chancen:

- Niedrigere Betriebs- und IT-Beschaffungskosten,

- geringere Komplexität,

- erhöhte Prozessqualität,

- Nutzung von Synergien im Unternehmen.

Hemmnisse:

- Inkompatible Architekturen, Anwendungen und Sicherheitsumgebungen,

- unflexible Verträge mit IT-Anbietern und externen Dienstleistern,

- unausgereifte Geschäftsprozesse,

- Vielzahl von Standorten,

- Unternehmenskultur, die Fachbereichen und Töchtern große Autonomie einräumt.