IT im Gesundheitswesen: Leere Kassen aber hoher Technikbedarf

07.12.2001
Von Angelika Fritsche

 Allerdings, so die Erkenntnisse der Unternehmensberater, müssten die Angebote künftig "patientenorientierter" ausgerichtet sein: "Das Marketing der Medizintechnik-Unternehmen wird derzeit mit tief greifenden Veränderungen konfrontiert, insbesondere was die anzusprechenden Zielgruppen angeht. Das ursprünglich ausschließlich auf den Entscheider ausgerichtete Marketing entwickelt sich immer mehr zu integrierten Konzepten, die sämtliche Marktpartner und die Öffentlichkeit in die Betrachtung einbeziehen." Um diese in Zukunft besser bedienen zu können, seien mehr Service, wie zum Beispiel umfangreiche und schnelle "Links" zu anderen Websites, einfachere Bedieneroberflächen oder Online-Konferenzen zur aktiven Kommunikation mit den Patienten notwendig.

Reform lässt auf sich warten

Der erhebliche Investitionsstau im deutschen Gesundheitswesen bereitet jedoch nicht nur der Medizintechnik-Branche und den auf Radiologie- oder Krankenhausinformationssysteme (RIS und KIS) spezialisierten Softwareanbietern heftiges Kopfzerbrechen, sondern zeigt auch folgenschwere Auswirkungen auf die seit Jahren angemahnte Reform des verkrusteten Gesundheitssystems: Das betrifft zum Beispiel die von Experten als unflexibel kritisierten Finanzierungsregeln der gesetzlichen Krankenversicherung.

Diese sollten ursprünglich bis zum Jahr 2002 durch die Einführung eines diagnosebezogenen Vergütungssystems im deutschen Krankenhaussektor vereinfacht werden. Das Novum daran: Bisher rechnen die Krankenhäuser mit den Krankenkassen pro Patient nach Tagessätzen ab; künftig soll dies pro diagnostizierter Krankheit erfolgen. Erhoffter Vorteil: Die Abrechnungen der einzelnen Krankenhäuser könnten somit transparenter und vergleichbarer werden und folglich dem staatlichen Gesundheitswesen nennenswerte Einsparpotenziale bescheren. Doch dafür müssen zunächst einmal alle IT-gestützten Abrechnungssysteme komplett umgerüstet werden - und das stellt die Krankenhäuser vor erhebliche finanzielle Probleme: "Wenn man sowieso mit Engpässen zu kämpfen hat, dann sieht man eine Investition in IT-Lösungen erst einmal nicht ein", skizziert Siemens-Mann Opderbeck die prekäre Situation.

Das IT-Budget der Krankenhäuser sei zu klein, um die informationstechnologischen Strukturen zügig umzubauen. Deshalb wurde die für das kommende Jahr geplante Einführung des neuen Abrechnungssystems jetzt auf 2003 oder gar 2004 verschoben, berichtet Hollmann. Die Crux daran beschreibt Andreas Bätzel, Referent für gesundheitspolitische Fragen bei: "Das neue Vergütungssystem wird eine massive Umstrukturierung im Krankenhaussektor erfordern, weil noch strenger nach betriebswirtschaftlichen Regeln gearbeitet werden muss. Die Optimierung der Abläufe, unterstützt durch Vernetzung und IT-Anwendungen, ist jetzt anzugehen, damit das eingesparte Geld nicht durch ineffiziente Organisationsstrukturen verloren geht."

Datenbank für Gesundheitsprofile

Doch die schwache Investitionskraft des öffentlichen Gesundheitssystems könnte zur Folge haben, das die im Rahmen des diagnosebezogenen Vergütungssystems angeregten organisatorischen Neuerungen und Effizienzverbesserungen zum bloßen Papiertiger werden. Dazu gehört zum Beispiel die Vernetzung medizinischer Geräte und Anlagen durch moderne Informations- und Kommunikationstechnologien, so Bätzel. Die krankenhaus- sowie praxenübergreifende Vernetzung völlig verschiedener Geräte und Systeme sowie der Aufbau gemeinsam nutzbarer Datenbanken seien ein nächster wichtiger Schritt: "Das ist ein Ziel, von dem wir noch sehr weit entfernt sind. Doch der Trend geht eindeutig in Richtung Vernetzung und weg vom einzelnen Gerät."

Dadurch könnten Ärzte ortsunabhängig Befunde erstellen, wenn etwa ein Patient schwer verletzt in die Notaufnahme eingeliefert wird und sich sein Gesundheitsprofil per Datenbank in Sekundenschnelle in jedem beliebigen Krankenhaus abrufen lässt. Allerdings lassen sich solche Möglichkeiten nur partiell ausschöpfen, weil häufig die Fachleute fehlen. "Viele Informatiker gehen nicht in die Medizin, weil dort nicht genug bezahlt wird", nennt Dietrich Peter Pretschner, Professor für Nuklearmedizin und Medizinische Informatik an der Technischen Universität Braunschweig, ein weiteres Problem, mit denen die am öffentlichen Gesundheitstopf hängenden Einrichtungen zu kämpfen haben.

"Selbst wenn genügend Geld für die technische Ausrüstung zur Verfügung steht, mangelt es oft an Profis, welche die Computer bedienen, aber auch an Forschern, die Medizininformatik betreiben können." In den großen Klinken würden, so Pretschner, die komplexen technischen Systeme häufig von Medizinern bedient. "Doch die meisten Ärzte wollen sich nicht in der Technik verlieren, sondern am Menschen arbeiten, und brauchen einen Partner, der die Technik für sie verlässlich handhabt." Neben den klassischen Berufsprofilen sind also dringend neue Spezialisierungen gefragt. "Allein der Schritt vom Röntgenfilm zu digitalen Bildern, die man am Bildschirm bewegen und bearbeiten kann, ist gerade für alteingesessene Ärzte ein Quantensprung", lauten auch die Erfahrungen von ZVEI-Referent Bätzel.

Mehrfachqualifikationen, die medizinisches, technisches und ökonomisches Know-how bündeln, sind unabdingbar, um beispielsweise die geplanten Umstrukturierungen in den Krankenhäusern zu forcieren. Teamwork und Kooperationsbereitschaft über Abteilungsgrenzen hinaus, so Bätzel, seien notwendig, damit die neuen Technologien möglichst optimal genutzt werden können. Als Mittler zwischen den verschiedenen Abteilungen versteht sich auch Michael Thieme, Facharzt für Anästhesie und Medizininformatiker, der seit dem Jahr 2000 in einer Klinik in Weimar unter anderem für die Implementierung des neuen Abrechnungssystems und das Controlling zuständig ist.