Droht der Branche ein Absturz an den Aktienmärkten?

IT-Hersteller machen die Börsen-Achterbahnfahrt mit

14.11.1997

Der 27. Oktober 1997 hat sich bis auf weiteres seinen Nimbus als historischer "Schwarzer Montag" gesichert: Nachdem, wie Fachleute es formulierten, die Börse in Hongkong "Achterbahn fuhr", zog die Wall Street mit zum Teil erdrutschartigen Verlusten nach. Der Dow-Jones-Index sank um 554 Punkte auf 7161 Zähler und verlor damit seit seinem All-Time-High am 6. August von 8258 Punkten 13,3 Prozent. Niemals zuvor war das weltweit wichtigste Börsenbarometer an einem Tag punktemäßig in einem solchen Ausmaß abgestürzt. Der bis dahin als "Schwarzer Montag" geltende 19. Oktober 1987 hatte mit einem Minus von 508 Punkten oder 22,6 Prozent den bisherigen Rekord gehalten.

Auch der sogenannte Nasdaq-Composite-Index brach als Sammelwert der weltweit wichtigsten IT-Hersteller um mehr als 115 Punkte oder sieben Prozent ein. Die Intel-Aktie fiel von 80 auf 74,74 Dollar, die Notiz von Compaq von 68,75 auf 60,50 Dollar. Branchenführer IBM mußte einen Kursverlust von 98 auf 90 Dollar hinnehmen; die Aktien von Cisco Systems, Microsoft und Dell sowie anderer führender Hersteller schlossen mit einem vergleichbaren Minus ab. Besonders schlimm erwischte es Yahoo: Das Papier des Anbieters des gleichnamigen Internet-Suchdienstes büßte mehr als 20 Prozent ein. Auch andere Internet-Companies wie Lycos und Infoseek verloren überdurchschnittlich.

Wer allerdings geglaubt hatte, der vom vielzitierten US-amerikanischen Notenbank-Präsidenten Alan Greespan schon Ende 1996 vorhergesagte Crash, das "Platzen der irrationalen Luftblase", habe sich eingestellt, sah sich getäuscht. Schon einen Tag später meldete die Wall Street eine merkliche Erholung; der Dow Jones zog wieder um 337, der Nasdaq-Index um immerhin 65 Punkte an.

Analysten waren denn auch schnell bemüht, die panikartige Stimmung des Vortags schönzureden (erstmals wurde in New York für rund eine halbe Stunde von der seit 1987 möglichen Unterbrechung des Aktienhandels Gebrauch gemacht). Der Kursverlust des Dow Jones an besagtem Montag von 7,2 Prozent sei für sich genommen nicht dramatisch gewesen; die US-Wirtschaft sei im Gegensatz zu der in Hongkong und Südostasien gesund, hieß es.

Ganz auf Schadensbegrenzung eingestellt waren auch die IT-Branchenkenner. Der Markt hat "kosmetische Korrekturen" vorgenommen, gilt seit rund zwei Wochen als offizielle Sprachregelung auf dem New Yorker Börsenparkett - insbesondere hätten sich viele der institutionellen Anleger angesichts drohender noch schwererer Verluste von großen Beständen an Internet-Titeln in ihren Portfolios getrennt. Daß indes der Kursverlust bei so gut wie allen wichtigen IT-Herstellern außer der kurzzeitigen, in Hongkong ausgelösten Baisse noch andere, strukturelle Gründe hat, gilt unter Insidern als ausgemacht.

In letzter Zeit kam es jedenfalls für die verwöhnte IT-Branche auffallend häufig vor, daß die Quartalsgewinne der Hersteller hinter den Prognosen der Analysten zurückgeblieben sind - Intel war das jüngste prominente Beispiel. Immer mehr ist deshalb - auch unter Börsianern - trotz anhaltend guter Marktprognosen von überzogenenen Gewinnerwartungen die Rede und von der Tatsache, daß dem 27. Oktober durchaus weitere schwarze IT-Börsentage folgen könnten. Nicht nur viele der Internet-Firmen, sondern die ganze IT-Branche sei überwertet, urteilen immer mehr Kenner der Finanzwelt. Als Beleg für diese These gilt unter anderem Cisco Systems - eine Company, deren Marktkapitalisierung (= Wert aller im Umlauf befindlichen Aktien) mit umgerechnet mehr als 100 Milliarden Mark weit höher ist als etwa der von Siemens, Daimler-Benz oder der zehn wichtigsten Wettbewerber von Cisco zusammen.

Wie sensibel das (IT-)Börsengeschehen reagiert, zeigte sich auch daran, daß offensichtlich erst ein von IBM einen Tag nach dem Crash angekündigtes Aktienrückkaufprogramm im Wert von 3,5 Milliarden Dollar den Markt beruhigen konnte. "IBM hat die Leute zur Besinnung gebracht", kommentierte ein Händler die Trendumkehr. Andere Experten werteten indes die von Big Blue als routinemäßige Maßnahme dargestellte Entscheidung als gezielten Stützungskauf für die eigene Notiz. IBM gelang es jedenfalls, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Nachdem die Aktie kurzzeitig sogar auf unter 90 Dollar gefallen war, machte sie in der Folge mehr als neun Dollar gut. Viel wichtiger für den Branchenprimus dürfte aber die Tatsache gewesen sein, daß das eigene Papier seine Position als Trendsetter der IT-Titel an der Wall Street untermauern konnte.

Ein Wert entwickelte sich übrigens in den zurückliegenden Wochen völlig gegen den Trend: die Aktie von Apple. Als einziger IT-Titel zeigte sich das Papier der Macintosh-Company unbeeindruckt und blieb bei einem Kurs von rund 18 Dollar stabil, was sogar dazu führte, daß einige Broker ihre Empfehlung von "verkaufen" auf "halten" änderten. Man gehe davon aus, daß es bald positivere Nachrichten aus dem Unternehmen gebe, hieß es dazu lapidar.

Daß in der IT-Welt nicht alles Gold ist, was glänzt, machte die jüngste Baisse an den Börsen auch noch an einem ganz anderen Punkt deutlich. Das hektische Kaufen und Verkaufen sorgte am Tag nach dem Crash für eine neue Rekordmarke: Mehr als eine Milliarde Transaktionen wurden an der New York Stock Exchange nach Börsenschluß registriert - mit einem fatalen Nebeneffekt. Der immer populärer werdende Online-Handel namhafter Kapitalanlage-Gesellschaften wie Merrill Lynch und Charles Schwab, aber auch spezieller Internet-Broker wie E-Trade brach völlig zusammen. Letztgenannte Gesellschaft machte dafür allerdings nicht ihre eigenen Server, sondern "Kapazitätsprobleme im Internet" verantwortlich. Großzügiger gibt sich in diesem Zusammennhang Merril Lynch Für Kunden, denen aufgrund aufgetretener Zeitverzögerungen im Online-Handel ein nachweisbarer Schaden entstanden ist, wurde ein Fonds von zunächst zehn Millionen Dollar eingerichtet.