Konjunkturabkühlung berührt deutsche Unternehmen wenig

IT-Investitionen: Tendenz steigend

27.04.2001
Trotz der schwächelnden Konjunktur wollen deutsche Unternehmen von Einsparungen im IT-Bereich derzeit nichts wissen. Vor allem für E-Business-Projekte sowie ERP-Lösungen wird in diesem Jahr kräftig Geld ausgegeben. Nach Ansicht von Wirtschaftsexperten könnte die Investitionsbereitschaft jedoch im zweiten Halbjahr spürbar nachlassen.

Das Interesse an neuer Software gibt in deutschen Unternehmen derzeit den entscheidenden Impuls, kräftig zu investieren. Zwar haben insbesondere stark expandierende Firmen auch einen Teil ihres Budgets für den Austausch von Servern oder PCs sowie für Speicherlösungen reserviert. Der reine Hardwarebedarf scheint jedoch vorläufig - nicht zuletzt aufgrund bereits im Vorjahr getätigter Investitionen - weitgehend gedeckt.

Dauerbrenner E-BusinessErklärte Schwerpunkte im Jahr 2001 sind E-Business-Projekte sowie Lösungen im ERP-Umfeld. Trotz der Krise vieler B-to-B-Softwarefirmen scheinen weder Projekte wie die Organisation der Geschäftsprozesse über das Internet noch der Verkauf via Web viel von ihrer Anziehungskraft eingebüßt zu haben.

Der Automobilkonzern BMW hat die Entwicklung einer unternehmensweiten E-Business-Strategie bereits im vergangenen Jahr abgeschlossen. Doch stehen hier eine Reihe von Folgeinvestitionen auf der diesjährigen Prioritätenliste. Als in diesem Zusammenhang besonders wichtig erachtet der Autogigant das Thema Integration. "Zwar müssen die alten Anwendungen über kurz oder lang erneuert werden, dennoch lassen sie sich aus Gründen der Prozesssicherheit nicht unmittelbar über Bord werfen", erklärt Engelbert Suchla, Projektleiter E-Business bei BMW. Auch das Thema E-Procurement steht auf der diesjährigen Agenda. Ein entsprechendes Projekt auf Basis von Ariba-Software soll von der Projekt- in die Produktionsphase überführt werden. Aufgrund der höheren Anforderungen durch die Internet-Aktivitäten werden laut Suchla jedoch auch leistungsfähigere Server und Netzwerke fällig.

Das Baugewerbe scheint ebenfalls vom E-Business-Fieber infiziert. So bastelt das Bauunternehmen Bilfinger und Berger schon seit geraumer Zeit im Rahmen seines gemeinsam mit dem Branchenkollegen Strabag und der Softwareschmiede Nemetschek ins Leben gerufenen Joint Ventures an einem integrierten Portal für die Bauwirtschaft. In die virtuellen Aktivitäten soll über die nächsten drei Jahre kräftig investiert werden. "Mybau.com", so der Name des künftigen Portals, soll der Baubranche in Marktplatzmanier als Plattform für Dienstleistungsangebote, vor allem aber als Kommunikationsfläche dienen.

Auch die Energieversorger wittern ihre Chancen im E-Business: "Im Zuge der aktuellen Liberalisierungsbewegung in den Bereichen Strom und Gas öffnet sich die Branche neuen Märkten", beobachtet Uwe Dannenfeldt, Geschäftsführer der Berlindat, einer IT-Tochter der Berliner Energieversorger Bewag und Gasag. Zugang zu neuen Segmenten werde man sich beispielsweise über Internet-Portale verschaffen. Bei der Bewag befindet sich die E-Business-Planung derzeit noch im Projektstadium, soll aber einen Großteil der diesjährigen Investitionen ausmachen.

Ausbau bestehender ProjekteObwohl die E-Business-Euphorie bereits wieder abzuflauen scheint, verfolgen die Finanzdienstleister unbeirrt den eingeschlagenen Kurs. "Wir werden in diesem Jahr das, was wir im E-Business bereits begonnen haben, vervollständigen", kündigt Norbert Büker, Geschäftsführer der Hypo-Vereinsbank-Tochter HVB Info, an. Allerdings, räumt er ein, habe das diesbezügliche Investitionsengagement den Spitzenwert bereits deutlich überschritten.

Auch für Axel Pols, Referent für Marktforschung und Außenwirtschaft beim Bitkom (Bundesverband der Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien), lautet das derzeitige Zauberwort "E-Business". Das beinhalte sowohl Anschaffungen von Hardware und Software als auch finanzielle Aufwendungen für Services. Mittelständische Firmen seien noch längst nicht so Web-fähig, dass sie ihre Geschäftsprozesse via Internet organisieren könnten. "Die Kleineren werden durch Kooperationen mit großen Partnern gezwungen sein, auf den E-Business-Zug aufzuspringen", erwartet der Bitkom-Referent.

Längerfristige Projekte müssen wartenSkeptischer ist da Dieter Sinn, Geschäftsführer von Sinn-Consulting, München: Aufgrund aktueller Marktbeobachtungen hält es der Unternehmensberater für wahrscheinlich, dass gerade strategische IT-Projekte, die nicht so eilig erscheinen - unter anderem auch E-Business-Aktivitäten -, angesichts der aktuellen Wirtschaftsentwicklung den flauen Gefühlen so mancher Führungskraft zum Opfer fallen könnten. Allerdings, so der Consultant, nicht im Sinne einer grundsätzlichen Abkehr, sondern eines einstweiligen Aufschubs.

Dieser Meinung schließt sich Stefan Maier, Manager bei der Unternehmensberatung KPMG, an. Seiner Einschätzung nach sparen die Firmen weniger in der Hard- und Softwareausstattung, sondern eher beim Internet-Auftritt und verschiedenen E-Business-Aktivitäten. Der ständige Website-Relaunch beispielsweise werde vielerorts nicht mehr als überlebensnotwendig erachtet. Das Internet habe angesichts der Ernüchterung in der New Economy an Attraktivität verloren - vor allem für den Mittelstand. "Hier überwiegt die Meinung: Wir brauchen das, aber es wird kurz- und mittelfristig nicht wesentlich zur Effizienzsteigerung beitragen." Daher würden manche solcher Projekte verschoben. Eine Einstellung, die HVB-Info-Geschäftsführer Büker nachvollziehen kann: "Sollten die deutschen Unternehmen momentan etwas zögerlicher investieren, ist das auf eine ganz natürliche Normalisierung im gesamten E-Business-Umfeld zurückzuführen."

Impulse für den ERP-BereichDen aktuellen Investitionsplänen der Unternehmen zufolge könnten sich neben E-Business-Projekten vor allem ERP-Lösungen zum IT-Verkaufsschlager dieses Jahres mausern. So steht bei Hochland Reich Summer & Co., einem auf Herstellung, Veredelung und Vertrieb von Käseprodukten spezialisierten Unternehmen, derzeit die Internationalisierung des bestehenden SAP-Pakets an. "Der Fokus unserer IT-Investitionen für dieses und das kommende Jahr liegt auf der Erweiterung der SAP-Lizenzen sowie auf der diesbezüglichen Beratung in den internationalen Landesgesellschaften", fasst Uwe Brück, Leiter Controlling, die IT-Aktivitäten seines Unternehmens zusammen.

In der Energiewirtschaft erfreut sich Standardsoftware etwa von SAP ebenfalls großer Beliebtheit. Nach Angaben der Berlindat ist beispielsweise die Billing-Software der Walldorfer gerade bei mittleren und kleineren Stadtwerken sehr gefragt, die sich bisher mit individuellen Lösungen beholfen hätten. "Diese funktionieren in den kommenden, liberalisierten Strukuren aber nicht mehr", erklärt Berlindat-Chef Dannenfeldt. Daher sei es notwendig, auf Standardanwendungen umzusteigen, die die gewandelten Preis- und Tarifstrukturen unterstützten. "Neu aufgesetzte Verfahren - etwa bei der Abrechnung für Energiekunden oder der Neubündelung von Leistungspaketen - erfordern dringend die Einführung neuer Anwendungen."

Der Automobilkonzern BMW konzentriert sich im laufenden Jahr neben E-Business-Aktivitäten vor allem auf CRM-Produkte wie Call-Center-Systeme. Zudem gehören eine bessere Integration der Lieferanten sowie die Einführung hochwertigerer Zahlungssysteme zu den IT-bezogenen Konzernzielen für dieses Jahr. "Uns liegt weniger daran, das Zehn-Tage-Auto zu realisieren, als absolut zuverlässige Lieferzusagen treffen zu können", beschreibt Suchla.

Im deutschen Einzelhandel herrscht aufgrund der für Anfang 2002 anstehenden Einführung des Euro derzeit eine Sondersituation. Eng daran gekoppelt ist die rechtzeitige Einführung Euro-fähiger Warenwirtschaftssysteme. Vor diesem Hintergrund hat die Metro AG ein neues Warenwirtschaftssystem für den Einzelhandel konzipiert, das noch im Laufe dieses Jahres in rund 800 Märkten eingeführt werden soll. Ferner will der Konzern in den Ausbau der ebenfalls eigenentwickelten Data-Warehouse-Lösung investieren.

Wirtschaftsabkühlung kein ThemaVon konjunkturellen Schwankungen scheinen sich deutsche Firmen demnach nicht sonderlich beirren zu lassen. "Wenn überhaupt, dann sind die Folgen der US-Flaute nur mit großem Zeitverzug zu spüren", glaubt Peter Engel, IT-Leiter bei der Flughafen Hamburg GmbH. "Der Konjunkturrückgang in den USA ist in hohem Maße eine inneramerikanische Angelegenheit und die Infektionsgefahr für Deutschland zunächst einmal gering", meint auch Büker von HVB Info.

Die IT-Infrastruktur hat für die Aufrechterhaltung des operativen Geschäfts mittlerweile einen so hohen Stellenwert, dass hier nicht gespart werden darf, so der allgemeine Tenor. "Unsere IT-Investitionspläne bleiben von der Konjunkturabkühlung weitgehend unbehelligt", erklärt Brück von Hochland Reich Summer & Co stellvertretend für viele Branchen.

Olaf Roik, volkswirtschaftlicher Referent beim Hauptverband des deutschen Einzelhandels (HDE), räumt zwar ein, seine Branche habe mit zunehmender Besorgnis auf den Verfall der Aktienkurse reagiert, da dieser den privaten Haushalten einen Teil ihrer Liquidität entziehe. Dennoch sei die Stimmung im Einzelhandel schlechter als die tatsächliche Situation. Dank der zusätzlichen Haushaltseinnahmen durch die Steuerreform werde der Konsum aber steigen. "Wir rechnen für dieses Jahr mit einem Umsatzplus von zwei Prozent - das wäre das beste Ergebnis der letzten fünf Jahre", so Roik.

Der Verbandsreferent geht daher nicht davon aus, dass der Einzelhandel seine IT-Ausgaben zurückfahren wird. Vor allem durch die bevorstehende Euro-Umstellung fielen enorme Investitionen in diesem Bereich an. "Und Ausgaben, die mit der Euro-Einführung zusammenhängen, kann man nicht einfach hinausschieben, nur weil sich die Wirtschaftslage verschlechtert hat." Auch die Metro AG will eigenen Angaben zufolge in diesem Jahr nicht weniger ausgeben als 2000. "Wir werden zwar einige Projekte verschieben - das hat jedoch in der Regel konzerninterne Gründe", versichert Sprecherin Simone Schiffner-Backhaus.

Ungebremste InvestitionslustVon einem Einfrieren oder gar Zurückfahren geplanter IT-Investitionen kann demnach nicht die Rede sein. Schenkt man den Unternehmen Glauben, nehmen die Ausgaben für IT-Projekte in diesem Jahr sogar noch zu. "Wir sehen in solchen Investitionen einen wesentlichen Beitrag zur Zukunftssicherheit unseres Unternehmens", heißt es etwa bei BMW. Man werde eher mehr in die IT investieren als im Hinblick auf eine mögliche gesamtkonjunkturelle Abschwächung sparen. Das Argument, exportorientierte Branchen wie die Automobilindustrie seien von der Wirtschaftsentwicklung in den USA in besonderem Maße abhängig, hat für E-Business-Projektleiter Suchla keinen Bestand. "Unser Marktsegment erfreut sich zunehmender Beliebtheit - selbst in den USA brummt das Geschäft wie nie zuvor."

Bei der LVM-Versicherung ist man derzeit bei IT-Projekten ebenfalls spendabler als in den vergangenen Jahren. "Solche Investitionen hängen zwar auch von der Geschäftsentwicklung ab, und natürlich versuchen wir, Kosten zu senken - wir sehen jedoch keinen Grund, die bis Ende 2003 laufenden Budgetpläne zu korrigieren", so Helmut Arz, Leiter der Anwendungs- und Organisationsentwicklung.

Branchenverbände schlagen in dieselbe Kerbe. So bezweifelt Bitkom-Referent Pols, "dass sich die hiesigen Unternehmen so große Sorgen machen, dass sie gleich ihre Budgets zusammenstreichen - nur weil das Wirtschaftswachstum jetzt nicht mehr bei 2,5, sondern nur noch bei 2,2 Prozent liegt".

Auch KPMG-Manager Stefan Maier hält den Kostendruck momentan für relativ gering. Abgesehen von den Techologieanbietern stehe das Gros der deutschen Unternehmen sehr gut da. Und wenn an der IT gespart werde, dann nur bei diskreten Kosten - etwa Ersatzinvestitionen wie neuen PCs. "Aber die Beschneidung von Ausgaben im Bereich Forschung und Entwicklung können sich speziell börsennotierte, innovative Unternehmen nicht erlauben."

Analysten betrachten die Lage hingegen kritischer. "Die Unternehmen werden in diesem Jahr etwas zurückhaltender in ihre IT investieren", schätzt Luis Praxmarer, Vorstandsvorsitzender der Meta Group. Seiner Ansicht nach wirkt sich der Einfluss der US-Wirtschaft auf die hiesige Konjunktur durchaus auf die Investitionsbereitschaft deutscher Firmen aus. Allerdings geht der Experte davon aus, dass geplante IT-Ausgaben nicht aufgehoben, sondern lediglich etwas aufgeschoben werden.

Selektivere BudgetverwendungVor allem bei strategischen, oft längerfristigen Themen - etwa E-Business-Aktivitäten, der Einführung von CRM-Software oder Wissens-Management-, Internet- und Extranet-Projekten mit aufwändiger Personalisierung - rechnet auch Consultant Sinn in diesem Jahr mit etwas mehr Zurückhaltung.

Nach Ansicht von HDE-Referent Roik weigern sich vor allem kleine und mittlere Unternehmen zunehmend, jeden Softwaretrend mitzumachen. Aber auch größere Kaliber halten sich hier zurück. "Wir legen Wert darauf, die besten verfügbaren Werkzeuge einzusetzen, aber es muss nicht immer die neueste Version sein", meint Theodor Siepe, Pressesprecher beim Haushaltsgeräte-Hersteller Miele.

Solche Überlegungen hält Sinn für durchaus angebracht. Die ständigen Neuanschaffungen im PC-Bereich sind seiner Meinung nach häufig überflüssig. "Wenn Firmen schlau sind, dann überlegen sie sich, was ihre Geschäfte wirklich weiterbringt." Immer mehr Unternehmen dächten inzwischen darüber nach, ob sie die nächste Betriebssystem- oder Office-Version tatsächlich benötigen. "Im Zuge einer zusehends selektiveren Budgetverwendung wird hier wohl am ehesten eingespart."

Zudem weist der Unternehmensberater auf die allgemeinen wirtschaftlichen Konsequenzen der momentanen Abkühlung hin. Seiner Einschätzung nach ziehen vor allem Großunternehmen IT-Aufträge angesichts der sich abzeichnenden Flaute zurück, um Geld frei zu bekommen - und lösen damit eine für das Wirtschaftsgeschehen typische Kettenreaktion aus. Finanzdienstleister machten hier den Anfang, da sich wirtschaftliche Veränderungen zuallererst auf ihre Geschäftszahlen niederschlügen. "Das erinnert stark an die Abläufe eines klassischen Konjunkturabschwungs: Noch bevor es tatsächlich bergab geht, treten die Firmen hier und da auf die Bremse, und damit verstärken sich die Effekte gegenseitig." Solche Erscheinungen wiederholten sich ungefähr alle sieben Jahre - 1993 und 1987 sei es zu ähnlichen Einbrüchen gekommen. Der Berater geht davon aus, dass die rezessiven Tendenzen noch in diesem und im nächsten Jahr spürbar sein werden.

Wacklige PrognosenNoch stehen die Zeichen in der deutschen Unternehmenslandschaft nicht auf Sturm. Dunkle Wolken lassen sich allerdings bereits erahnen. "Es wird sich wohl jeder Gedanken um das zweite Halbjahr machen", mutmaßt Bitkom-Experte Pols. Zwar werde eine Verbesserung prophezeit. Solche Aussagen seien im Augenblick jedoch noch reine Spekulation. "Falls sich in den USA wider Erwarten keine konjunkturelle Festigung abzeichnet und man die Prognosen für Europa noch weiter nach unten korrigiert, dann ist nicht auszuschließen, dass die IT-Budgets im zweiten Halbjahr - soweit dies kurzfristig möglich ist - zusammengestrichen werden."

Katharina Friedmann, Sabine Prehl

IT-Planung flexibelDas weit verbreitete Argument der Unternehmen, IT-Projekte seien langfristig angelegt und ließen sich nicht an Konjunkturschwankungen anpassen, hält Unternehmensberater Dieter Sinn in vielen Fällen für fadenscheinig. Die IT-Manager planten und erhielten ihre Budgets für das jeweils folgende Geschäftsjahr. Dennoch lasse sich - speziell bei größeren Anschaffungen, die von der Geschäftsleitung genehmigt werden müssen - auch im laufenden Jahr noch ein Riegel vorschieben. "Aber sowohl IT-Anwender als auch -Anbieter kommunizieren die aktuelle Entwicklung ungern nach außen", vermutet Sinn. "Wer will schon gerne Sparmaßnahmen oder Umsatzeinbrüche freiwillig eingestehen?"