Von wegen Innovationsmotor

IT-Chefs in der Rolle des Spielverderbers

30.09.2014
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.
Ob Social, Agile, Mobile oder Big Data - viele der aktuellen Technologiethemen, so zeigte eine Diskussion auf der CITE-Konferenz in München, fordern massiv die Backend-IT. IT-Chefs fühlen sich oft als Spaßbremse, weil sie der Stabilität der Systeme Vorrang geben müssen.
CITE steht für "Consumerization of IT in the Enterprise". Zum ersten Mal fand die Konferenz auch in Deutschland statt.
CITE steht für "Consumerization of IT in the Enterprise". Zum ersten Mal fand die Konferenz auch in Deutschland statt.

Wettbewerbsfähigkeit hängt in Zeiten der Digitalisierung auch davon ab, ob es einem Unternehmen gelingt, IT intelligent und innovativ einzusetzen. Im Workshop "IT und Innovation" trat auf der CITE-Konferenz in München allerdings schnell Ernüchterung ein. Viele IT-Abteilungen sehen sich angesichts eines immer komplexeren IT-Betriebs bei gleichzeitiger Budgetknappheit kaum in der Lage, die ihnen zugedachte Aufgabe als Innovationsmotor anzunehmen.

Eines der großen Probleme ist die zunehmende Komplexität im Backend, die auch entsteht, weil in vielen Bereichen die Ordnung verloren zu gehen droht. "Rapid Prototyping und Agile Development sind tolle Entwicklungen", sagte ein an der Diskussion teilnehmender CIO. Man komme schnell zu Ergebnissen, was die Fachabteilungen begrüßten. Doch die Rechnung dafür zahle die IT mit ihren Basissystemen.

"Im Backend hat irgendwann nichts mehr funktioniert"

"Unsere Test- und Productivity-Systeme sind nach einer Weile voll auseinandergelaufen. Der Vertrieb war zwar begeistert, aber im Backend hat irgendwann nichts mehr funktioniert." Man habe die Systeme aufwendig stabilisieren und auf den neuesten Stand bringen müssen - Aufgaben, mit denen in diesen Zeiten kaum Lorbeeren zu verdienen sind. In dieser Phase war es zunächst vorbei mit der Rolle des agilen Innovators. Die IT fiel - zumindest von außen betrachtet - zurück in die Rolle des trägen Verhinderers.

Trotz solcher Probleme zeigte die Diskussion, dass es in vielen Punkten Einigkeit gibt. Weder die IT- noch die Fachabteilung können Innovationen im Alleingang vorantreiben, so der Konsens, Zusammenarbeit sei der Schlüssel zum Erfolg. So sagte Wolfgang Schwab, Manager Advisor bei der Experton Group: "Nur über IT einen längerfristigen Wettbewerbsvorsprung zu schaffen, ist aussichtslos. Es geht darum, Produkte und Services mit Hilfe von IT zu innovieren."

Auch mal Risiken eingehen

Voraussetzung dafür sei aber, dass die IT-Mitarbeiter die Geschäftsprozesse ihres Unternehmens genau kennen. Dazu bedürfe es in vielen Firmen auch eines Kulturwandels in den IT-Abteilungen: Wer Ideengeber sein will, muss proaktiv agieren und auch mal Risiken eingehen. "Sicher genug" sei das neue Motto.

Diesem Gedanken wollten nicht alle Diskutanten folgen. Sicherheit sei der wichtigste Faktor, an dem sie gemessen würden, hielten sie dagegen. Allerdings sahen auch sie den einschränkenden Charakter, den ein Zuviel an Sicherheit mit sich bringe. So machten allzu "kastrierte Endgeräte", wie ein Diskutant sagte, den Anwendern keinen Spaß. Das Image der IT leide darunter.

"IT-Abteilungen müssen ihre Kulturen ändern", empfahl Schwab. Es gehe auch darum, Risiken zu akzeptieren - in einem kontrollierbaren Umfang. Um in Sachen Innovation voran zu kommen, schlug der Analyst vor, Business-Experten aus den Fachabteilungen mit ausreichendem Technologieverständnis in die IT-Abteilung zu holen, weniger relevante Aufgaben konsequent auszulagern und sich Budgets kreativ zu beschaffen - beispielsweise, indem durch Outsourcing und Automatisierung entstehende Puffer entsprechend allokiert oder Töpfe anderer Abteilungen, etwa das Business Development, angezapft werden.

Kein Budget für Innovationen

Dass es nur so gehen kann, stand auch für die meisten anderen Diskussionsteilnehmer außer Frage. "Kaum jemand hat ein Budget für Innovationen oder für neue Themen" sagte ein CIO. "Sie können Budgets für neue Produkte oder schnellere Prozesse anfordern, nicht für Innovationen", bestätigte ein anderer. "Dafür kriegen Sie kein Geld!"

Schwab appellierte an die IT-Macher, sich nicht die Butter vom Brot nehmen zu lassen. "Ein Mangel an Visionen und Führungsstärke ist tödlich", sagte er. "Dann gehen die IT-Themen aus dem Hause." Man solle sich keinesfalls grundsätzlich gegen neue Themen wie Social oder Cloud stellen - höchstens wenn man kurz vor dem Ruhestand stehe. Das werde heute übel genommen. Vielmehr gelte es, neue Technologien schnell und wohlwollend zu prüfen, um sich eine Meinung zu bilden und Antworten zu haben. Schnelligkeit sei dabei für die Wahrnehmung durch die Fachabteilungen essenziell.

Ulrich Weigel von BMC Software, ebenfalls als Impulsgeber geladen, fügte hinzu, dass es große Erleichterung schaffe, wenn das Backend gut organisiert und automatisiert sei. Eine Serverbereitstellung, die nur einen statt fünf Tage dauere, setze personelle Ressourcen und Gelder frei, die für andere Zwecke verwendet werden könnten. Zudem solle man auf Customizing von Software, soweit es irgendwie gehe, verzichten. "Out-of-the-box" sei heute das Leitmotto.

Innovationsplan aufstellen

In Sachen Innovation sei es sinnvoll, einen Plan aufzustellen. Darin könne etwa festgelegt sein, wie lange es dauern darf, konzernweit jeden beliebigen Service zu fixen Kosten innerhalb eine maximalen Zeitrahmens global bereitzustellen. Auch mache es sich gut, wenn die IT proaktiv Chancen aufgreife. Die Flexibilisierung der Arbeitsplätze stehe überall an, hier könne die IT Rezepte bereithalten. Auch der Kundenservice sei ein Feld, auf dem die IT mit guten Ideen Lorbeeren verdienen könne.

Weigel warnte - trotz allen Drucks - davor, sich von den Fachbereichen vor sich her treiben zu lassen. "Die IT muss für ihr Unternehmen das richtige Tempo finden. Nur so kann sie Mehrwerte schaffen", lautete sein Credo.

Wenig überraschend kam in dem Workshop auch das Personalthema auf: Für Innovationen braucht man die richtigen Leute, und nicht alle IT-Chefs wissen diese in ihren Reihen. So müssten Support-Mitarbeiter nach Ansicht eines Diskussionsteilnehmers heute viel stärker ihren "Kundenkontakt" nutzen und die Bedürfnisse der Mitarbeiter am Arbeitsplatz aufnehmen. Sie säßen an einer entscheidenden Schnittstelle und bräuchten andere Qualifikationen als früher. Man brauche generell eine Skill-Analyse, sagte ein anderer: "Es gibt kreative Mitarbeiter und solche, die keine Veränderungen wollen", sich darüber ein Bild zu machen, sei eine Voraussetzung für Erfolg.

Ein Teilnehmer berichtete zudem von einem Experiment: In seinem Unternehmen wurden - initiiert von der IT - abteilungsübergreifend Digital Natives, also die sehr jungen Mitarbeiter, in einer Art Think Tanks zusammengeholt, um über digitale Produkte und Services nachzudenken. Es seien die Konsumenten von Morgen, die einen ganz anderen, viel selbstverständlicheren Umgang mit mobilen Endgeräten und neuesten Webdiensten pflegten. Die Erwartungen seien mehr als erfüllt worden: "Es ist wirklich verblüffend, welche Innovationsthemen dabei herauskommen." (hv)