Konzept der Appliance-Server wirft Fragen auf

IT-Hersteller haben den schlanken Server entdeckt

18.06.1999
MÜNCHEN (wh) - Kaum hat die IT-Industrie die Vorteile konsolidierter DV-Systeme kommuniziert, schlagen einige Hersteller scheinbar wieder eine andere Richtung ein. Schlanke "Appliance-Server" sollen bestimmte IT-Funktionen effizienter ausführen und zentrale Rechner entlasten.

Wieder einmal sind es einschlägige Beratungshäuser und die IT-Anbieter selbst, die einen neuen Markt ausgemacht haben wollen. Die Analysten von Merrill Lynch etwa prognostizieren dem Markt für sogenannte Server-Appliances ein Umsatzwachstum von 1,1 Milliarden Dollar im Jahr 1997 auf rund 16 Milliarden Dollar im Jahr 2002. Ähnliche Zahlen legte das Marktforschungshaus Dataquest vor.

Nach der Lesart der Hardware-Anbieter handelt es sich bei Appliance-Servern um speziell auf eine Aufgabe zugeschnittene Rechner, beispielsweise für die Zwischenspeicherung von Web-Inhalten (Caching). Für die abgespeckten Rechner führen die Marketiers Argumente wie einfache Handhabung, Stabilität, niedrige Preise und eine hohe Verarbeitungsleistung für die jeweils auszuführende Funktion an.

In den kommenden Monaten ist eine Flut entsprechender Produkte von großen wie auch von weniger bedeutenden Anbietern zu erwarten. Compaq etwa will ab Juli 1999 unter der Bezeichnung "Tasksmart C" drei Appliance-Server anbieten (siehe CW 22/99, Seite 14). Das High-end-Modell soll vor allem Käufer unter den Internet-Service-Providern (ISPs) finden. Die Texaner setzen eigene Hardware ein und verknüpfen diese mit der Caching-Software von Novell. Die Tasksmart-Server arbeiten nicht mit Windows, sondern mit einer speziellen Version von Novell Netware. Der Kernel des Betriebssystems wurde Herstellerangaben zufolge verändert, um Web-Objekte effizienter zwischenspeichern zu können. Dadurch ergäbe sich eine höhere Performance. Dell hat die "Internet Caching System" (ICS) genannte Software von Novell ebenfalls in Lizenz genommen. Compaq entwickelt darüber hinaus Appliance-Server für Speicheraufgaben. Ferner denkt man in Houston über spezialisierte Computer für Datenbanken, E-Mail, Sicherheit und Telefonie nach. Für das Jahresende ist ein entsprechender File-Server geplant.

Die schlanken Rechner sollen sich insbesondere für Außenstellen größerer Unternehmen eignen. Dort könnten auch ungeschulte Mitarbeiter Anwendungen auf schlüsselfertigen Systemen fahren, die von der zentralen IT-Abteilung ferngesteuert würden. Laut John Young, Director für Appliance and Communication Server bei Compaq, ist das zentrale Argument für solche Geräte deren Einfachheit. "IT-Manager und ISPs haben keine Lust, für entfernte Standorte den Babysitter zu spielen. Deshalb haben wir alle Komponenten entfernt, die nicht unbedingt erforderlich sind." Weniger Bauteile ermöglichten eine einfachere Konfiguration und höhere Verläßlichkeit.

Neben Compaq und dem PC-Direktvertreiber Dell, der bereits im April 1999 einen dedizierten File-Server für Network Attached Storage (NAS) vorstellte, bieten etliche andere Hersteller schon seit längerem spezialisierte Server-Systeme an.

Dazu gehören etwa Network Appliance, Auspex oder Cobalt Networks. Im Dezember 1998 hat sich unter der Federführung von Intel ein Konsortium zusammengefunden, das Spezifikationen für Thin Server herausbringen will. Der "Server Appliance Design Guide" soll Richtlinien für Hard- und Software festschreiben, anhand derer die Hersteller Server für dedizierte Aufgaben entwerfen können (siehe CW 51/98, Seite 28).

IBM plant schlanke RS/6000-Server

Das jüngste Beispiel liefert IBM mit seinen unter dem Codenamen "Pizzazz" gehandelten Rechnern, die voraussichtlich im September auf den Markt kommen. Nach Angaben der US-Zentrale handelt es sich dabei um eine Reihe von billigen Unix-Servern, die jeweils für eine spezielle Anwendung ausgelegt sind. Big Blue plant demzufolge, die Pizzazz-Rechner als Basis für eine Reihe unterschiedlicher Appliance-Server zu nutzen. Diese ließen sich etwa als Web-Server oder Firewalls konfigurieren. IBM-Manager Tim Dougherty kann sich auch sogenannte Application-Service-Provider (ASPs) als Abnehmer vorstellen. ASPs vermieten ihren Kunden Zugang zu komplexen Anwendungen; Benutzer ersparen sich die aufwendige Pflege und Verwaltung der Software.

Ob die Pizzazz-Rechner aber eine neue Produktgattung darstellen, darf bezweifelt werden. In der deutschen IBM-Dependance hält man sich diesbezüglich zwar noch bedeckt, da die Produkte hierzulande noch nicht angekündigt sind. Bernd Rubisch aus dem RS/6000-Produkt-Management verrät aber, bei den Pizzazz-Servern handele es sich schlicht um eine Low-end-Variante der RS/6000-Rechner, die sich in ein Rack einbaue lasse. "Das ist im Grunde nichts anderes als ein Rackmount-Entry-Server." Auch softwareseitig sieht er keine Unterschiede zu anderen RS/6000-Systemen. Die "neuen" Server würden mit der AIX-Version 4.3.2 ausgeliefert.

Ähnliche Pläne scheint Sun Microsystems zu verfolgen. Der Hersteller wird in Kürze seine flachen "Flapjack"-Server ankündigen, die vor allem bei Internet-Service-Providern installiert werden sollen. Marketing-Manager Michael Schroeder räumt ein, daß sich die Rechner in erster Linie durch das "Packaging", also die Ausmaße, und durch erweiterte Verwaltungsfunktionen von herkömmlichen Servern unterscheiden werden.

Gerade für ISPs komme es darauf an, möglichst viele dieser Geräte auf engstem Raum unterzubringen, argumentiert Schroeder. Aufgrund der flachen Bauweise seien die Appliance-Server leicht zu stapeln. So könnten Kunden viele dieser Geräte in 19-Zoll-Schränke einbauen. Ein weiteres Argument für Anwender aus dem ISP-Segment sei die Forderung nach einem "Lights-out-Management". Im Extremfall müßten sich Hunderte von Appliance-Servern ohne Personal vor Ort aus der Ferne verwalten lassen.

Brian Richardson von der Meta Group in Stamford, Connecticut, will dieses Argument nicht gelten lassen: "Ich sehe hier keine Unterschiede zu Standard-Servern", erklärte der Analyst gegenüber der CW: "Es ist schwer vorstellbar, warum solche Maschinen Vorteile hinsichtlich Verfügbarkeit, Verläßlichkeit oder Verwaltbarkeit haben sollen, sieht man einmal von dem praktischeren Formfaktor ab." Funktionen für eine Fernverwaltung ließen sich mit jedem anderen Server auch realisieren.

Auch das Argument, Appliance-Server würden zu günstigeren Preisen als herkömmliche Server angeboten, relativiert sich bei genauerem Hinsehen. Schon das Basismodell von Compaqs Tasksmart-Servern etwa wird rund 10000 Dollar kosten. Für die Hochgeschwindigkeits-File-Server von Network Appliance können Anwender je nach Ausstattung leicht mehrere zehntausend Dollar ausgeben.

Sun-Manager Schroeder will nicht mit niedrigeren Anschaffungskosten werben: "Das ist sicher in dieser Form nicht richtig." Ein Flapjack-Server werde sich hinsichtlich der Anschaffungskosten nicht wesentlich von einem Standard-Server mit vergleichbarer Leistung unterscheiden. Einsparungen ergäben sich aber in puncto Betriebskosten. Auch der geringere Platzbedarf der Rechner spiele dabei eine Rolle. Richardson teilt diese Einschätzung: "Das Platzangebot in Rechenzentren wird wieder ein Problem." Deshalb gingen etliche Rechnerhersteller dazu über, kleinere Formfaktoren anzubieten.

Trotz dieser Vorteile gibt es gewichtige Einwände gegen den Einsatz von Appliance-Servern. Die einst für IT-Konsolidierungen angeführten Argumente - etwa geringerer Verwaltungsaufwand durch weniger installierte Rechner oder erhöhte Datensicherheit aufgrund zentraler Kontrollmechanismen - werden damit ins Gegenteil verkehrt.

Bei Sun Microsystems, wo man heftig für eine Zentralisierung von IT-Funktionen eintritt, kann man diese Kritik nachvollziehen. Marketing-Manager Schroeder: "Das diskutieren wir immer wieder mit Kunden aus dem ISP-Segment." Aus dem Blickwinkel einer Konsolidierungsstrategie ergäben spezialisierte Server keinen Sinn. ISPs verlangten dennoch nach solchen Lösungen. Aus deren Sicht ließen sich Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit ihrer IT-Umgebungen mit Spezial-Servern effektiver realisieren. Falle beispielsweise ein einzelner Thin Server in einem Server-Stapel aus, sei lediglich der Zugang der dort gespeicherten Web-Site versperrt. Laut Schroeder geht der Trend aber in allen anderen Branchen eindeutig in Richtung Konsolidierung.

Ungeachtet solcher Erwägungen bleibt die Frage, ob die Mini-Server Anwendern tatsächlich zusätzlichen Nutzen bieten können. Meta-Group-Analyst Richardson kommt zu einer nüchternen Einschätzung: "Ich glaube nicht, daß das wirklich etwas Neues ist. Es geht einzig und allein um Marketing-Positionierung. Anwendungsspezifische Server können bestenfalls Marktnischen bedienen."